· Fachbeitrag · Prozessrecht
Das beA/elektronische Dokument im Straf- und Bußgeldverfahren ‒ erste Rechtsprechung
| Am 1.1.22 sind in den verschiedenen Verfahrensordnungen die Regelungen in Kraft getreten, die die aktive Nutzungspflicht für die elektronische Form vorschreiben. Für das Strafverfahren ist das § 32d StPO, der im Bußgeldverfahren über § 110c OWiG entsprechende Anwendungen findet. Dazu liegt inzwischen erste Rechtsprechung vor, die wir Ihnen heute zusammen mit einigen anderen Entscheidungen zu allgemeinen Fragen beim elektronischen Dokument in einer Rechtsprechungsübersicht vorstellen. |
Beachten Sie | § 110c S. 1 OWiG sieht u. a. vor, dass § 32d StPO im Bußgeldverfahren entsprechend gelten soll. D. h., dass die Rechtsbeschwerde, der Zulassungsantrag (§ 80 OWiG) und die Rechtsbeschwerdebegründung als elektronisches Dokument eingereicht werden müssen. Ob das auch für den durch einen Verteidiger eingelegten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gilt, ist inzwischen umstritten. Seitz/Bauer (vgl. Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 67 Rn. 21a) lehnen ab. Sie weisen darauf hin, dass der Einspruch (gegen den Strafbefehl) nicht genannt wird. Daher komme eine entsprechende Anwendung der Regelung auf den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nicht in Betracht. Anderer Ansicht ist Krenberger (vgl. Beck-OK-StVR, § 110c OWiG Rn. 13). Da auch die Rechtsprechung nicht einheitlich ist (vgl. unten die Entscheidungen des AG Tiergarten und des AG Hameln), sollten Verteidiger den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid auf jeden Fall elektronisch übermitteln.
Rechtsprechungsübersicht / beA/elektronisches Dokument | |
Die folgenden Übersichten enthalten nicht nur Entscheidungen aus dem Straf-/Bußgeldverfahren, sondern auch aus anderen Verfahren, soweit diese auch in Straf-/Bußgeldverfahren von Bedeutung sein können. | |
I. Allgemeines zur aktiven Nutzungspflicht | |
Gericht, Aktenzeichen, Fundstelle | Inhalt der Entscheidung |
| Eine Ausnahme von der seit dem 1.1.22 bestehenden Verpflichtung der Rechtsanwälte, vorbereitende Schriftsätze nur noch als elektronisches Dokument bei Gericht einzureichen, besteht nur, wenn dies aus technischen Gründen nicht möglich ist, weil entweder das Gericht auf diesem Wege nicht erreichbar ist oder bei dem Rechtsanwalt ein vorübergehendes technisches Problem aufgetreten ist. |
| Ein elektronisches Dokument ist ein Text, eine Zahlentabelle, ein Bild oder eine Folge oder Kombination von Texten, Tabellen oder Bildern, die durch Digitalisieren (Umwandlung in einen Binärcode) in Dateiform angelegt oder überführt wurden. Dokumente, die im Wege des Telefaxes, insbesondere auch des Computerfaxes, übermittelt werden, zählen deshalb zu den schriftlichen, nicht zu den elektronischen Dokumenten, auch wenn sie elektronisch über das Internet oder ein Web-Interface übertragen werden. |
| Ein bei Gericht eingereichter Antrag kann nicht deshalb mangels Einhaltung der Vorgabe, dass ein elektronisches Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein muss, zurückgewiesen werden, weil trotz Verwendung eines zulässigen Formats (PDF) beim Kopieren von Textteilen in ein anderes elektronisches Dokument durch das Gericht eine unleserliche und sinnentstellte Buchstabenreihung entsteht. |
| Wird ein Rechtsanwalt in einer eigenen Angelegenheit gerichtlich tätig, besteht für ihn die Pflicht zur elektronischen Einreichung von Schriftsätzen jedenfalls dann, wenn er explizit als Rechtsanwalt auftritt. |
II. Insbesondere: Strafverfahren/Bußgeldverfahren | |
Gericht, Aktenzeichen, Fundstelle | Inhalt der Entscheidung |
