Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 06.03.2008 | Unfallversicherung

    Darlegungs- und Beweislast für die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsbeschädigung

    von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte
    1. Eine freiwillige Selbsttötung kann als erwiesen angesehen werden, wenn sich ein unfreiwilliger Vorgang nur durch eine Kette von Ungereimtheiten erklären ließe oder sich eine Erklärung für einen unfreiwilligen Hergang des Geschehens nicht finden lässt (hier: Überrollen durch einen Zug an abgelegener Stelle auf den Gleisen, an denen sich kein Weg befindet, der die Gleise kreuzt).  
    2. Der durch den Geschehensablauf erbrachte Nachweis der Selbsttötung kann nicht durch die Behauptung erschüttert werden, der Verstorbene sei kein Mensch gewesen, der zu einem Suizid in der Lage gewesen wäre und so etwas für sich habe behalten können, sondern einer, der Pläne für die Zukunft gehabt habe. Denn menschliches Verhalten lässt sich nicht typisieren in dem Sinn, dass sicher vorhersehbar ist, wie ein Mensch in einer gegebenen Situation reagieren wird. Selbst das Fehlen eines Abschiedbriefs ist deshalb kein Indiz gegen einen Suizid.  

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Die Kläger machen die vereinbarte Todesfallleistung aus der Unfallversicherung ihres verstorbenen Sohnes geltend. Der VR hat sich auf nicht versicherte Selbsttötung berufen. Die Klage hatte keinen Erfolg. Es gebe für einen Suizid zwar keinen direkten Beweis. Insbesondere fehle ein Abschiedsbrief. Der Versicherte sei aber nachts um 3.00 Uhr mindestens 200 m von jeder Straße entfernt von einem Zug überrollt worden. Eine andere Erklärung als eine beabsichtigte Selbsttötung sei dafür nicht ersichtlich. Mit der Behauptung, der Versicherte sei kein Mensch für einen Suizid gewesen, lasse sich diese Überzeugung nicht erschüttern. Ein spontan gefasster Entschluss erkläre den Vorfall ohne Weiteres.  

     

    Praxishinweis

    Ein Unfall liegt nur vor, wenn der Versicherte durch ein Unfallereignis unfreiwillig eine Gesundheitsbeschädigung erleidet. Dabei bezieht sich die Unfreiwilligkeit nicht auf das Unfallereignis, sondern – wie sich schon aus der Unfalldefinition ergibt – auf die dadurch verursachte Gesundheitsschädigung. Nach § 180a VVG a.F. = § 178 Abs. 2 S. 2 VVG n.F. wird vermutet, dass die Gesundheitsbeschädigung unfreiwillig eingetreten ist. Will der VR leistungsfrei sein, muss er deshalb die Freiwilligkeit beweisen. Die Vermutung der Freiwilligkeit kann nicht im Wege des Anscheinsbeweises widerlegt werden. Der Indizienbeweis bleibt natürlich möglich und kann in der Praxis, wie im vorliegenden Fall, auch oft geführt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob die Vermutung der Unfreiwilligkeit des Unfallereignisses widerlegt ist, hat der Tatrichter alle einzelnen Umstände des Unfallgeschehens in ihrer Gesamtheit und in ihrem Zusammenwirken zu würdigen. Beweismaßstab ist § 286 ZPO. Erforderlich ist ein Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.  

     

    Das OLG hat sich allein durch die äußeren Umstände (Nachtzeit, weit entfernt von jedem Überweg) davon überzeugt gezeigt, dass es sich um einen Suizid handeln müsse. Es hat erklärt, dass die unter Beweis gestellte Persönlichkeit des Verstorbenen an dieser Überzeugung ebenso wenig etwas ändern könne, wie der fehlende Abschiedsbrief. Dies ist mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung vereinbar. Das gegenteilige Ergebnis – mit den besseren Gründen – aber auch.