· Fachbeitrag · Anzeigeobliegenheit
Anzeige des Versicherungsfalls nach sechs Monaten ist zu spät
| Zeigt der VN einen Unfallschaden erst (knapp) sechs Monate nach einem Verkehrsunfall an, verletzt er damit vorsätzlich seine Obliegenheit zur Anzeige des Versicherungsfalls, sofern er die Anzeigeobliegenheit im Grundsatz kennt. Hierauf wies das OLG Hamm hin. |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der VN verlangt eine Entschädigung aus seiner Kfz-Vollkaskoversicherung. Den Unfallschaden vom 23.12.15 hatte er erst am 16.6.16 durch seinen Anwalt anzeigen lassen.
Das war deutlich zu spät, entschied das OLG Hamm (21.6.17, 20 U 42/17, Abruf-Nr. 196773). Der VN hat gegen seine Obliegenheit verstoßen, den Schaden innerhalb einer Woche zu melden (Ziffer E.1.1 S. 1 AKB). Damit ist der VR leistungsfrei geworden.
Nach Ansicht des Senats hat der VN im Hinblick auf die Überschreitung der Frist zur Schadenanzeige vorsätzlich i. S. d. § 28 Abs. 2 S. 1 VVG, Ziffer E.6.1. S. 1 AKB gehandelt.
Eine vorsätzliche Verletzung der Anzeigepflicht setzt voraus, dass der VN die Verhaltensnorm, aus der die Obliegenheit folgt, positiv kennt. Insoweit genügt bedingter Vorsatz. Der liegt nach allgemeinen Regeln vor, wenn der VN die Obliegenheitsverletzung für möglich hält und sie billigend in Kauf nimmt. Er darf also nicht ernsthaft darauf vertrauen, dass der Erfolg ausbleiben werde (Prölss/Martin/Armbrüster, VVG 29. Aufl. 2015, § 28, Rn. 188; BGH VersR 79, 1117; OLG Saarbrücken VersR 07, 532).
- Zwar spricht keine Vermutung dafür, dass die Anzeigeobliegenheit vorsätzlich verletzt wurde. Dies muss vielmehr der VR beweisen (§ 28 Abs. 2 S. 1 VVG, Ziffer E.6.1 S. 1 AKB zu). Es lässt sich auch nicht feststellen, dass der VN die konkrete Regelung aus Ziffer E.1.1 S. 1 AKB zu oder nach dem Schadenfall zur Kenntnis genommen hatte.
- Allerdings stellt der VN nicht in Abrede, dass er seine Obliegenheit zur Schadenmeldung als solche kannte. Damit war ihm nach Ansicht des OLG auch bewusst, dass er den Schaden zumindest zeitnah, insbesondere vor der Reparatur des Fahrzeugs zu melden hatte. Denn ein durchschnittlicher VN erkennt, dass die Obliegenheit zur Schadenmeldung dem VR ermöglichen soll, möglichst unmittelbar seine Leistungspflicht zu überprüfen. Das kann ihm nach längerem Zeitablauf und insbesondere bei einer Beseitigung der geltend gemachten Unfallschäden ggf. nicht mehr möglich sein. Die Obliegenheit zur Wahrung der Wochenfrist enthält so als minus die Verpflichtung zur zeitnahen Schadenanzeige, die allgemein bekannt ist (vgl. OLG Hamm VersR 05, 974; OLG Düsseldorf VersR 95, 31).
- In concreto genügten dem Senat für ein bedingt vorsätzliches Verhalten folgende Gründe:
- Der VN hat den Unfall erst lange nach der Reparatur angezeigt. Die vorgelegte Reparaturbestätigung des Sachverständigen M datiert vom 20.1.16. Schon zum Zeitpunkt der Reparatur musste der VN zumindest damit rechnen, dass der VR nur noch eingeschränkte Möglichkeiten haben würde, selber Feststellungen zum Schaden und zur Leistungspflicht zu treffen.
- Ebenso war dem VN mit dem Abwarten des gegen ihn über vier Monate geführten Ermittlungsverfahrens bewusst, dass der VR ohne Kenntnis vom Schadenfall keine Möglichkeit hatte, zeitnah eigene Ermittlungen zu seiner Leistungspflicht zu treffen.
Relevanz für die Praxis
In ähnlichen Fällen helfen dem VN auch weitergehende Argumente nicht:
- So kann er sich nicht darauf berufen, dass er zunächst davon ausging, er könne Schadenersatzansprüche gegen einen unbekannten Dritten durchsetzen und darum die Fristverletzung nicht erkannt hat.
- Beachten Sie | Der Geschädigte handelt auch dann vorsätzlich, wenn er die allgemein bekannte Frist zur zeitnahen Schadenmeldung in der Annahme verstreichen lässt, er sei auf den Anspruch gegen den VR nicht angewiesen, weil er sich anderweitig schadlos halten könne.
- Der VN konnte sich auch nicht darauf verlassen, dass der schon frühzeitig im OWi-Verfahren mandatierte Anwalt seine Rechte gegenüber dem VR wahren würde.
- Beachten Sie | Es reicht nicht aus, den Anwalt zunächst nur mit der Verteidigung in einem Ermittlungsverfahren zu mandatieren. Es muss eine Vollmacht zur Geltendmachung des Vollkaskoschadens vorliegen.
Möglich ist es allenfalls, sich auf den Kausalitätsgegenbeweis zu berufen. Allerdings sind die Erfolgsaussichten auch hier sehr gering. Der VN müsste nämlich darlegen und beweisen, dass die verzögerte Anzeige nicht ursächlich dafür ist, dass der VR keine Feststellungen zum Versicherungsfall und zu seiner Leistungspflicht mehr treffen kann. Dieser Beweis wird im Zweifel nicht zu erbringen sein. Es ist nicht anzunehmen, dass der VR vor der Reparatur keine weiteren Feststellungen hätte treffen können als anhand des vorgelegten Sachverständigengutachtens, wenn der Sachverständige keine Feststellungen zur Plausibilität und Kompatibilität des Schadens und der Schadensschilderung getroffen hat. Es wird kaum die Möglichkeit zu widerlegen sein, dass der VR durch weitergehende Untersuchungen Erkenntnisse zur Schadenursache hätte gewinnen können, die seine Leistungspflicht dem Grunde oder der Höhe nach beschränkt hätte.