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  • · Fachbeitrag · Prozessrecht

    Teilurteil ist bei Klagehäufung nach Vertragsrücktritt und -anfechtung unzulässig

    von RiOLG Frank-Michael Goebel, Rhens

    Begehrt der Kläger im Wege der objektiven Klagehäufung die Feststellung, dass das Versicherungsverhältnis nicht durch eine rechtsgestaltende Willenserklärung des VR beendet worden ist, und gleichzeitig dessen Verurteilung zu bedingungsgemäßen Leistungen, ist der Erlass eines Teilurteils über den Feststellungsantrag unzulässig (OLG Nürnberg 24.3.14, 8 U 2132/13, Abruf-Nr. 141565).

     

    Sachverhalt

    Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) und einer Risikolebensversicherung. Die vorgesehene Vertragslaufzeit sollte vom 1.4.06 bis zum 31.3.29 sein. Am 6.10.10 stellt der VN einen Leistungsantrag aus der BUZ. Der VR antwortete darauf mit dem Rücktritt und der Anfechtung des BUZ-Vertrags wegen arglistiger Täuschung.

     

    Der VN begehrt die Feststellung, dass der BUZ-Vertrag weder durch die Anfechtung noch durch den Rücktritt beendet wurde. Er verlangt zudem eine vertragsgemäße Rente ab dem 1.11.10 von 700 EUR monatlich. Der VR hält an seinen Gestaltungsrechten fest und bestreitet im Übrigen die Berufsunfähigkeit. Das LG hat der Feststellungsklage nach Beweisaufnahme durch Teilurteil stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung des VR.

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Nach § 538 Abs. 2 S. 3 ZPO ist das Berufungsgericht auch ohne Antrag der Parteien berechtigt, ein Urteil aufzuheben und das Verfahren zurückzuverweisen, wenn es sich um ein unzulässiges Teilurteil handelt.

     

    Merke | Die Zurückverweisung führt dazu, dass in der Sache keine Entscheidung getroffen wird, aber sowohl für das Berufungsverfahren (§ 17 Nr. 1 RVG) als auch für das erneute Verfahren in erster Instanz (§ 21 Abs. 1 RVG) Kosten anfallen. Die Bevollmächtigten erhalten mithin ihre Gebühren für jedes Verfahren gesondert, insgesamt dreimal (Ausgangsverfahren, Berufungsverfahren und Fortsetzungsverfahren).

     

    Die Voraussetzungen für die Zurückverweisung hat das OLG Nürnberg im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung als gegeben angesehen.

     

    Übersicht / Wann ist ein Teilurteil unzulässig?

    Nach ständiger Rechtsprechung des BGH darf kein Teilurteil ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen - auch infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht - besteht. Eine Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist namentlich dann gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren

    über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Das gilt auch insoweit, als es um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen geht, die weder in Rechtskraft erwachsen, noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden. Eine solche Gefahr besteht bei einer Mehrheit selbstständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen den prozessual selbstständigen Ansprüchen eine materiell-rechtliche Verzahnung besteht oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt sind (BGH NJW 11, 2736; BGH Prozessrecht aktiv 13, 121 jeweils m.w.N.). Im Falle der objektiven Klagehäufung von Leistungs- und Feststellungsansprüchen, die aus demselben tatsächlichen Geschehen hergeleitet werden, darf daher durch Teilurteil nur gesondert über einen oder nur einen Teil der Ansprüche entschieden werden, wenn zugleich ein Grundurteil über die restlichen Anspruchsteile ergeht (BGH NJW 01, 760; BGH NJW 92, 511).

     

    Diesen Maßstäben genügte die Entscheidung der ersten Instanz nicht. Im Rahmen des Leistungsbegehrens ist nämlich erneut über die Frage zu entscheiden, ob der BUZ-Vertrag noch besteht, oder ob er durch die Anfechtung bzw. den Rücktritt beendet wurde.

