· Fachbeitrag · Privathaftpflichtversicherung
Besteht ein rechtliches Interesse des Geschädigten für einen Deckungsprozess gegen den VR?
von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte
Für einen vorweggenommenen Deckungsprozess des Geschädigten gegen den Pflichtversicherer des Schädigers fehlt es regelmäßig an einem rechtlichen Interesse. Anderes kann allenfalls bei der Gefahr des Verlustes des Deckungsanspruchs (BGH VersR 01, 90) bzw. bei einer dem Verlust gleichstehenden Ungewissheit (in Abgrenzung zu BGH VersR 09, 1485) gelten (OLG Naumburg 25.7.13, 2 U 23/13, Abruf-Nr. 132973). |
Sachverhalt
Der VN hatte betrunken einen Dritten verletzt. Die Kl. hatte als Unfall-VR des Dritten Leistungen für diesen erbracht. Sie nahm deshalb den VN und den hinter diesem stehenden Privathaftpflicht-VR in Regress. Auf Anfrage der Kl. erklärte der VR zunächst, die Ansprüche würden wegen Deliktsunfähigkeit des VN zurückgewiesen. Auf Nachfrage wies der VR zusätzlich darauf hin, dass Versicherungsschutz anderenfalls wegen Vorsatzes nicht in Betracht komme. Auf weitere Nachfrage der Kl. gegenüber dem VN ließ dieser mitteilen, dass der VR sich ihm gegenüber zum Versicherungsschutz nicht geäußert habe, er aber auch nichts machen wollen. Daraufhin erhob die Kl. gegenüber dem VR Klage auf Feststellung der Gewährung von Versicherungsschutz an den VN. Der VR hat die Klage für unzulässig gehalten, zumal er den Versicherungsschutz gegenüber dem VN nicht abgelehnt habe. Damit hatte er in der Berufungsinstanz aus folgenden Gründen Erfolg:
Bereits ein vorweggenommener Deckungsprozess des Schädigersgegen seinen Haftpflicht-VR würde schon einen Ausnahmefall darstellen, weil ein Rechtsschutzinteresse regelmäßig das Bestehen eines Haftpflichtanspruchs des Geschädigten gegen den Schädiger voraussetzt. Der Schädiger hat jedoch als VN Anspruch auf eine eindeutige Auskunft darüber, ob der VR im Haftpflichtprozess den Rechtsschutz übernimmt (vgl. BGHZ 171, 56 = VK 07, 129 mit Checkliste). Daher ist der Fall sehr praxisrelevant. In diesem vorweggenommenen Deckungsprozess findet eine Prüfung des Haftpflichtanspruchs und der damit zusammenhängenden Tatfragen im Übrigen nicht statt. Es ist vielmehr grundsätzlich die Richtigkeit der Behauptungen des Geschädigten zu unterstellen (vgl. BGH VersR 01, 90; OLG Frankfurt a.M. 27.10.10, 12 U 99/09; Retter in: Schwintowski/ Brömmelmeyer, 2. Aufl. 2011, § 100 Rn. 72; Betz in: Veith/Gräfe, 2. Aufl. 2010, § 12 Rn. 76). Im Deckungsprozess wird damit nicht geprüft, ob eine Haftungslage gegeben ist. Daher ist der Feststellungsantrag im vorweggenommenen Deckungsprozess des VN gegen den VR auch regelmäßig auf die Gewährung „bedingungsgemäßen“ Versicherungsschutzes zu richten, d.h. dem VR soll dadurch nicht das Recht genommen werden, bei Begründetheit der Haftpflichtforderung des Geschädigten zu prüfen, ob der Deckungsschutz aus anderen, aus dem Versicherungsverhältnis herrührenden Gründen zu versagen ist.
Demgegenüber ist der hier vorliegende vorweggenommene Deckungsprozess des Geschädigten direkt gegen den Haftpflicht-VR des Schädigers ohne vorherige Abtretung eine noch speziellere Ausnahme. Dem Geschädigten wird in solchen Fällen von der Rechtsprechung nur ausnahmsweise ein rechtliches Interesse zugebilligt. Ein Feststellungsinteresse i.S. von § 256 ZPO wird bejaht, wenn wegen der Untätigkeit des VN die Gefahr besteht, dass dem Haftpflichtgläubiger der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt verloren geht. Beispiel: Der VN ist insolvent und weder er noch der Insolvenzverwalter gehen gegen eine unberechtigte Deckungsversagung vor, sodass auch ohne Verweigerung der Rechtsschutzübernahme durch den Haftpflicht-VR der Rechtsverlust durch Verjährung droht (vgl. BGH VersR 01, 90; OLG Celle VK 12, 171). Der BGH hat zudem angenommen, dass der Geschädigte auch ein eigenes rechtliches Interesse i.S. von § 256 ZPO an der Feststellung haben kann, dass der VR dem Schädiger Deckungsschutz zu gewähren habe, wenn der VR auf seine Anfrage, ob Versicherungsschutz bestehe, keine oder keine eindeutige Antwort gibt oder die Auskunft verweigert (vgl. BGH VersR 09, 1485).
Nach diesen Maßstäben ist hier ein rechtliches Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung nicht gegeben. Ein Verlust des Deckungsschutzes droht hier nicht. Über das Vermögen des Schädigers ist kein Insolvenzverfahren eröffnet. In der Korrespondenz zwischen den Parteien gab der beklagte VR vielmehr jeweils zu erkennen, dass sie bei gerichtlicher Geltendmachung des Haftungsanspruchs dem Schädiger Rechtsschutz gewähren werde. Ohne ausdrückliche Verweigerung des Haftpflicht-VR gegenüber ihrem VN ist dessen Untätigkeit in der Sache derzeit belanglos. Insbesondere stand der Eintritt der Verjährung des Deckungsanspruchs (drei Jahre nach Geltendmachung im September 2011) auch nicht etwa unmittelbar bevor.
