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  • · Fachbeitrag · Allgemeines Versicherungsvertragsrecht

    Alte AVB und neues VVG: BGH bestätigt Sanktionslosigkeit von Obliegenheitsverletzungen

    • 1.Die Sanktionsregelung bei Verletzung vertraglich vereinbarter Obliegenheiten (hier: § 11 Nr. 2 S. 1 bis S. 3 VGB 88) ist unwirksam, wenn der VR von der Möglichkeit der Vertragsanpassung gemäß Art. 1 Abs. 3 EGVVG keinen Gebrauch gemacht hat. Der VR kann deshalb bei grob fahrlässiger Verletzung vertraglicher Obliegenheiten kein Leistungskürzungsrecht gemäß § 28 Abs. 2 S. 2 VVG geltend machen.
    • 2.Auf die Verletzung gesetzlicher Obliegenheiten (hier: grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls gemäß § 81 Abs. 2 VVG) kann sich der VR weiterhin berufen.

    (BGH 12.10.11, IV ZR 199/10, Abruf-Nr. 113385)

    Sachverhalt

    Im Januar 2009 kam es in der leer stehenden, nicht beheizten Wohnung des VN zu einem Leitungswasserschaden. Er nahm daraufhin seine Wohngebäudeversicherung in Anspruch (Allgemeine Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 88) in der Fassung Januar 1995). Der VR berief sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung. Nach § 11 der VGB 88 habe der VN in der kalten Jahreszeit alle Gebäude und Gebäudeteile zu beheizen und diese genügend häufig zu kontrollieren, dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten. Dies habe er nicht getan. Zudem habe er seine Aufklärungsobliegenheit verletzt, eine Gefahrerhöhung vorgenommen und den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt. Das LG Köln hat der Klage des VN auf Zahlung von Reparaturaufwendungen stattgegeben. Die Berufung zum OLG Köln (VersR 10, 1592) blieb ohne Erfolg. Da der Versicherungsfall im Jahr 2009 eingetreten ist, findet gemäß Art. 1 Abs. 1 EGVVG das VVG in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.07 (BGBl. I 2631) Anwendung. Eine nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG mögliche Anpassung der VGB 88 an die Vorschriften des VVG 2008 nahm die Beklagte nicht vor.

     

    Entscheidungsgründe

    Nicht angepasste AVB orientieren sich weiter an der alten Rechtslage (§ 6 VVG a.F.), sehen also insbesondere ein Kündigungsrecht bei einfacher Fahrlässigkeit bzw. vollständige Leistungsfreiheit auch bei grober Fahrlässigkeit und den Kausalitätsgegenbeweis nicht bei Vorsatz bzw. nur bei grober Fahrlässigkeit vor. Seit dem 1.1.09 weichen solche Regelungen von § 28 VVG zum Nachteil des VN ab und verstoßen damit insbesondere gegen § 32 S. 1 VVG. Denn der VR ist bei Verletzung einer Obliegenheit vor Eintritt des Versicherungsfalls nur noch bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit zur Kündigung berechtigt, also gerade nicht mehr bei einfacher Fahrlässigkeit (§ 28 Abs. 1 VVG). Bei Leistungsfreiheit wird nicht (mehr) zwischen Obliegenheiten vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls unterschieden. Bei grober Fahrlässigkeit ist der VR „nur“ berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen; eine Kürzung um 100 Prozent ist aber möglich (BGH 22.6.11, IV ZR 225/10, Abruf-Nr. 112152). Insofern bleibt es bei der Vermutung grober Fahrlässigkeit, die Beweislast für den Umfang trägt jedoch der VR (§ 28 Abs. 2 S. 2 VVG). Völlige Leistungsfreiheit tritt dem Wortlaut nach nur bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung ein. Die Beweislast für Vorsatz liegt beim VR (§ 28 Abs. 2 S. 1 VVG) und wird nicht (mehr) vermutet. Der Kausalitätsgegenbeweis ist generell möglich. Die Beweislast liegt beim VN. Eine Ausnahme wird nur bei Arglist gemacht (§ 28 Abs. 3 VVG). Bei Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten ist Voraussetzung für vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit, dass der VR den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform auch auf die (vereinbarte) Rechtsfolge hingewiesen hat (§ 28 Abs. 4 VVG). Die Relevanzrechtsprechung spielt keine Rolle mehr.