· Fachbeitrag · Sozialversicherungspflicht
Neue Entwicklungen zur Beurteilung von Lehrtätigkeiten bei Bildungsträgern ‒ Update 2023
| Lehrkräfte werden in Stiftungen und gemeinnützigen Organisationen oft „auf Honorarbasis“ eingesetzt. Das BSG hat im Jahr 2022 seine Auffassung zu Lehrtätigkeiten präzisiert. Die Spitzenorganisationen in der Sozialversicherung haben nachgezogen und ihre Beurteilungsmaßstäbe nun konkretisiert. Mit einem Urteil vom LSG Hamburg liegt nun erstmals eine Entscheidung vor, die sich auf die neue BSG-Rechtsprechung bezieht. SB bringt Sie nachfolgend auf den aktuellen Stand und gibt Handlungsempfehlungen. |
BSG hat seine Rechtsprechung im Jahr 2022 präzisiert
Mit seinem Urteil vom 28.06.2022 hat das BSG bei der statusrechtlichen Beurteilung einer Lehrerin an einer städtischen Musikschule die allgemeinen Abgrenzungskriterien für die Einordnung als abhängig beschäftigt oder selbstständig angewandt. Danach können bereits die Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung und die Festlegung auf bestimmte Unterrichtszeiten und Räume der Lehrtätigkeit ein Gepräge geben, das gegen eine selbstständige Tätigkeit spricht. Das BSG stellte dabei darauf ab, dass die Lehrkraft keine eigene betriebliche Organisation unterhielt, keine unternehmerischen Chancen nutzen konnte und kein Unternehmerrisiko trug (BSG, Urteil vom 28.06.2022, Az. B 12 R 3/20 R, Abruf-Nr. 235470 → SB 7/2023, Seite 142).
Konkretisierte Beurteilungsmaßstäbe der Spitzenverbände
Vor dem Hintergrund der aktuellen BSG-Rechtsprechung haben die Spitzenverbände der Sozialversicherung ihre Beurteilungsmaßstäbe am 04.05.2023 (Abruf-Nr. 236190) präzisiert. Danach sind Lehrer/Dozenten/Lehrbeauftragte an Bildungseinrichtungen in den Schulbetrieb eingegliedert und stehen in einem Beschäftigungsverhältnis zu diesen Schulungseinrichtungen, wenn die Arbeitsleistung insbesondere unter folgenden Umständen erbracht wird:
- Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung
- Festlegung bestimmter Unterrichtszeiten und Unterrichtsräume (einzelvertraglich oder durch Stundenpläne) durch die Schule/Bildungseinrichtung
- Kein Einfluss auf die zeitliche Gestaltung der Lehrtätigkeit
- Meldepflicht für Unterrichtsausfall aufgrund eigener Erkrankung oder sonstiger Verhinderung
- Ausfallhonorar für unverschuldeten Unterrichtsausfall
- Verpflichtung zur Vorbereitung und Durchführung gesonderter Schülerveranstaltungen
- Verpflichtung zur Teilnahme an Lehrer- und Fachbereichskonferenzen oder ähnlichen Dienst- oder Fachveranstaltungen der Schuleinrichtung (dem steht eine hierfür vereinbarte gesonderte Vergütung als eine an der Arbeitszeit orientierter Vergütung nicht entgegen)
- Selbstgestalteter Unterricht auf der Grundlage von Lehrplänen als Rahmenvorgaben geht nicht mit typischen unternehmerischen Freiheiten einher. Die zwar insoweit bestehende inhaltliche Weisungsfreiheit kennzeichnet die Tätigkeit insgesamt nicht als eine in unternehmerischer Freiheit ausgeübte Tätigkeit, insbesondere wenn
- keine eigene betriebliche Organisation besteht und eingesetzt wird,
- kein Unternehmerrisiko besteht und
- keine unternehmerischen Chancen bestehen, weil z. B. die gesamte Organisation des Schulbetriebs in den Händen der Schuleinrichtung liegt und keine eigenen Schüler akquiriert und auf eigene Rechnung unterrichtet werden können, sowie die geschuldete Lehrtätigkeit nicht durch Dritte erbracht werden kann.
Wichtig | Diese präzisierten Beurteilungsmaßstäbe sind ‒ auch in laufenden Bestandsfällen ‒ spätestens für Zeiten seit 01.07.2023 anwendbar, so die Spitzenorganisationen.
