· Fachbeitrag · Urlaubsanspruch
Kein Urlaubsanspruch während des Ruhens des Arbeitsverhältnisses bei „Kurzarbeit Null“
von VRiLAG i.R. Dr. Hans Georg Rummel, Duisburg
Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.03 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten - wie etwa einem von einem Unternehmen und seinem Betriebsrat vereinbarten Sozialplan -, nach denen der Anspruch eines Kurzarbeiters auf bezahlten Jahresurlaub pro rata temporis berechnet wird, nicht entgegenstehen (EuGH 8.11.12, verbundene Sachen C-229/11 Heimann und C-230/11 Toltschin, Abruf-Nr. 131556). |
Sachverhalt
Die ArbN des Ausgangsverfahrens waren seit 2003 (Heimann) bzw. 1998 (Toltschin) beim ArbG beschäftigt. Dieser entschloss sich im Jahr 2009 aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten zu einem Personalabbau. Den ArbN wurde zum 30.6.09 bzw. 31.8.09 betriebsbedingt gekündigt. Im Mai 2009 wurde ein Sozialplan vereinbart. Dieser sah vor, dass die Arbeitsverhältnisse der entlassenen ArbN ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der jeweiligen Kündigungsfrist um ein Jahr verlängert werden sollten. Für diese Zeit sollte im Wege von „Kurzarbeit Null“ einerseits die Arbeitspflicht der ArbN, auf der anderen Seite die Lohnzahlungspflicht des ArbG suspendiert werden. Demgemäß wurden unter anderem die Arbeitsverhältnisse der ArbN um ein Jahr verlängert. Sie bezogen in dieser Zeit von der Bundesagentur für Arbeit Kurzarbeitergeld.
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangten die ArbN die Abgeltung von Urlaubsansprüchen, die sie während der Zeit der Kurzarbeit durch Jahresurlaub aus 2009 und 2010 erworben hätten. Das Arbeitsgericht Passau beabsichtigte, den Pro-rata-temporis-Grundsatz anzuwenden und die Zeit der „Kurzarbeit Null“ einer Arbeitszeitverkürzung aufgrund eines vertraglich vereinbarten Wechsels von einem Vollzeit- in ein Teilzeitarbeitsverhältnis gleichzustellen. Da es Zweifel hatte, ob dies mit dem Unionsrecht vereinbar ist, hat es dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
|
Sind Art. 31 Abs. 2 der Charta bzw. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegenstehen, wonach im Falle der Verringerung der zu leistenden Arbeitstage pro Woche infolge rechtmäßiger Anordnung von Kurzarbeit der Anspruch des Kurzarbeiters auf bezahlten Jahresurlaub pro rata temporis im Verhältnis der Anzahl der Wochenarbeitstage während der Kurzarbeit zu der Anzahl der Wochenarbeitstage eines Vollzeitbeschäftigten angepasst wird und der Kurzarbeiter damit während der Kurzarbeit nur einen entsprechend geringeren Urlaubsanspruch erwirbt? |
Der EuGH hat diese Vorlagefrage verneint.
Entscheidungsgründe
Der EuGH nimmt zunächst auf seine mit dem Urteil Schultz-Hoff (AA 09, 55; 10, 101) eingeleitete Rechtsprechung Bezug. Danach sei es ausgeschlossen, dass sich der Anspruch auf bezahlten Mindesturlaub verringert, wenn der ArbN seiner Arbeitspflicht wegen einer Erkrankung im Bezugszeitraum nicht nachkommen konnte. Diese Rechtsprechung könne jedoch auf den Fall der Kurzarbeit Null nicht übertragen werden. Die Situation eines ArbN, der wegen einer Erkrankung nicht in der Lage ist zu arbeiten, und die eines solchen Kurzarbeiters seien grundlegend verschieden. Hierfür verweist der EuGH auf drei Aspekte:
- Erstens beruhe die Kurzarbeit im vorliegenden Fall auf einem Sozialplan, in dem die gegenseitigen Leistungspflichten suspendiert worden seien.
- Zum Zweiten könne der betroffene ArbN sich anders als ein arbeitsunfähig Erkrankter während der Kurzarbeit Null nach seinem Gutdünken ausruhen oder Freizeittätigkeiten nachgehen.
- Schließlich solle der Sozialplan, wenn er Kurzarbeit vorsieht, eine Entlassung der betroffenen ArbN verhindern und die Nachteile einer derartigen Entlassung verringern. Würde dies an die Pflicht des ArbG geknüpft, für die Zeit der Kurzarbeit Urlaubsansprüche zu erfüllen, könnte es dazu führen, dass der ArbG der Vereinbarung eines solchen Sozialplans ablehnend gegenüberstünde. Die Situation des Kurzarbeiters sei nicht mit der eines arbeitsunfähig Erkrankten, sondern mit der eines Teilzeitbeschäftigten zu vergleichen.
Für die Beschäftigungsbedingungen von Teilzeitbeschäftigten sei aber der „Pro-rata-temporis-Grundsatz“ anwendbar, soweit dies für den jeweiligen Anspruch angemessen erschiene. Danach sei für die Zeit der Teilzeitbeschäftigung die Minderung des Anspruchs auf Jahresurlaub gegenüber Vollzeitbeschäftigung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.
Praxishinweis
Die Entscheidung lässt offen, was hinsichtlich des Urlaubsanspruchs bei Ruhenstatbeständen außerhalb der Kurzarbeit Null gilt. Für den Fall einer befristeten Rente wegen Erwerbsminderung und einer tariflichen Regelung des Ruhens des Arbeitsverhältnisses hat das BAG jüngst entschieden (AA 12, 164), dass Urlaubsansprüche für diesen Zeitraum zur Entstehung gelangen.
Es ist zweifelhaft, ob sich diese Rechtsprechung mit der vorliegenden EuGH-Entscheidung in Einklang bringen lässt. Der EuGH sieht in der Suspendierung der Hauptleistungspflichten eine grundlegend andere Situation als bei einer Erkrankung. Es ist nicht zu übersehen, dass der EuGH auf Vorteile seiner Rechtsprechung für den ArbN (Ausschluss der Kündigung in der Ruhenszeit) hinweist. Auch im Fall eines befristeten Rentenbezugs ist eine ähnliche Situation gegeben, da eine Kündigung während dieser Zeit grundsätzlich nicht zulässig ist. Insoweit dürfte man die an die befristete Rentenzahlung geknüpfte Ruhensvereinbarung und nicht die Arbeitsunfähigkeit als die entscheidende Ursache für die Arbeitsverhinderung ansehen müssen.
Für Ruhenszeiten, die nicht mit einer ordnungsgemäßen Krankschreibung des ArbN in Verbindung stehen, wird man aufgrund der Vorgaben des EuGH davon ausgehen können, dass Urlaubsansprüche nicht bestehen.