· Fachbeitrag · Kfz-Kaskoversicherung
Voraussetzungen der subjektiven Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 1 VVG
von VRiOLG a.D. Hellmut Münstermann, Aachen
(OLG Karlsruhe 17.9.13, 12 U 43/13, Abruf-Nr. 133103) |
Sachverhalt
Die VN nimmt den VR aus der Kaskoversicherung wegen eines Brandscha-dens ihres Kfz in Anspruch. Halter des Fahrzeugs ist der Sohn der VN. Nach Vertragsschluss hat der Sohn einen Musikverstärker, ein Navi sowie einen Subwoofer und ein Steuergerät für geänderte Rückleuchten in das Fahrzeug eingebaut. Am 27.6.10 brannte das Fahrzeug völlig aus (Wiederbeschaffungswert 7.500 EUR). Der VR hat Leistungen wegen Gefahrerhöhung und grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls abgelehnt.
Das LG hat der Klage zum Teil in Höhe von 5.505 EUR stattgegeben. Es hat eine Leistungskürzung wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls vorgenommen. Der Brandschaden sei durch eine beschädigte oder fehlende Batterieplusabdeckung i.V.m. mit einer Spraydose verursacht worden, die sich in unmittelbarer Nähe der Batterie befunden habe.
Von den Berufungen der Parteien hat lediglich diejenige der VN (bis auf die vorgerichtlichen Anwaltskosten) Erfolg. Die Berufung des VR ist nicht begründet.
Entscheidungsgründe
Es erscheint nach Ansicht des OLG sehr zweifelhaft, ob der nachträgliche Einbau der genannten Geräte die Möglichkeit der Risikoverwirklichung nachhaltig erhöht. Das ist eher fernliegend, da der Einbau solchen Zubehörs nicht unüblich ist und die VR vor Vertragsschluss das Vorhandensein solcher Einbauten regelmäßig nicht anfragen. Anderes kann lediglich angenommen werden, wenn derartige Einbauten mangelhaft durchgeführt werden und dadurch ein erhöhtes Risiko für den Eintritt des Versicherungsfalls besteht.
Leistungsfreiheit nach § 26 VVG ergibt sich selbst dann nicht, wenn hier tatsächlich mangelhafte Leistungen vorliegen und diese für den Eintritt des Versicherungsfalls ursächlich gewesen sein können. Auch dann hätte der VR nicht nachgewiesen, dass die VN oder ihr Sohn (Repräsentant) eine Gefahrerhöhung vorgenommen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestattet haben. Eine gewollte Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 1 VVG setzt notwendig das Bewusstsein der vorgenommenen oder gestatteten Änderung der Gefahrenlage voraus. Der Handlungswille des VN muss sich auf den nicht verkehrs- oder gebrauchssicheren Zustand des benutzten Kfz erstrecken. Das ist aber ohne Kenntnis des mangelhaften Zustands des Fahrzeugs unmöglich. Dagegen ist zur Annahme einer Gefahrerhöhung i.S.v. § 23 VVG nicht erforderlich, dass der VN auch dessen gefahrerhöhenden Charakter erkannt hat.
Der VR trägt die Darlegungs- und Beweislast nicht nur für das Vorliegen der objektiven Umstände, sondern auch für die Kenntnis des VN von diesen Umständen. Den Nachweis, dass die VN oder ihr Sohn von dem mangelhaften und die Sicherheit gefährdenden Zustand des Fahrzeugs durch die Einbauten wussten, hat der VR nicht erbracht. Hinreichender Vortrag, dass sich die VN oder ihr Repräsentant der Kenntnis der Mangelhaftigkeit arglistig entzogen haben, fehlt. Hinzu kommt, dass die VN auch den Kausalitätsgegenbeweis nach § 26 Abs. 3 Nr. 1 VVG geführt hat, sodass der VR auch deshalb nicht leistungsfrei ist. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sind die vorgenommenen Einbauten für den Brand nicht ursächlich gewesen.
Nicht zu folgen ist dem LG, soweit es wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls nach § 81 Abs. 2 VVG eine Leistungskürzung vorgenommen hat. Das LG geht davon aus, dass der Sohn der VN die Spraydose in unmittelbarer Nähe der Fahrzeugbatterie, die mit einer beschädigten Plusabdeckung versehen gewesen sei, habe liegen lassen. Diese Erwägungen des LG tragen aber nur, wenn die Spraydose bewusst auf der Batterie belassen worden ist. Dies lässt sich aber nicht nachweisen. Insoweit trifft den VR die Beweislast.
