· Fachbeitrag · Rücktritt
Auf die richtige Belehrung kommt es an
von RiOLG Frank-Michael Goebel, Rhens
(KG Berlin 23.5.14, 6 U 210/13, Abruf-Nr. 143165) |
Praxishinweis
Verletzt der VN vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Mitteilungs- oder Anzeigepflichten bezüglich der Gefahrumstände für das versicherte Risiko, kann der VR nach § 19 VVG vom Vertrag zurücktreten, in anderen Verschuldensformen den Vertrag unter Einhaltung einer Monatsfrist kündigen.
Wichtig | Gegenüber dem alten Recht ist die Bestimmung dahin eingeengt worden, dass sie nur noch unzutreffende Antworten auf Fragen des VR betrifft. Es besteht keine allgemeine Offenbarungspflicht des VN hinsichtlich gefahrerhöhender Umstände mehr. Das kann in Grenzbereichen unscharf sein. Wird nicht geantwortet oder ersichtlich unvollständig oder unklar, muss der VR nachfragen, wenn er sich auf die Pflichtverletzung berufen will.
Dass eine Pflichtverletzung vorliegt, muss der VR darlegen und beweisen. Der VR muss also die Unrichtigkeit (Unvollständigkeit) der Anzeige, die Gefahrerheblichkeit der Umstände, um die es geht, die Kenntnis des VN von diesen Umständen, die Frage nach diesen Umständen und die Kenntnis des VN von den Fragen nachweisen (Prölss/Martin, VVG, § 19 Rn. 68). Das Rücktrittsrecht des VR wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht und sein Kündigungsrecht sind allerdings ausgeschlossen, wenn er den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte.
Wichtig | Die Darlegungs- und Beweislast für diese ihm günstige Folge trifft nun den VN. Allerdings muss der VR im Rahmen der sekundären Darlegungs- und Beweislast zu seinen Geschäftsgrundsätzen vortragen.
Die anderen Bedingungen werden dann auf Verlangen des VR rückwirkend, bei einer vom VN nicht zu vertretenden Pflichtverletzung ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil. Das KG spricht mit dem zweiten Leitsatz dabei eine Selbstverständlichkeit aus: Hat sich ein Versicherungsfall gerade im Bereich des rückwirkenden Bedingungsausschlusses ereignet, kann der VN keine Versicherungsleistungen beanspruchen. Auf Selbstverständlichkeiten muss der VR den VN auch nicht hinweisen.
Nach § 19 Abs. 5 VVG stehen dem VR das Rücktritts- und das Kündigungsrecht nur zu, wenn er den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. Der VR muss den VN also belehren. Die Entscheidung des KG betrifft nun die Frage, ob eine gesonderte Belehrung auch dann vorliegen kann, wenn die Belehrung Teil des Antragsformulars ist, insbesondere in Zusammenhang mit den Erklärungen des VN steht. Das KG bejaht dies im Sinne der Leitsätze und reduziert die „gesonderte Mitteilung“ damit auf eine „hervorgehobene Belehrung“. Sie muss drucktechnisch als auch hinsichtlich der Platzierung so ausgestaltet sein, dass sie sich deutlich vom übrigen Text abhebt und vom VN nicht übersehen werden kann. Beachtet werden muss, dass Letzteres infrage stehen kann, wenn weitere Textpassagen hervorgehoben sind, sodass die Konzentration des VN umgelenkt wird. Letztlich wird die Beurteilung dieser Frage nach den konkreten Ausgestaltungen im Einzelfall zu entscheiden sein. Das verlangt vom Bevollmächtigten einen umfassenden Vortrag hierzu und beinhaltet letztlich ein gewisses Risiko vor allem für den VR.
Wichtig | Es ist davon auszugehen, dass der BGH diese Auffassung teilt, da die Beschwerde des VN gegen die Zurückweisungsentscheidung des KG nach § 522 Abs. 2 ZPO nach einem Hinweis des BGH zurückgenommen wurde. Es entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass eine Belehrung ihrer Warnfunktion gerade dann gerecht wird, wenn sie dem VN im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit den an ihn gerichteten Fragen zur Kenntnis gebracht wird (BGH VK 13, 14 = NJW 13, 873).
Die Rechtsprechung des BGH und des KG ist allerdings so zu verstehen, dass eine drucktechnisch hervorgehobene und nicht zu übersehende Belehrung in den Antragsunterlagen als Privilegierung des VR gewährt wird. Sie stellt die Praxis vieler VR, ein gesondertes Belehrungsblatt zu erstellen, nicht infrage.
Darf die Belehrung schriftlich sein, muss sie darüber hinaus - ebenso wie die Fragen zur versicherten Gefahr nach § 19 Abs. 1 VVG - aber zumindest in Textform (§ 126b BGB) erfolgen. Die Textform hat damit eine gegenüber der mündlichen Erläuterung tiefere und dauerhaftere Informationsfunktion und zugleich eine Dokumentationsfunktion. Dem in der Praxis zu genügen, ist nicht immer einfach, insbesondere wenn der Versicherungsvertreter den VN zu Hause aufsucht. Das KG baut hier Brücken im Sinne der Leitsätze 3 und 4, ohne allerdings von den Grundfunktionen des Textformerfordernisses zu lassen. Der Anwalt des VN wird also auch hier immer hinterfragen müssen, ob diesen Belangen Rechnung getragen wurde.
Wichtig | Das Belehrungserfordernis gilt nicht für den Fall der Arglist, da der arglistige VN nicht schutzwürdig ist (BGH NJW-RR 09, 1036).