01.12.2006 | Private Krankenversicherung
Checkliste zur Begründetheit einer Klage auf Kostenerstattung bei künstlicher Befruchtung
von RiLG Dr. Sven Marlow, Berlin
Die aktuellen Entscheidungen des BGH zur Kostenerstattungspflicht des privaten Krankenversicherers (siehe Seite 204) sollen Anlass dazu geben, die Voraussetzungen für die Begründetheit einer Klage auf Kostenerstattung für Maßnahmen künstlicher Befruchtung zusammenzufassen.
Checkliste: Begründetheit von Kostenerstattungsklagen bei künstlicher Befruchtung |
Bei der Prüfung der Begründetheit einer Klage auf Kostenerstattung für Maßnahmen künstlicher Befruchtung sind insbesondere die folgenden Punkte zu berücksichtigen:
Der BGH hat bereits 1986 klargestellt, dass die Sterilität als eigene Krankheit anzusehen ist. Die Kinderlosigkeit als solche ist keine Krankheit (BGH VersR 87, 278 = r+s 87, 80). Eine Krankheit im Sinne der Bedingungen liegt zudem nur bei dem Partner vor, der organisch bedingt fortpflanzungsunfähig ist. Die Krankheit betrifft dagegen nicht den anderen Partner, bei dem diese Fähigkeit unbeeinträchtigt ist, dessen körperlicher Zustand sich insoweit gerade als regelgerecht, also als gesund darstellt (BGH VersR 98, 87 = r+s 98, 75). Das Ende der Kinderlosigkeit führt nicht zu einer Linderung oder gar Heilung der Unfruchtbarkeit. Die Sterilität besteht auch nach der Geburt eines oder mehrerer Kinder fort (grundlegend BGH VK 06, 13 = Abruf-Nr. 053084). Krankheit kann auch eine psychische Erkrankung infolge der Kinderlosigkeit sein (BGH, a.aO.).
Maßnahmen künstlicher Befruchtung sind Heilbehandlungsmaßnahmen, da sie zumindest auf eine Linderung der Sterilität zielen, auch wenn sie nicht bezwecken, die Ursachen der Krankheit Sterilität zu beseitigen. Linderung bedeutet nicht nur die unmittelbare Besserung eines krankhaften Zustands. Von der Linderung einer Krankheit durch ärztliche Tätigkeit kann vielmehr auch gesprochen werden, wenn diese auf die Abschwächung, eine partielle oder völlige Unterbindung oder Beseitigung von Krankheitsfolgen gerichtet ist oder eine Ersatzfunktion für ein ausgefallenes Organ bezweckt (BGH VersR 87, 278 = r+s 87, 80).
Es besteht ein Kostenerstattungsanspruch des unfruchtbaren Manns auch für die bei seiner Frau durchgeführten IVF-Behandlungen (BGH VersR 04, 588 = r+s 04, 201) und umgekehrt (BGH 13.9.06, IV ZR 133/05 = 2. Besprechungsurteil). Denn ein verständiger VN wird unter der „Heilbehandlung einer versicherten Person“ i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 MBKK 94 für den Fall der Linderung einer Krankheit diejenigen ärztlichen Maßnahmen verstehen, die in ihrer Gesamtheit auf den Linderungserfolg abzielen. Er kann nicht damit rechnen, dass die Behandlung ohne Rücksicht auf deren medizinischen Handlungssinn in Teilakte aufgespalten wird, die für sich genommen keine Linderung erzielen können (BGH VersR 04, 588 = r+s 04, 201).
Der BGH hat in seiner sog. Zweitekindentscheidung (BGH VK 06, 13 = Abruf-Nr. 053084) die Anforderungen an die medizinische Notwendigkeit bei Maßnahmen künstlicher Befruchtung näher konkretisiert (allgemein zur medizinischen Notwendigkeit siehe Marlow, VK 06, 127).
Maßgeblich für die bedingungsgemäße Notwendigkeit der IVF/ICSI-Behandlung ist danach zunächst, dass diese eine – und nicht die einzige – medizinisch anerkannte Methode zur Überwindung der Sterilität darstellt. Das besagt aber noch nicht, dass die Maßnahme auch in jedem Einzelfall ausreichend Erfolg versprechend ist, um ihre bedingungsgemäße Notwendigkeit zu bejahen. Von einer nicht mehr ausreichenden Erfolgsaussicht ist auszugehen, wenn eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 15 Prozent nicht mehr erreicht wird. Dabei ist die Erfolgswahrscheinlichkeit in einem ersten Schritt generell nach dem Alter der Frau anhand des IVF-Registers und in einem zweiten Schritt individuell zu beurteilen.
In der Praxis wenden die VR regelmäßig ein, einem Kostenerstattungsanspruch des eigenen VN stehe – zumindest teilweise – ein (Teil-) Erstattungsanspruchs des Partners, sei es im Rahmen der Gesetzlichen oder der Privaten Krankenversicherung, entgegen. Gegen diesen Einwand spricht jedoch, dass der VN keinen eigenen Anspruch gegen den VR seines Partners hat, gleichgültig ob es sich um einen privaten oder einen öffentlichen Krankenversicherer handelt (BGH VersR 04, 588 = r+s 04, 201; BGH 13.9.06, IV ZR 133/05 = 2. Besprechungsurteil).
Der BGH hat ursprünglich bei Maßnahmen künstlicher Befruchtung stets betont, dass das private Versicherungsverhältnis in besonderem Maße den Grundsätzen von Treu und Glauben unterstehe. Der VN müsse daher bei der Inanspruchnahme einer besonders kostenträchtigen und nicht vital lebensnotwendigen Behandlung in angemessener Weise Rücksicht auf den VR und die Versichertengemeinschaft nehmen. Deshalb brauche der VR jedenfalls ganz unverhältnismäßige Kosten dafür nicht zu erstatten (grundlegend BGH VersR 87, 278 = r+s 87, 80).
Davon scheint er nun in seiner „Zweitekindentscheidung“ abgegangen zu sein: „Der Bereich, in dem eine Leistungsfreiheit des VR nach Treu und Glauben in Betracht zu ziehen ist, bleibt nach allem auf besondere Einzelfälle beschränkt“ (BGH VK 06, 13 = Abruf-Nr. 053084). |
Quelle: Ausgabe 12 / 2006 | Seite 206 | ID 94570