09.09.2008 | Unfallversicherung
Keine Obliegenheitsverletzung bei falscher Antwort, wenn Fragestellung des VR unklar ist
1. Die Frage „Bestehen oder bestanden unabhängig von den Folgen des jetzigen Unfalls Krankheiten oder Gebrechen? ggf. welche, Namen und Anschriften der behandelnden Ärzte“ ist missverständlich und kann vom VN in unterschiedlicher Weise verstanden werden. Dies muss der VR gegen sich gelten lassen. |
2. Für die Bemessung der Invalidität ist der Zustand drei Jahre nach dem Unfall maßgeblich. Spätere Entwicklungen sind nicht zu berücksichtigen, jedenfalls, wenn sie ungewiss sind. |
(OLG Hamm 24.6.08, 20 U 77/07, Abruf-Nr. 082713) |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der VN erlitt bei einem Tandemfallschirmsprung eine Fraktur des Lendenwirbelkörpers (LWK) 3 mit Nervenwurzelschädigung und Auswirkungen auf die LWK 2 und 4. Der VR hat nach einer Invalidität von ca. 30 Prozent entschädigt. Mit der Klage machte der VN eine Invalidität von 50 Prozent geltend, bei der zusätzlich auch eine Rente geschuldet gewesen wäre. Der VR hat das bestritten und sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung berufen. Die Frage „Bestehen oder bestanden unabhängig von den Folgen des jetzigen Unfalls Krankheiten oder Gebrechen? ggf. welche, Namen und Anschriften der behandelnden Ärzte“ hatte der VN verneint, obwohl er in den zurückliegenden Jahren einige Male wegen Rückenbeschwerden, wenige Wochen vor dem Unfall zusätzlich verbunden mit einer Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule, ärztlich behandelt worden war. Darüber hinaus war er vor dem Unfall wegen Depressionen als dienstunfähig aus dem Polizeidienst entlassen worden.
Das LG hat die Klage wegen Obliegenheitsverletzung abgewiesen. Das OLG hat der Berufung teilweise stattgegeben. Zwar sei der VR nicht wegen Obliegenheitsverletzung leistungsfrei. Die Frage sei missverständlich. Der VN habe auch allenfalls grob fahrlässig gehandelt. Dies führe nicht zur Leistungsfreiheit, weil nichts dafür ersichtlich sei, dass der VR bei zutreffender Information bessere Erkenntnisse zu Vorinvalidität oder Mitwirkung von Vorerkrankungen als tatsächlich erfolgt erlangt hätte. Die Höhe der Invalidität sei – nach sachverständiger Beratung – mit unter 50 Prozent zu bemessen, weil nach dem Ablauf von drei Jahren nach dem Unfall gewonnene Erkenntnisse jedenfalls dann unberücksichtigt bleiben müssen, wenn deren Folgen nicht sicher vorhersehbar seien.
Praxishinweis
Auch in der Unfallversicherung spielen Fragen um die Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung eine große Rolle. Viel zu oft wird dabei auch von Gerichten eine falsche oder vermeintlich falsche Antwort mit Leistungsfreiheit gleichgesetzt. Es wird deshalb auch Aufgabe des Rechtsanwalts sein, die Frage des VR daraufhin zu hinterfragen, ob sie aus der maßgeblichen Sicht des Erklärungsempfängers, also des VN, klar und eindeutig ist und ggf. das Gericht darauf und auf das tatsächliche Verständnis des VN davon hinzuweisen. Der Streitfall belegt, worauf zu achten ist.
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