Eine dem Verlust des Deckungsanspruchs gleichstehende Ungewissheit liegt auch nicht vor. Der VR hat die Auskunft nicht verweigert. Er hat vielmehr eine eindeutige, nachvollziehbare Auskunft erteilt. Entscheidend gegen ein rechtliches Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung spricht jedoch, dass sie mit einer - hier nur unterstellt rechtskräftig werdenden - Feststellung, dass der VR „bedingungsgemäß“ Versicherungsschutz zu gewähren habe, nichts gewonnen hätte. Entsprechend den im vorweggenommenen Deckungsprozess geltenden Grundsätzen wären die Angaben des Geschädigten, hier des VN, in diesem Prozess als wahr zu unterstellen. Daher wäre der Feststellungsanspruch ohne weitere inhaltliche Prüfung als begründet anzusehen. Im Falle eines erfolgreichen Haftpflichtprozesses der Klägerin gegen den VN müsste sie u.U. mangels Bindungswirkung dieser Feststellungen erneut Deckungsklage erheben. Erst in diesem - nachlaufenden - Deckungsprozess wäre dann u.U. Beweis zu erheben über die streitige Frage, ob die Voraussetzungen für einen Risikoausschluss nach § 103 VVG vorlagen oder nicht (vgl. BGH VersR 09, 517; OLG Frankfurt a.M. VersR 11, 1314). Hierfür hätte die im Haftpflichtprozess zu treffende Feststellung der Deliktsfähigkeit des Schädigers wegen teilweiser Voraussetzungsidentität mit der Frage des Vorliegens einer Vorsatztat eine teilweise Bindungswirkung. Einer endgültigen Klärung der Frage der Deckungspflicht des VR im vorliegenden Deckungsprozess steht schließlich entgegen, dass der VN am Prozess nicht beteiligt ist. Eine solche Feststellung würde aber erheblich in seinen Rechtskreis eingreifen.
Praxishinweis
Das Urteil überrascht in mehrfacher Hinsicht.
- Unverständlich ist schon, dass das OLG eine private Haftpflichtversicherung als Pflichtversicherung bezeichnet. Dasselbe gilt für die Behauptung, der vorweggenommene Deckungsprozess sei selten und setze einen Haftpflichtanspruch voraus. Lehnt der VR Deckung ab und steht der Haftpflichtanspruch nicht i.S. von § 106 VVG fest, kommt es stets zu einem solchen Prozess. Ein Haftpflichtanspruch ist schon nicht erforderlich, weil nach § 100 VVG auch Rechtsschutz gegen unberechtigte Ansprüche geschuldet ist.
- Nicht nachvollziehbar ist auch die Auffassung, ein vorweggenommener Deckungsprozess müsse immer Erfolg haben, weil die Angaben des Geschädigten dort ungeprüft als richtig unterstellt werden müssten. Letzteres trifft zwar für die Haftpflichtfrage zu, weil es ja gerade um die Beantwortung der Frage geht, ob der VR für den erhobenen Vorwurf Deckung gewähren muss. Im übrigen sind selbstverständlich im Deckungsprozess die deckungsrechtlichen Einwendungen des VR, hier § 103 VVG, abschließend zu prüfen. Bei positivem Urteil steht zwischen den Parteien rechtskräftig fest, dass Versicherungsschutz zu gewähren ist. Zu einem weiteren („nachlaufenden“) Deckungsprozess wird es deshalb gar nicht kommen.
- In der Haftpflichtversicherung kann auch der Geschädigte ein rechtliches Interesse i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung haben, dass der VR dem Schädiger Deckungsschutz zu gewähren hat. Der Grund dafür ergibt sich aus der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung. Ein Feststellungsinteresse ist etwa zu bejahen, wenn wegen Untätigkeit des VN die Gefahr besteht, dass dem Haftpflichtgläubiger der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt verloren geht (BGH VersR 01, 90). Es besteht auch, wenn der VR auf Anfrage des Geschädigten, ob Versicherungsschutz besteht, keine oder keine eindeutige Antwort gibt oder die Auskunft verweigert (BGH VersR 09, 1485).
- M.E. treffen hier sogar beide Gründe zu. Der VN wollte nichts tun. Es bestand deshalb die Gefahr des Verlusts des Befriedigungsobjekts. Wegen der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung hat nicht nur der VN, sondern auch der Geschädigte einen Anspruch darauf, dass über die Frage der Gewährung von Versicherungsschutz alsbald entschieden wird. Dies hat der VR aber unterlassen, wenn er sich einerseits darauf beruft, gegenüber dem VN nicht abgelehnt zu haben, andererseits aber dem Geschädigten gegenüber geltend macht, eine Ablehnung wegen § 103 VVG sei ggf. geboten. Zumindest besteht aber eine Unklarheit, die der BGH für die Bejahung des Feststellungsinteresses genügen lässt. Anderenfalls müsste der Geschädigte, wenn der VN seine Ansprüche nicht abtritt (§ 108 Abs. 2 VVG), zunächst einen Zahlungstitel gegen den VN erwirken und dann gegen den VR klagen. Einfacher ist das nicht, widerspricht aber der Sozialbindung. Die besseren Gründe sprechen deshalb dafür, die Klage für zulässig zu halten.
Weiterführender Hinweis
- Bindungswirkung des Haftungstatbestands im Haftpflichtprozess für den Deckungsprozess: VK 13, 201