· Fachbeitrag · Kfz-Haftpflichtversicherung
Regress des VR gegen den VN wegen Unfallflucht
von VRiOLG a.D. Hellmut Münstermann, Aachen
Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort ist auch bei eindeutiger Haftungslage als vertragswidrig zu bewerten und als „arglistig“ gem. § 28 Abs. 3 S. 2 VVG einzustufen. Bei Arglist besteht Leistungsfreiheit des VR auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 S. 1 VVG. Der Kausalitätsgegenbeweis ist ausgeschlossen (AG Wetter 14.2.12, 9 C 292/11, Abruf-Nr. 122361). |
Sachverhalt
Der VR erhebt gegen den VN Regressansprüche aus der für dessen Pkw abgeschlossenen Haftpflichtversicherung. Der VN verließ mit seinem Pkw das Parkdeck eines Krankenhauses und beschädigte den vor der Zufahrtsschranke des Parkdecks wartenden, vom Zeugen X gefahrenen Pkw am hinteren linken Stoßfänger. Der Pkw des VN wurde ebenfalls beschädigt. Der VN hielt kurz, fuhr dann aber weiter. Er wurde über das Kennzeichen des Pkw ermittelt. Das eingeleitete Strafverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde in der Berufungsinstanz gegen Zahlung von 1.800 EUR eingestellt. Der VR zahlte 1.068,67 EUR an den Eigentümer des Pkw für Reparaturkosten, Gutachten, außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten und Auslagen. Diesen Betrag verlangt er vom VN. Das AG hat dem stattgegeben.
Entscheidungsgründe
Der VR hat einen Regressanspruch gegen den VN in Höhe von 1.068,67 EUR (§ 426 Abs. 2 S. 1 BGB, § 28 Abs. 2, 3 VVG i.V. mit den Regelungen in Abschnitt E der AKB 2008). Der VN hat die Verpflichtung nach E 1.3 AKB 2008, den Unfallort nicht zu verlassen ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, i.S. des § 28 Abs. 2 VVG vorsätzlich verletzt. Der dem Geschädigten mit dem VN gesamtschuldnerisch aus § 115 VVG i.V. mit § 7 StVG haftende VR ist damit im Innenverhältnis zum VN nach § 28 Abs. 2 S. 1 VVG leistungsfrei.
Die Beschädigung seines Pkw war für den VN mechanisch wahrnehmbar und ist von ihm wahrgenommen worden. Hierfür spricht das kurze Anhalten des VN, ohne dass ein anderer Grund als die Kollision dem Zeugen X hierfür erkennbar war. Für ihn war diese durch das verursachte Geräusch und die mechanische Erschütterung deutlich wahrnehmbar. Dem Antrag des VN, ein Sachverständigengutachten zur Bemerkbarkeit des Unfalls einzuholen, war nicht nachzugehen. Das Gericht vermag aufgrund eigenen Erlebens und eigener Erfahrung zu beurteilen, dass der Unfall für den VN wahrnehmbar war. Das Verlassen der Unfallstelle schränkt die Möglichkeit des VR regelmäßig ein, Feststellungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu treffen. Ein solches Verhalten ist auch bei eindeutiger Haftungslage als vertragswidrig und im Übrigen auch als „arglistig“ einzustufen. Leistungsfreiheit des VR im Innenverhältnis zum VN besteht deshalb auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 S. 1 VVG, welche der VN ohnehin nicht eingewandt hat. Einwendungen gegen die Höhe der Schadenregulierung hat er nicht erhoben.
Praxishinweis
Das AG hat den Regressanspruch des VR auf § 426 Abs. 2 S. 1 BGB gestützt. Anspruchsgrundlage ist § 116 Abs. 1 S. 2 VVG (§ 3 Nr. 9 S. 2 PflVG a.F.).
Bei Leistungspflicht des VR ist dieser im Verhältnis zum VN allein verpflichtet (§ 116 Abs. 1 S. 1 VVG). Bei Leistungsfreiheit des VR ist der VN allein verpflichtet (Satz 2). Der VR kann die erbrachten Leistungen vom VN zurückfordern. Der Regressanspruch besteht grundsätzlich im Umfang seiner Leistungsfreiheit. Zu beachten ist aber die Beschränkung der Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzungen nach dem Versicherungsfall; höchstens 2.500 EUR, in Ausnahmefällen bei besonders schwerwiegender vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungsobliegenheit höchstens 5.000 EUR (§ 6 Abs. 1, 3 KfzPflVV).
Das AG stuft das unerlaubte Verlassen der Unfallstelle als arglistig ein. Dem VN wird die Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises nach § 28 Abs. 3 VVG genommen. So auch dann, wenn die Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss auf den Versicherungsfall oder die Leistungspflicht des VR gehabt hat. Verstärkt ist zu beobachten, dass bei vorsätzlichem Verhalten des VN Arglist angenommen wird. Nicht selten fehlt hierfür eine ausreichende Begründung. Im Einzelfall kann eine Unfallflucht durchaus als arglistig bewertet werden, wenn die besonderen Voraussetzungen für Arglist vorliegen. Eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit setzt voraus, dass der VN einen gegen die Interessen des VR gerichteten Zweck verfolgt und weiß, dass sein Verhalten die Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann.
Das AG beruft sich zur Begründung auf ein Urteil des LG Düsseldorf, das eine Unfallflucht als arglistig einstuft (SP 11, 86). Eine andere Kammer des LG Düsseldorf hält eine vorsätzliche Unfallflucht stets für arglistig (SP 11, 302). Der BGH hat sich kürzlich gegen eine pauschale Bejahung von Arglist gewandt und gerügt, dass „Arglist des Klägers (=VN) in nicht tragfähiger Weise festgestellt ist“. Weiter heißt es: „Das OLG hat dazu ausgeführt, dass es in den Fällen des § 142 StGB stets eine arglistige Handlungsweise des VN annehme, wenn jegliche nachträgliche Ermöglichung von unfallrelevanten Feststellungen verhindert werde. Dies lässt die notwendige einzelfallbezogene Betrachtung des Handelns des VN vermissen“ (21.11.12, IV ZR 97/11; VK 13, 32).
Diese Ausführungen haben nicht nur für Fälle von Unfallflucht, sondern auch für anderweitiges vorsätzliches Fehlverhalten des VN bei Aufklärungsobliegenheiten Bedeutung. Der Anwalt des VN sollte darauf achten, dass der VR für Arglist des VN und deren Voraussetzungen die Beweislast trägt.
Zu Recht hat sich das AG nicht mit der Belehrungspflicht des VR nach § 28 Abs. 4 VVG bei Aufklärungsobliegenheitsverletzungen nach dem Versicherungsfall befasst. Bei der Obliegenheit nach E 1.3 AKB, u.a. die Unfallstelle nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, handelt es sich um eine sog. spontane Obliegenheit. Das Belehrungserfordernis als Voraussetzung für die Leistungsfreiheit des VR gilt hier nicht.
Weiterführender Hinweis
- Aufklärungsobliegenheit des VR nach erlaubtem Entfernen vom Unfallort: BGH VK 13, 32