· Fachbeitrag · Vertragsanfechtung
Wer tatsächlich etwas vergisst, macht keine Falschaussage
| Auch wenn der VN gegenüber dem Vorwurf unvollständiger Gesundheitsangaben vor Vertragsschluss „Vergessen“ einwendet, dürfte die Beweislast beim VR bleiben. Der VN kann sich jedoch nicht mit Erfolg darauf berufen, einen Umstand vergessen zu haben, an den er sich bei zumutbarer Anstrengung seines Gedächtnisses hätte erinnern können. |
Sachverhalt
Die VN verlangt Leistungen aus einer BUZ-Versicherung. Der VR weigert sich zu zahlen. Er hat den Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten. Die VN litt unter Beschwerden der Wirbelsäule und war deshalb vier Jahre vor Vertragsschluss mehrfach bei einem Orthopäden, u.a. zu einer Röntgenaufnahme. Sie macht geltend, dass sie sich an die Behandlung der Wirbelsäulenbeschwerden nicht mehr erinnert habe. Sie spreche schlecht Deutsch. Die Diagnosen seien ihr nicht ‒ für sie verständlich ‒ mitgeteilt worden.
Entscheidungsgründe
Das OLG Hamm hat die Klage der VN abgewiesen (1.12.17, 20 U 64/17, Abruf-Nr. 200812). Sie habe arglistig gehandelt. Der VR konnte daher den Vertrag wirksam anfechten.
Die VN kann sich nicht darauf berufen, dass sie bei Vertragsschluss nicht an die Wirbelsäuleuntersuchungen und -behandlungen gedacht habe.
- Zwar liegt bei einem „echten Vergessen“ einer Erkrankung oder Behandlung keine vorsätzliche Falschangabe vor. Der Senat geht auch davon aus, dass der VR ggf. ein solches Vergessen widerlegen muss (vgl. Rixecker, in: Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl. 2016, § 31 Rn. 15; a. A. etwa LG Dortmund zfs 16, 631). Der VR trägt die Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich eine vorsätzliche falsche Antwort ergibt.
- Die VN kann sich jedoch nicht mit Erfolg darauf berufen, einen Umstand vergessen zu haben, an den er sich bei zumutbarer Anstrengung seines Gedächtnisses hätte erinnern können (BGH VersR 09, 529). Denn auch bei einer Antwort ohne diese Anstrengung nimmt der VN eine falsche Antwort billigend in Kauf.
Relevanz für die Praxis
Wichtig ist die Grundaussage des OLG: Wer wirklich etwas vergisst, macht keine vorsätzliche Falschaussage. Das OLG schließt sich dabei auch der VN-freundlichen Ansicht an, dass der VR ein solches Vergessen widerlegen muss. Allerdings ist das für den VR meist nicht schwer. Oft liegt es auf der Hand, dass kein wirkliches Vergessen vorliegt. Dann muss der VN versuchen, über die sekundäre Darlegungslast zu retten, was zu retten ist. Hier ist ausführlicher Sachvortrag erforderlich, um objektive Falschangaben zu erklären (vgl. BGH VersR 08, 242).