Der Fall beim LSG Hamburg und die Entscheidung des LSG
Vor dem LSG Hamburg ging es um eine Dozentin, die an einer Berufsfachschule im Ausbildungsgang Ergotherapie tätig war. Der Lehrplan folgte den Vorgaben der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Laut Vertrag war sie selbstständig tätig, musste aber einen Unterrichts- oder Unterweisungsnachweis führen. Im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens kam die Deutsche Rentenversicherung Bund zu dem Ergebnis, die Dozentin sei abhängig beschäftigt. Dagegen klagte die Berufsfachschule und bekam erstinstanzlich Recht. Die Berufung, die die Rentenversicherung Bund einlegte, wies das LSG ebenfalls ab. Begründung: Auch unter Zugrundelegung der jüngeren Entscheidung des BSG lag eine selbstständige Lehrtätigkeit vor (LSG Hamburg, Urteil vom 27.04.2023, Az. L 1 BA 12/22, Abruf-Nr. 235968).
Das LSG folgt der BSG-Auffassung und wendet die allgemeinen ‒ für die Statuseinordnung entwickelten (Haupt-)Kriterien an. Das sind vor allem
- örtliche, zeitliche und inhaltliche Weisungsbindung,
- unternehmerisches Risiko und
- Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers.
Örtliche Weisungsbindung
Der Unterricht fand am Ort und in den Räumen der Berufsfachschule statt. Das LSG stellt klar, dass das bei solchen Bildungsträgern der Regelfall ist. Das spricht zwar eher gegen eine selbstständige Tätigkeit der Lehrkräfte, ist aber kein Ausschlusskriterium, zumal einige Unterrichtseinheiten auch online oder gar in den Praxisräumen von Dozenten stattfanden.
Zeitliche Weisungsbindung
Für das LSG stand außer Frage, dass die Ausbildung in einem engen Zeitkorsett mit detailliertem Stundenplan und damit auch klaren zeitlichen Vorgaben für die Lehrkräfte stattfand. Allerdings wurde auf die zeitlichen Wünsche der selbstständigen Lehrkräfte Rücksicht genommen. Das zeigte sich daran, dass die Schule die festangestellten Lehrkräfte um die mit den freien Dozenten vereinbarten Unterrichtszeiten herum plante. Die Dozentin hatte außerdem klargemacht, dass sie Lehraufträge, die ihren zeitlichen Vorstellungen nicht gerecht worden wären, nicht angenommen hätte. Sie erhielt stets vier Unterrichtsstunden im Block, weil ihre Anfahrtszeit sehr lang war.
Inhaltliche Weisungsbindung
Ein Weisungsrecht bezüglich der Inhalte der Lehrtätigkeit konnte das LSG nicht feststellen. Es hielt zudem für fraglich, ob dieses Kriterium bei zwingenden Rahmenbedingungen eines Curriculums überhaupt angewendet werden kann. Es sah hier keinen Einfluss auf die inhaltliche Vermittlung des Lehrstoffs. Sowohl die didaktische als auch die methodische Vermittlung des vorgegebenen Stoffs lagen in der Verantwortung der Lehrer. Die Bindung an das, was an Wissensstoff zu vermitteln war, stellt deswegen kein geeignetes Abgrenzungskriterium gegenüber einer abhängigen Beschäftigung dar.
Unternehmerrisiko
Ein nennenswertes Unternehmerrisiko der Dozentin konnte das Gericht nicht erkennen. Sie hatte einen festen Jahresvertrag abgeschlossen, der für einen maximalen Stundenumfang von vier Stunden pro Woche einen festen Stundensatz vorsah. Sie konnte weder Einfluss auf die Höhe des Entgelts nehmen noch durch sonstige Maßnahmen den Umfang der Einnahmen beeinflussen. Dieser Umstand ist ‒ so das LSG ‒ für sich genommen aber von geringer Bedeutung, weil es in der Eigenart der Tätigkeit begründet liegt, dass bei einer allein auf die geistige Vermittlung von Wissen gerichteten Arbeit keine (bzw. nur sehr geringe) Investitionen oder sonstige, ein unternehmerisches Risiko begründende Faktoren erkennbar sind.
Eingliederung in die Arbeitsorganisation
Als entscheidendes Merkmal für eine selbstständige Tätigkeit betrachtet das LSG die fehlende Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Bildungsträgers. Es bedarf zwar ‒ so das LSG ‒ eines hohen Organisationsgrads beim Einsatz der Lehrkräfte, um die zeitliche Planung der Dozenten sicherzustellen. Allein das spricht aber nicht für eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation.
