· Fachbeitrag · Kfz-Kaskoversicherung
Vollkaskoschutz nach dem Platzen eines Reifens
| Wenn ein Reifen während der Fahrt durch einen eingedrungenen Fremdkörper platzt, handelt es sich um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis, mithin um einen Unfall im Sinne der üblichen Bedingungen in der Vollkaskoversicherung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Fremdkörper auf der Fahrbahn liegt und vom Fahrzeug überfahren wird, oder ob sich der Fremdkörper schon vorher im Reifen befand und erst später durch Einwirkungen während der Fahrt das Platzen des Reifens verursacht. Diese Klarstellung traf das OLG Karlsruhe. |
1. Der Fall des OLG Karlsruhe
Während der Fahrt auf der Autobahn platzte der linke Hinterreifen am Fahrzeug des VN. Dabei löste sich die linke Seitenwand des Reifens vollständig. Die gelösten Reifenteile beschädigten den Radkasten hinten links, die linke Seitenwand und den hinteren Stoßfänger. Das Fahrzeug erlitt einen Totalschaden (Wiederbeschaffungswert 7.500 EUR). Der geplatzte Reifen war so zerstört, dass der Sachverständige die Ursache für den Reifenschaden nicht ohne Weiteres feststellen konnte. Ein Fremdkörper in der Lauffläche sei nicht festzustellen gewesen. Eine genaue Analyse könne nur durch einen speziellen Reifensachverständigen erfolgen.
Der VN hat erstinstanzlich vorgetragen, die Winterräder seien am selben Tag kurz vor Fahrtantritt in einer Fachwerkstatt montiert worden. Die Reifen seien völlig in Ordnung gewesen. Das könne bestätigt werden, indem die beiden Monteure der Kfz-Werkstatt vernommen würden. Daher stehe fest, dass nur das Überfahren eines für den VN nicht erkennbaren Fremdkörpers auf der Straße das Platzen des Reifens verursacht haben könne. Zum Beweis hat der VN sich auf die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens berufen, bei dem der noch vorhandene beschädigte Reifen genauer untersucht werden könne. Der Fahrzeugschaden sei mithin durch einen Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen eingetreten.
Der VR hat bestritten, dass ein in den Reifen eingedrungener Fremdkörper das Platzen des Reifens verursacht habe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Reifen schon vor der Fahrt beschädigt gewesen sei. Unter diesen Umständen bestehe kein Versicherungsschutz in der Vollkaskoversicherung. Denn ein Fahrzeugschaden, der durch einen geplatzten Reifen verursacht werde, sei kein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen, wenn das Ereignis nicht durch einen in den Reifen eingedrungenen Fremdkörper, sondern durch einen schon vorher bestehenden Reifenschaden ausgelöst worden sei.
Das OLG Karlsruhe hat die Klage ebenso wie das LG in erster Instanz abgewiesen (17.12.20, 9 U 124/18, Abruf-Nr. 221831). Nach der Beweisaufnahme war Ursache des Reifenplatzers eine fehlerhafte Montage des Reifens.
2. Die Kernaussagen des OLG Karlsruhe
Das OLG Karlsruhe hat in diesem Fall die Klage zwar abgewiesen. Die Entscheidung gibt aber für entsprechende Fälle klare Vorgaben. Die folgenden Kernaussagen machen deutlich, in welchen Fällen Ansprüche des VN bestehen und wie die Darlegungs- und Beweislast ist.
Übersicht / Reifenschaden in der Kfz-Kaskoversicherung |
Wenn ein Reifen während der Fahrt durch einen eingedrungenen Fremdkörper platzt, handelt es sich um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis, mithin um einen Unfall im Sinne der üblichen Bedingungen in der Vollkaskoversicherung.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Fremdkörper auf der Fahrbahn liegt und vom Fahrzeug überfahren wird, oder ob sich der Fremdkörper schon vorher im Reifen befand und erst später durch Einwirkungen während der Fahrt das Platzen des Reifens verursacht.
Ein Unfall im Sinne der üblichen Bedingungen in der Vollkaskoversicherung liegt hingegen nicht vor, wenn ein schon vorher bestehender Reifenschaden, eine fehlerhafte Montage oder fehlerhafter Luftdruck alleinige Ursache für das Platzen des Reifens während der Fahrt ist.
Macht der VN nach dem Platzen eines Reifens Leistungen aus der Vollkaskoversicherung geltend, muss er die Voraussetzungen eines Unfalls beweisen. Dazu gehört der Nachweis, dass ein eingedrungener Fremdkörper für das Platzen des Reifens ursächlich war. |
3. Technische Erläuterung
Für das technische Verständnis zeigen wir Ihnen auf, wo hier die Ursache des Reifenschadens lag. Betroffen war ein sog. Runflat-Reifen. Ein solcher Reifen hat eine verstärkte Seitenwand. Das ermöglicht es, auch bei starkem Druckverlust noch mit geringerer Geschwindigkeit zu fahren, z. B. zur nächsten Werkstatt. Die Montage von Runflat-Reifen ist aufwändiger und komplizierter als die Montage normaler Reifen. Es sind Spezialwerkzeuge zur Montage erforderlich. Die Montage sollte zudem nur von zertifizierten Monteuren durchgeführt werden. Werden die besonderen Regeln für eine Montage von Runflat-Reifen nicht beachtet, kann der äußere Wulstkern des Reifens, der kleiner als die Felge ist, bei der Montage zu stark beansprucht werden. Durch eine Überbeanspruchung bei der Montage leidet der Reifen. Der entstandene Schaden kann dazu führen, dass der Wulstkern während der Fahrt irgendwann auseinanderreißt und der Reifen platzt. Eine solche Folge tritt nicht unmittelbar nach der fehlerhaften Montage ein, sondern kann erfahrungsgemäß auch erst ein oder zwei Jahre später erfolgen.
Der Reifensachverständige hatte hier festgestellt, dass der äußere Wulstkern des Reifens nicht mehr vorhanden war. Das ist nur dadurch erklärbar, dass der Wulstkern als Ursache des Schadensfalls gerissen ist. Dies ist nicht durch das Eindringen eines Fremdkörpers möglich.