Ein versehentliches Liegenlassen der Spraydose vermag hier allenfalls einfache Fahrlässigkeit zu begründen. Dass vor dem Verschließen der Batterie die Spraydose in deren Nahbereich möglicherweise übersehen wurde, stellt in der wertenden Gesamtschau nur eine Nachlässigkeit dar, die den Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht zu begründen vermag.
Praxishinweis
Im Besprechungsfall geht es u.a. um die subjektive, gewollte Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 1 VVG, die vom VN ohne Einwilligung des VR vorgenommen bzw. gestattet wird. Gegenstück ist nach § 23 Abs. 3 VVG die objektive, nicht vom VN veranlasste Gefahrerhöhung, die ohne oder sogar gegen seinen Willen eintritt.
Der VN hat die sog. Gefahrstandspflicht. Er darf die Gefahrlage nach Abgabe seiner Vertragserklärung ohne Einwilligung des VR zu dessen Lasten durch Vornahme einer Gefahrerhöhung nicht verändern. Die Vornahme nach § 23 Abs. 1 VVG kann nach ständiger Rechtsprechung des BGH nur durch aktives Tun, nicht jedoch durch ein Unterlassen des VN verwirklicht werden (schon BGH VersR 81, 245; 87, 653). Die durch die Gefahrerhöhung gesteigerte Möglichkeit des Eintritts des versicherten Risikos muss von gewisser Dauer sein. Eine einmalige Gefahrsteigerung reicht für § 23 VVG nicht aus (z.B. BGHZ 7, 311 - einmalige Trunkenheitsfahrt).
Wer nicht nur einmal, sondern mehrfach ein verkehrsunsicheres Fahrzeug im Straßenverkehr benutzt, nimmt eine Gefahrerhöhung vor (BGH VersR 90,80). Die Gefahrerhöhung wird in solchen Fällen nicht in dem Unterlassen der notwendigen Reparatur gesehen. Die relevante Erhöhung der Gefahr besteht erst dann, wenn das verkehrsunsichere Fahrzeug in den Verkehr gebracht wird. In der Kfz-Haftpflichtversicherung ist zu beachten, dass § 23 Abs. 1 VVG auch anwendbar ist, wenn der verkehrsunsichere Zustand des Fahrzeugs bereits bei Abgabe der Vertragserklärung des VN bestand.
Der VR trägt für die objektiven Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 VVG die Darlegungs- und Beweislast. In subjektiver Hinsicht ist der VR ebenso darlegungs- und beweispflichtig für die positive Kenntnis des VN von dem gefahrerhöhenden Umstand, der die Gefahrerhöhung begründet. Kennenmüssen und selbst grob fahrlässige Unkenntnis des VN reichen hierfür nicht aus. Der VN muss den gefahrerhöhenden Umstand als solchen, d.h. in tatsächlicher Hinsicht kennen. Nicht hingegen muss er auch den gefahrerhöhenden Charakter des ihm bekannten Umstands kennen.
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Der VN hat Kenntnis von abgefahrenen Reifen oder von den mangelhaften Bremsen oder vom frisierten Mofa. Für die Anwendung von § 23 Abs. 1 VVG ist darüber hinaus nicht die Kenntnis erforderlich, dass es unter diesen Umständen leichter zu einem Versicherungsfall kommen kann. Der Tatbestand des § 23 Abs. 1 VVG ist nicht erst dann erfüllt, wenn der VN die zutreffende Wertung vorgenommen hat, dass die o.a. Umstände ein Gefahrenpotenzial darstellen, sondern schon dann, wenn er diese Umstände schlicht kennt. Anderenfalls würde die Berufung auf Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung nur selten durchgreifen, weil die Gefährlichkeit dieser Umstände häufig nicht gesehen wird. |
- Der VN rechnet mit der Möglichkeit des Vorhandenseins eines gefahrerhöhenden Umstands.
- Er rechnet damit, dass es für den Erhalt des Versicherungsschutzes auf seine Kenntnis von diesem Umstand ankommt.
- Er nimmt von einer Überprüfung des Fahrzeugs Abstand, um seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden.
Weiterführende Hinweise
- Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung: Wann kann der VR die Leistung zurückfordern? Münstermann, VK 07, 181.
- Keine Gefahrerhöhung bei Kfz-Schein hinter der Sonnenblende: OLG Bremen VK 11, 127.