     

    Merke | Um einem unzulässigen Teilurteil vorzubeugen, müsste also - wie vom BGH vorgezeichnet - wegen des Leistungsbegehrens zumindest ein Grundurteil ergehen. Das setzt aber voraus, dass sicher feststeht (§ 286 ZPO), dass der Kläger bedingungsgemäß berufsunfähig ist und ihm zumindest dem Grunde nach Leistungen zustehen. Das war vorliegend aber nicht möglich, weil die beklagte VR die Berufsunfähigkeit hilfsweise auch bestritten hatte und hierüber zunächst Beweis zu erheben war.

     

    Das OLG hätte aber auch anders verfahren können, da die Zurückverweisung in seinem Ermessen steht. Es hätte den Rechtsstreit als Ganzes an sich ziehen können, um

     

    • die noch ausstehende Beweisaufnahme unter Berücksichtigung des Beschleunigungsinteresses der Parteien und der Kosten selbst durchzuführen und dann insgesamt zu entscheiden oder

     

    • die Klage auf der Grundlage der Feststellungen des Ausgangsgerichts, aber mit einer abweichenden rechtlichen Würdigung insgesamt abzuweisen. Wäre der Vertrag durch die Anfechtung oder den Rücktritt zu Fall gebracht, fehlt es an einer Grundlage für das Leistungsbegehren. Auf die Frage, ob der VN tatsächlich berufsunfähig ist, kommt es nicht mehr an.

     

    Verfahrensrechtlich ist bei einem zulässigen Teilurteil zu beachten: Dem in der ersten Instanz anhängig gebliebenen Verfahrensteil ist während des Rechtsmittelverfahrens grundsätzlich Fortgang zu geben. Das Gericht darf die Fortsetzung des Rechtsstreits nicht mit der Begründung ablehnen, dass sich die Akten beim Rechtsmittelgericht befinden (Zöller, ZPO, 30. Auflage, Rn. 12 zu § 301). Teilurteil und Schlussurteil sind selbstständig anfechtbar und jeweils der Rechtskraft fähig. Die rechtzeitige Anfechtung des Teilurteils hemmt nicht den Eintritt der Rechtskraft des Schlussurteils (BGH VersR 86, 1210).

     

    Merke | Dies wird in der Praxis nicht selten anders gehandhabt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgebots und - im konkreten Fall - des Unterhaltscharakters der erstrebten Leistung, sollte das Ausgangsgericht hierauf hingewiesen und bei der Zurückweisung der Fortsetzung des Verfahrens Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG erhoben werden. Das Ausgangsgericht kann die Akten kurzfristig vom Berufungsgericht zurückfordern und eine Zweitakte anlegen.

     

    Das Urteil des OLG ist für die Parteien misslich. Wertvolle Zeit ist verloren, ohne dass in der Sache ein Fortschritt erzielt wurde. Ferner sind weitere Kosten entstanden, die das Prozesskostenrisiko weiter erhöhen. Deshalb muss der Bevollmächtigte bei einem „drohenden“ Teilurteil schon im Ausgangsverfahren selbstständig prüfen, ob hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind und nötigenfalls fundiert intervenieren. Ist das Kind aber einmal in den Brunnen gefallen, kann nur das Berufungsgericht gebeten werden, die Sache nicht zurückzuverweisen, sondern durchzuentscheiden. Die hierfür sprechenden Gründe sollten dargelegt werden.

     

    Tipp | Die Mandanten, VR wie VN, können die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens sparen, wenn das Berufungsgericht diese niederschlägt. Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, werden nämlich nach § 21 Abs. 1 S. 1 GKG nicht erhoben. Die Entscheidung hierüber trifft das Berufungsgericht grundsätzlich von Amts wegen. Da dies aber - wie auch im Fall des OLG Nürnberg - in der Praxis häufig vergessen wird, sollte dies ausdrücklich beantragt werden, wenn das Gericht darauf hinweist, dass es nach § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO vorgehen möchte.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 93 | ID 42662996