Auch dass die Lehrkräfte ein Klassenbuch führen mussten, in das sie Datum, Anwesenheiten und den Inhalt des Unterrichtsstoffs einzutragen hatten, spricht nicht gegen eine selbstständige Tätigkeit. Die Lehrkräfte selbst hatten nämlich ein Interesse daran, den Ausbildungsstand der Auszubildenden und ihre Stoffvermittlung im Blick zu behalten. Dass auch die Schule Kenntnis dieser Unterlagen haben wollte (die Teilnahme am Unterricht war Voraussetzung für die Prüfungszulassung), ist daher als Abgrenzungskriterium ohne Aussagewert. Die Lehrkraft war auch im Vergleich zu den festangestellten Lehrkräften in nur sehr geringem Umfang in die Arbeitsorganisation eingebunden. Insbesondere nahm sie nicht an den turnusmäßigen Lehrerkonferenzen teil.
Die Gesamtbewertung durch das LSG
Der Vertrag der Dozentin war nach Ansicht des LSG als selbstständige Dozententätigkeit ausgestaltet und wurde im Wesentlichen auch so gelebt.
Wichtig | Die Merkmale, die auf eine abhängige Lehrtätigkeit hätten hindeuten können (wie z. B. die Vereinbarung über den Ort des Unterrichts), haben der Beschäftigung nicht ihr Gepräge gegeben.
Von einer Weisungsgebundenheit im engeren Sinne konnte nicht ausgegangen werden. Daher kam insbesondere der fehlenden Eingliederung in den Betrieb ein besonderes Gewicht zu. Bei Ausbildungen mit berufsqualifizierendem Abschluss, die nicht selten einen stark gegliederten und umfangreichen Lehrstoff zum Inhalt haben, dürfte sich ‒ so das LSG ‒ stets das Problem stellen, wie der Wissensstoff ohne intensive organisatorische Vorbereitung, Einflussnahme und Steuerung der Lehrkräfte über die Dauer der Ausbildung vermittelt werden kann. Ein hoher Organisationsgrad der Unterrichtsvermittlung ist auch und gerade wegen des zumeist kaum vorhandenen Unternehmerrisikos ein deutliches Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Das Gericht sah aber diese hohe organisatorische Einbindung im konkreten Fall nicht.
Rentenversicherungspflicht für LSG kein Thema
Im Urteilsfall war noch die Besonderheit, dass die Vergütung der Dozentin die Übungsleiterpauschale nicht überschritten hatte. Mangels Arbeitsentgelt lag kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vor. Streitig war somit nur die Rentenversicherungspflicht der Dozentin. Das LSG hat die Frage nach der Rentenversicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 1 SGB IV nicht weiter thematisiert. Das liegt nach Aussage des LSG zur Presseanfrage von SB daran, dass in dem Verfahren ein Statusfeststellungsantrag zugrunde lag. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falls habe man das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit angenommen. Nicht entschieden habe man über die Rentenversicherungspflicht von selbstständigen Lehrern.
Praxisempfehlungen für die Gestaltung von Verträgen
Das BSG hat in seiner jüngeren Rechtsprechung das Kriterium der betrieblichen Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers geschärft und dessen maßgebende Bedeutung für die Statusbeurteilung herausgestellt. In zahlreichen Urteilen hat das BSG aufgrund des Umfangs der betrieblichen Eingliederung und der damit einhergehenden Einschränkung der für Selbstständige typischen freien Gestaltung der Erwerbstätigkeit ein Beschäftigungsverhältnis festgestellt. Die Spitzenverbände der Sozialversicherung teilen diese Auffassung. Stiftungen und gemeinnützige Organisationen als Bildungsträger müssen nun ihre Vertragsgestaltung auf diese Grundsätze anpassen.
Maßgeblich kommt es dabei darauf an, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist und in welchem Umfang sie Einfluss auf Unterrichtsinhalt, Art und Weise der Erteilung, Arbeitszeit und sonstige Umstände der Lehrtätigkeit nehmen kann. Die Einbindung bzw. Einordnung in den Dienstbetrieb durch die Pflicht zur Teilnahme an Konferenzen, Besprechungen und anderweitigen Verpflichtungen, wie z. B. eine Vertretung, deutet auf eine abhängige Beschäftigung hin. Ebenso können detaillierte Vorgaben bei der Unterrichtsgestaltung für eine fremdbestimmte Tätigkeit, also eine abhängige Beschäftigung, sprechen.