Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Gerichtsstand


    Das müssen Sie bei der Kraftloserklärung eines Versicherungsscheins beachten


    von RiOLG Frank-Michael Goebel, Koblenz


    Gemäß § 466 Abs. 1 FamFG ist für das Aufgebotsverfahren zur Kraftloserklärung von Urkunden dasjenige Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der in der Urkunde bezeichnete Erfüllungsort liegt. Nur in dem Fall, dass die Urkunde eine solche Bezeichnung nicht enthält, ist das Gericht örtlich zuständig, bei dem der Aussteller seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, in Ermangelung auch eines solchen Gerichts dasjenige, bei dem der Aussteller zur Zeit der Ausstellung seinen allgemeinen Gerichtsstand gehabt hat (OLG Düsseldorf 30.7.12, 3 Wx 102/12, Abruf-Nr. 131015).

    Sachverhalt


    Der VN begehrt die Auszahlung einer Versicherungsleistung. Der VR verweigert das, da der Originalversicherungsschein nicht vorgelegt werden kann und dessen Kraftloserklärung bisher nicht erfolgt ist. Der VN hat beim AG seines Wohnorts deshalb einen Aufgebotsantrag gestellt. Dieses verneint jedoch seine örtliche Zuständigkeit. Zuständig sei das AG am Sitz des VR. 


    Entscheidungsgründe/Praxishinweis


    Das OLG stimmt dem AG nach Maßgabe der im Leitsatz wiedergegebenen Grundsätze zu. Weder der vertragliche noch der gesetzliche Erfüllungsort könnte eine Zuständigkeit am Wohnsitz des VN begründen. Während der vertragliche Erfüllungsort eine Frage des Einzelfalls ist, hilfsweise der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbestimmungen, sind die Ausführungen zum gesetzlichen Erfüllungsort von besonderem Interesse, wenn es an einer vertraglichen Vereinbarung fehlt. 


    • Übersicht: Die Streitfrage zum gesetzlichen Erfüllungsort

    Das OLG Düsseldorf arbeitet die beiden Ansichten heraus, wie der Erfüllungsort für den Anspruch auf Auszahlung der Versicherungsleistung zu bestimmen ist.


    • Aus § 270 Abs. 4 BGB, wonach die Regeln über den Leistungsort gemäß § 269 BGB unberührt bleiben, hat die traditionell ganz überwiegende und auch heute noch herrschende Meinung geschlossen, dass davon auszugehen sei, bei einer Geldschuld handele es sich um eine Schickschuld, bei der Erfüllungsort der Sitz des Schuldners sei, allerdings mit den Besonderheiten, dass der Schuldner die Übermittlungskosten und vor allen Dingen die Verlustgefahr bei der Übermittlung trage (daher sogenannte qualifizierte Schickschuld). 


    • Die abweichende Auffassung sah in der Vergangenheit und sieht namentlich heute vor dem Hintergrund der sogenannten EG-Zahlungsverzugsrichtlinie aus dem Jahre 2000 in Verbindung mit ergangener Rechtsprechung des EuGH die Geldschuld als qualifizierte Bringschuld, bei der Erfüllungsort Sitz des Gläubigers sei.

    Im konkreten Fall kommen die Ansichten allerdings nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen. Auch die zweite Ansicht geht davon aus, dass es nicht hinnehmbar sei, dass ein Geldgläubiger, gestützt auf § 29 Abs. 1 ZPO, die Geldforderung an seinem eigenen Wohn- oder Geschäftssitz einklagen könne. Mit anderen Worten bestehe bei der Geldschuld ungeachtet ihrer Einordnung als Bringschuld die Besonderheit, dass gemäß § 270 Abs. 4 BGB i.V.m. § 269 BGB Gerichtsstand grundsätzlich der Sitz des Schuldners sei (Schön AcP 98, 401/443 f.; Schwab NJW 11, 2833; Staudinger-Bittner, BGB, Neubearb. 2009, § 270 Rn. 2; Palandt-Grüneberg, BGB, 71. Aufl. 2012, § 270 Rn. 1; zum Streitstand insgesamt auch: MK-Krüger, BGB, 6. Aufl. 2012, § 370 Rn. 1 f.).


    • Danach bleibt es dabei, dass bei einer Geldschuld der Gerichtsstand nicht nach dem Sitz des Gläubigers, sondern dem des Schuldners zu bestimmen ist. Nicht anders sollte dann die Lage bei sonstigen verfahrensrechtlichen Vorschriften, die eine Rechtsfolge für ein gerichtliches Verfahren an den Erfüllungsort knüpfen, beurteilt werden, wie bei der Zuständigkeitsbestimmung nach § 466 FamFG. Eine nach den vom Gesetzgeber mit den Vorschriften verfolgten (Schutz-)Zwecken differenzierte Betrachtung würde nicht genügend berücksichtigen, dass die Verweisung in § 270 Abs. 4 BGB eine einheitliche ist, und überdies zur Zersplitterung der Verfahrensfolgen führt.


    • Erst recht gelangt man zu dem Ergebnis der Maßgeblichkeit des Sitzes des Schuldners, wenn man die Geldschuld nach wie vor als qualifizierte Schickschuld ansieht.


    Die Entscheidung löst einen in der Praxis nicht seltenen Fall des verlorengegangenen oder jedenfalls nicht wieder auffindbaren Versicherungsscheins. Seine Vorlage ist Auszahlungsvoraussetzung. Liegt er nicht vor, muss zeitnah das Aufgebotsverfahren nach §§ 466 ff. FamFG eingeleitet werden. Wählt der Bevollmächtigte des VN dabei einen unzutreffenden Gerichtsstand, kann dies die Auszahlung der Versicherungssumme nicht unerheblich verzögern. Dem Grundsatz des sichersten Wegs folgend und die Interessen des VN auf eine schnelle Herstellung der Auszahlungsvoraussetzungen achtend, sollte der Antrag stets beim AG am Sitz des VR eingereicht werden. 


    Weiterführender Hinweis


    • Aufgebotsverfahren: So vergessen Sie nichts: VE 08, 205
    Quelle: Ausgabe 04 / 2013 | Seite 58 | ID 38787880