| Eine Revisionsbegründungsschrift muss nicht handschriftlich unterzeichnet sein, wenn sie gemäß § 32d S. 2 StPO elektronisch übersandt wird und die Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) erfolgt. Vielmehr genügt in diesem Fall, dass der Schriftsatz mit einer maschinenschriftlichen Wiedergabe des bürgerlichen Namens des die Revisionsbegründung verantwortenden Verteidigers oder Rechtsanwalts abgeschlossen wird. |
| Elektronische Dokumente, die der Schriftform unterliegen, müssen entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein oder auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 32a Abs. 3 StPO). Eine unsignierte und direkt an den Empfänger versandte einfache E-Mail erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Diese Anforderungen gelten auch für Strafanträge, und zwar auch für solche, die von Behörden gestellt werden. |
| Wird die Übermittlungsverpflichtung gemäß § 32d S. 2 StPO nicht eingehalten, ist die Erklärung unwirksam. Bei einem Verstoß gegen die Formvorschrift der § 32d StPO, § 110c OWiG kann dem Betroffenen jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (KG). |
| Auch eine mittels elektronischem Dokument übermittelte Revisionsbegründung des Pflichtverteidigers muss von dem beigeordneten Verteidiger signiert sein. Sie darf mithin nicht „in Vertretung für Rechtsanwalt …“ durch einen anderen Rechtsanwalt signiert worden sein. |
| Die Pflicht zur elektronischen Übermittlung nach § 32d S. 2 StPO, § 111c OWiG gilt (nur) für Verteidiger und Rechtsanwälte. Einem Bevollmächtigten des Betroffenen ist es hingegen möglich, Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 341 Abs. 1 StPO formgerecht per Telefax einzureichen. |
| Mit Eingang der per beA versandten Einspruchsrücknahme auf dem Server des Gerichts tritt Rechtskraft des Strafbefehls und damit ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis ein, durch das sich das gerichtliche Verfahren von selbst erledigt hat. Darauf, dass dem eine Hauptverhandlung durchführenden Richter die Rücknahme des Einspruchs unbekannt geblieben ist, kommt es insoweit nicht an. |
| Es handelt sich nicht um einen sicheren Übermittlungsweg i. S. d. § 32a Abs. 4 Nr. 3 StPO, wenn die Beschwerdeschrift einer Justizvollzugsanstalt von dem persönlichen E-Mail-Account einer Bediensteten an das Gericht übermittelt wird. |
| Ein per beA gestellter Entbindungsantrag, der 35 Minuten vor dem Hauptverhandlungstermin eingeht, ist nicht rechtzeitig gestellt. |
| § 32a Abs. 3 StPO enthält für ein Dokument, das schriftlich abzufassen, zu unterschreiben oder zu unterzeichnen ist, zwei mögliche Wege der Übermittlung im elektronischen Rechtsverkehr bereit: Ein Weg ist die Übermittlung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person. Der andere Weg ist die (einfache) Signatur der verantwortenden Person bei gleichzeitiger Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg. Für die einfache Signatur reicht die Namenswiedergabe des Verfassers am Ende des Textes. |
| Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nach § 67 OWiG muss auch nach dem 1.1.22 nicht per elektronischem Dokument eingelegt werden. |
| Nach § 67, § 100c OWiG i. V. m. § 32d StPO ist ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ausschließlich als signiertes elektronisches Dokument über das beA - Besondere Anwaltspostfach ‒ und das beBPo ‒ das besondere elektronische Behördenpostfach ‒ zu übermitteln. Eine Übermittlung in Papierform oder als Telefax ist unzulässig. |
