· Fachbeitrag · Berufsunfähigkeitsversicherung
Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren als Berufsunfähigkeit
| In einer Berufsunfähigkeitsversicherung kann die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch auf der Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren beruhen. So entschied das OLG Frankfurt a. M. im Fall eines VN, der Simulationsvorwürfen ausgesetzt war. |
1. LG sieht keine somatische oder psychische Erkrankung
Das Arbeitsverhältnis des VN endete wegen gesundheitlicher Beschwerden mit einem Aufhebungsvertrag. Der VR lehnte Leistungen aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung ab. Das LG hatte die Klage zurückgewiesen. Durch mehrere Gutachten sei keine eine Berufsunfähigkeit begründende somatische oder psychische Erkrankung festzustellen. Die Beschwerden entsprächen nicht den objektiven Befunden. Auf psychiatrischem Gebiet sei offengeblieben, ob ein bewusstseinsnaher, willentlicher Prozess vorliege oder aber unbewusste Mechanismen die Schmerzverarbeitung bestimmten.
2. OLG erkennt chronische Schmerzstörung an
Die Berufung des VN hatte vor dem OLG Erfolg (23.2.22, 7 U 199/12, Abruf-Nr. 228503). Der VR müsse die beantragte Rente zahlen. Der Senat hatte ein internistisch-rheumatologisches Gutachten eingeholt. Nach aufwendiger Diagnostik, so der Senat, seien zwar sowohl eine rheumatische Erkrankung als auch eine Fibromyalgie ausgeschlossen worden. Der Sachverständige habe aber auf somatischem Gebiet objektiv nachweisbare Beeinträchtigungen in einem Umfang von 40 % festgestellt (u. a. arthrotische Veränderungen an den Fingern sowie dem Daumensattelgrundgelenk). Hieran anknüpfend sei der Sachverständige für psychosomatische Medizin zu der überzeugenden Feststellung einer „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ gelangt, die zu Leistungseinbußen von deutlich mehr als 50 % im zuletzt ausgeübten Beruf führten.
3. Auf die genaue Diagnose kommt es an
Im Gegensatz zur „chronischen Schmerzstörung“, die allein in erster Instanz als Diagnose diskutiert worden sei, setze die Diagnose einer „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ nicht die Feststellung eines psychischen Konflikts oder einer psychosozialen Belastungssituation voraus. Die Diagnose der „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ sei erst im Jahr 2009 in den Diagnoseschlüssel (ICD-10) eingeführt worden, da häufig ein psychischer Konflikt oder eine psychosoziale Belastungsstörung lediglich nicht eruierbar seien, hierdurch jedoch die Diagnosestellung gefährdet sei. Dies zeige auch der vorliegende Fall nachdrücklich auf. Der Kläger sei Simulationsvorwürfen ausgesetzt gewesen. Diese hätten jedoch nach umfangreicher Diagnostik durch den Sachverständigen als erfahrenem Facharzt für Psychosomatik überzeugend ausgeräumt werden können.