01.01.2006 | Private Krankenversicherung
Kostenerstattung für ein zweites Kind?
Die Kosten einer auf die Geburt eines zweiten Kindes abzielenden homologen In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) sind in der privaten Krankenversicherung grundsätzlich erstattungsfähig (BGH 21.9.05, IV ZR 113/04, Abruf-Nr. 053084). |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der bei der Beklagten privat krankenversicherte VN ist organisch bedingt steril. Er hatte bereits mittels künstlicher Befruchtung ein Kind mit seiner Ehefrau gezeugt, deren Kosten der VR getragen hatte. Nunmehr verlangte er vom VR die Kosten für weitere Behandlungszyklen einer homologen In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) für ein zweites Kind. Das OLG München (VersR 05, 638) als Vorinstanz hatte die auf Erstattung der Kosten für zwei bereits erfolglos durchgeführte Behandlungszyklen und auf Feststellung der Erstattungspflicht für weitere acht Behandlungszyklen gerichtete Klage insgesamt mit der Begründung abgewiesen, dass ein Versicherungsfall nicht in Betracht komme: Die Folge der Krankheit des VN, nämlich die Kinderlosigkeit auf Grund seiner Fertilitätsstörung, sei durch die Geburt des ersten Kindes gelindert.
Der BGH dagegen bejaht einen Kostenerstattungsanspruch für das zweite Kind. Trotz der erfolgreichen Zeugung eines ersten Kindes bestehe die Sterilität und damit eine Krankheit i.S.v. § 1 (2) AVB-KK fort. Auf die dadurch allein beseitigte Kinderlosigkeit komme es nicht an. Die kombinierte IVF-/ICSI-Behandlung stelle auch in ihrer Gesamtheit eine Heilbehandlung des kranken VN dar (grundlegend BGH VersR 04, 588 = r+s 04, 201). Der in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts gefasste Entschluss von Ehegatten nach einem gemeinsamen Kind sei jeder rechtlichen Nachprüfung auf seine Notwendigkeit entzogen. Die medizinische Notwendigkeit der Behandlungen erfordere nur eine ausreichende Erfolgsaussicht im Einzelfall (mindestens 15 Prozent). Das sei ggf. in zwei Stufen – zuerst anhand des IVF-Registers, sodann anhand individueller Faktoren – zu ermitteln.
Praxishinweis
Die Kosten für ein zweites Kind durch künstliche Befruchtung sind also grundsätzlich zu erstatten. Allerdings nur, wenn die Behandlungen medizinisch notwendig sind, also letztlich eine ausreichende Erfolgswahrscheinlichkeit (maßgebend Prognose vor bzw. bei Behandlungsbeginn!) besteht, die der BGH für diese „nicht vital lebensnotwendige“ Behandlung mit mindestens 15 Prozent ansetzt (so dass rechnerisch eine positive Prognose nach dem sechsten erfolglosen Versuch nicht mehr gestellt werden kann). Das ist im Prozess ggf. durch ein Sachverständigengutachten anhand der folgenden, in der Entscheidung aufgestellten Vorgaben zu klären: Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist zunächst generell nach dem Alter der Frau anhand der im IVF-Register ermittelten Durchschnittswerte der jeweiligen Altersgruppe zu bestimmen. Danach wird im Durchschnitt bei Frauen nach Vollendung des 40. Lebensjahres eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 15 Prozent nicht mehr erreicht. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die individuellen Erfolgsaussichten höher oder niedriger einzuschätzen sind. Hierbei kann es z.B. darauf ankommen, ob eine frühere IVF-/ICSI-Behandlung erfolgreich war, ob dafür viele oder nur wenige Versuche erforderlich waren oder eine Abweichung des allgemeinen Gesundheitszustands der Frau vom Durchschnitt ihrer Altersgruppe vorliegt. Im konkreten Fall war die Frau bei Vornahme der zwei bereits durchgeführten Behandlungszyklen zwar bereits im 41. bzw. 42. Lebensjahr. Es bestand bei ihr also statistisch eine Erfolgswahrscheinlichkeit von unter 15 Prozent. Jedoch sprachen für eine individuell mindestens 15-prozentige Erfolgswahrscheinlichkeit die frühere, schon beim dritten Versuch erfolgreiche IVF-/ICSI-Behandlung zur Zeugung des ersten Kindes.
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