| Die Staatsanwaltschaft trifft bei der Vollstreckung von Geldstrafen eine Nutzungspflicht hinsichtlich der elektronischen Übermittlungswege für Vollstreckungsaufträge gegenüber dem jeweiligen Vollstreckungsorgan aus § 130d ZPO. |
III. Ausnahme nach § 32d S. 2 und 4 StPO/Wiedereinsetzung | |
Gericht, Aktenzeichen, Fundstelle | Inhalt der Entscheidung |
| Bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokuments gehört es zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen. |
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| Es ist nicht Aufgabe der Annahmestelle eines Berufungsgerichts, eine eingehende Berufungsschrift daraufhin zu überprüfen, ob sie eine ordnungsgemäße (einfache) Signatur enthält. Ein Rechtsanwalt hat selbst zu überprüfen, ob ein Schriftsatz i. S. d. § 130a Abs. 1 an seinem Ende die für eine einfache Signatur erforderlichen Angaben enthält. Er darf diese Aufgabe nicht an seine Angestellten übertragen. Für eine ordnungsgemäße einfache Signatur genügt die Angabe „Rechtsanwalt“ nicht; vielmehr muss sie auch den Namen des Rechtsanwalts enthalten. |
| Die in § 32a Abs. 6 S. 2 StPO vorgesehene Fiktion fristwahrender Einlegung nach Hinweis auf die mangelnde Eignung einer zuvor mittels elektronischen Dokuments eingereichten Revisionsbegründung kann nur durch die Einreichung eines für die Bearbeitung durch das Gericht geeigneten elektronischen Dokuments ausgelöst werden, nicht durch Übermittlung einer Revisionsbegründung in Papierform. Ebenso genügt nur die Einreichung eines für die Bearbeitung durch das Gericht geeigneten elektronischen Dokuments den Anforderungen einer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigenden Nachholung der versäumten Handlung. |
| Die bloße Erklärung des Verteidigers, dass eine Übermittlung der Berufung als elektronisches Dokument vorübergehend aus technischen Gründen nicht möglich ist, rechtfertigt keine Ersatzeinreichung. |
| Eine vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung eines Schriftsatzes aus technischen Gründen liegt nicht vor, wenn die fristgemäße Übermittlung aufgrund eines Anwendungs- bzw. Bedienungsfehlers scheiterte. In diesem Fall liegt ein menschlicher und kein technischer Grund für das Scheitern der fristgemäßen elektronischen Übermittlung vor. |
| Zur Glaubhaftmachung, dass die Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments auf technischen Gründen beruhte, gehört die belastbare Angabe, dass die formgerechte (elektronische) Übermittlung aus technischen Gründen nur vorübergehend nicht möglich war. Eine solche Unmöglichkeit ist nicht glaubhaft gemacht, wenn die Angaben auch den Schluss zulassen, dass der Verwender generell versäumt hat, sich rechtzeitig und mit der gebotenen Sorgfalt um die Herstellung der erforderlichen technischen Voraussetzungen zu bemühen. |
| Die Erklärung, dass „wir bei der Übermittlung als ‚elektronisches Dokument‘ Probleme haben“ und elektronische Dokumente „aktuell nur empfangen“ werden könnten, was versichert werde, genügt nicht zur Glaubhaftmachung der technisch bedingten vorübergehenden Unmöglichkeit. |
| Unerheblich ist, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist verschuldensunabhängig ausgestaltet. Die vorübergehende technische Unmöglichkeit ist vorrangig zugleich mit der Ersatzeinreichung glaubhaft zu machen. Lediglich dann, wenn der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, genügt eine unverzügliche Glaubhaftmachung. |
| Eine vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung aus technischen Gründen liegt nicht vor, wenn ein Rechtsanwalt pauschal behauptet, er sei, obwohl rechtzeitig beantragt, nicht von der Zertifizierungsstelle freigeschaltet worden. |
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