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  • · Fachbeitrag · Anfechtung

    Keine Arglistanfechtung ohne Fragen in Textform?

    von RA Marc O. Melzer, FA MedR, SozR und VersR, Bad Lippspringe

    | Ohne eigene konkrete Fragen in Textform kann der VR zumindest die Gestaltungsrechte der §§ 19 ff. VVG nicht ausüben. Der Beitrag geht der Frage nach, ob auch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung „gesperrt“ ist, wenn der VN dem VR einen gefahrerheblichen Umstand nicht angezeigt hat, nachdem der VR entweder gar nicht oder nicht konkret gefragt hat. |

     

    Ein solche Sperre läuft auf den ersten Blick auf eine Wiedereinführung der spontanen Anzeigepflicht hinaus. Bei genauerer Betrachtung wird diese aber nicht (quasi durch die Hintertür) wieder eingeführt, da § 19 VVG die Arglistanfechtung gar nicht berührt. Eine höchstrichterliche Entscheidung fehlt bisher. Nach Marlow/Spuhl (Das neue VVG-kompakt, 4. Aufl., Rn. 168) kann sich der VR nicht auf das Anfechtungsrecht berufen, wenn er nach dem verschwiegenen Umstand nicht oder nicht formgerecht gefragt hat. Auch Rixecker (zfs 08, 340) vertritt diese Ansicht. Überwiegend wird jedoch die Ansicht vertreten, dass die Anfechtung nicht ausgeschlossen sei, wenn die Gefahrerheblichkeit des nicht erfragten Umstands „auf der Hand liegt“ (MüKo zum VVG, § 22 Rn. 6), z.B. bei einer schweren oder chronischen Erkrankung (Karczewski, r+s 12, 531).

     

    Arbeitshilfe / Argumentation

    Entscheidungserheblich wird diese Frage, wenn objektiv feststeht, dass ein Umstand (ob abgefragt oder nicht), von dem der VN positive Kenntnis hatte, tatsächlich nicht offenbart wurde. Das kann z.B. der Fall sein, weil er von einer Bagatellerkrankung ausging (LG Dortmund r+s 12, 428) und diese als unerheblich einstufte. Der VN muss also mit anderen Worten die Gefahrerheblichkeit erkennen. Was für den VR gefahrerheblich ist, kann der VN an sich erst einmal nur anhand der ihm gestellten Frage ausmachen. Bestreitet der VN, dass er z.B. mangels Arztkontakten oder mangels ärztlicher Mitteilung gar keine Kenntnis von einer Gesundheitsstörung hatte, und schon von daher nicht bewusst auf den Entschluss des VR einwirken konnte (und auch nicht wollte), ist nicht ersichtlich, wie der beweisbelastete VR dieser Einlassung (ohne Indizien) erfolgreich begegnen könnte.

     

    Eine Nichtanzeige nur mit dem Argument, dass der VR danach nicht formgerecht gefragt habe, indiziert zwar, dass sich der VN bei der Beantwortung der Frage sehr wohl Gedanken gemacht haben muss. Eine Bewertung steht dem VN jedoch nicht zu. Es ist vielmehr Sache des VR, das (angetragene) Risiko abzuwägen. Dieses ist ihm nur bei Mitteilung desselben möglich. Es ist zwar Sache des VR, das zu versichernde Risiko abzufragen, d.h. was er nicht fragt, ist für ihn, der die Formulierung „in der Hand hat“, anscheinend nicht von Bedeutung. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass „offenkundige Umstände“, deren Gefahrerheblichkeit sich geradezu aufdrängt („auf der Hand liegt“), nicht anzuzeigen wären, weil danach schlichtweg nicht gefragt wurde. Denn der Gesetzgeber wollte, dass das Verschweigen eines gefahrerheblichen Umstands, den der VR nicht oder nur mündlich nachgefragt hat, bei Arglist des VN ein Anfechtungsrecht des VR nach § 123 BGB begründet (BT-Drucks. 16/3945, S. 64).

     

    FAZIT | Es spricht also vieles für eine Offenbarungspflicht des VN, wenn die Gefahrerheblichkeit „auf der Hand liegt“. Mit fehlender Erinnerung oder schlichtem Vergessen dürfte der VN jedenfalls bei schweren oder chronischer Erkrankungen nicht durchdringen. Kenntnis gefahrerheblicher Umstände bedeutet auch nicht Kenntnis einer bestimmten Diagnose. Ausreichend dürfte sein, dass dem VN bewusst ist, unter einer Erkrankung zu leiden (LG Köln 4.6.14, 23 O 237/13, n.rk.) und dass er diese nicht anzeigt hat, um Versicherungsschutz zu bekommen.

     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2014 | Seite 142 | ID 42820281