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  • · Fachbeitrag · Berufsunfähigkeitszusatzversicherung

    Fehlende AVB-Umstellung: Folgen von Obliegenheitsverletzungen in der Personenversicherung

    von RA Marc O. Melzer, FA VersR, Sozial- und Medizinrecht, Bad Lippspringe

    Die unverändert fortbestehende Regelung des Leistungsausschlusses bei einer Obliegenheitsverletzung des VN in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Berufsunfähigkeitsversicherung benachteiligt den VN unangemessen bei einer Obliegenheitsverletzung, die er zu einem 2007 eingetretenen Versicherungsfall im Jahre 2011 im Rahmen einer Nachprüfung der Berufsunfähigkeit durch den VR begeht (hier: fehlender Nachweis zumutbaren Bemühens um einen neuen Arbeitsplatz), wenn der VR seine AVB nicht an das VVG in der Fassung vom 23.11.07 angepasst hat. Der VR kann aus der Obliegenheitsverletzung daher keine Rechtsfolge ableiten (LG Potsdam 12.12.12, 2 O 223/12, Abruf-Nr. 133456).

     

    Sachverhalt

    Der Versicherungsfall (Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit) wurde vom VR 2007 anerkannt. Eine Umstellung der Bedingungen (vorgelegt wurden Bedingungen in der Fassung Januar 1996) erfolgte nicht. 2011 bat der VR den VN um Übersendung einer Übersicht bis dahin erfolgter Arbeitsplatzbewerbungen nebst entsprechender Eingangsbestätigungen. Dieser Aufforderung kam der VN nur teilweise nach und reagierte auf weitere Aufforderungen des VR nicht mehr. Der VR stellte seine Leistungen daraufhin ein. Der VN erhob Klage. Der VR könne sich nicht mit Erfolg auf Leistungsfreiheit berufen, da keine Umstellung der AVB erfolgt sei.

     

    Entscheidungsgründe

    Der VR ist nicht von seiner Leistungspflicht freigeworden, weil ihm der VN nicht nachgewiesen hat, dass er sich erfolglos um einen seinen neuerworbenen beruflichen Fähigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz beworben hat. Der Versicherungsvertrag ist zwar vor 1.1.08 abgeschlossen, ebenso ist der Versicherungsfall vor diesem Datum eingetreten. Nach Art. 1 Abs. 2 EGVVG ist daher das VVG in seiner bis zum 31.12.07 geltenden Fassung anzuwenden. Dies gilt jedoch nicht für nach dem 1.1.08 begangene Obliegenheitsverletzungen und deren Rechtsfolgen. Diese sind nach dem neuen VVG als dem zur Zeit der Vornahme der betreffenden Handlung geltenden Recht zu behandeln. Insoweit handelt es sich auch bei Altverträgen nicht um vor dem 1.1.08 abgeschlossene Tatbestände, sodass durch eine Beurteilung nach dem neuen VVG keine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung eintreten kann, die durch den eng auszulegenden Art. 1 Abs. 2 VVG vermieden werden soll. Die dem BUZ-Vertrag des VN zugrunde liegenden AVB (BUV Fassung 01/96) des VR sind mit den im neuen VVG getroffenen Regelungen der Folgen von Obliegenheitsverletzungen nicht (mehr) vereinbar. Sie folgen noch dem durch die Änderung des VVG aufgegebenen „Alles-oder-Nichts-Prinzip” und benachteiligen deshalb den VN unangemessen (hierzu BGH VK 11, 201). Eine Anpassung dieser AVB gemäß Art. 1 Abs. 3 EGVVG hat der VR gegenüber dem VN unstreitig nicht vorgenommen. § 14 dieser Bedingungen ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, sodass er eine Leistungsfreiheit des VR wegen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den VN nicht rechtfertigen kann. Der VR kann eine Leistungsfreiheit auch nicht erfolgreich auf einen Verstoß des VN gegen Treu und Glauben stützen. Die Unwirksamkeit der Rechtsfolgen des § 14 BUV 96 kann nicht dadurch umgangen werden, dass für das Ergebnis einer Leistungsfreiheit § 242 BGB herangezogen wird. Anderenfalls würde die Folge einer unterbliebenen Anpassung der AVB Art. 1 Abs. 3 EGVVG unterlaufen.

     

    Praxishinweis

    Der BGH (a.a.O.) hat entschieden, dass bei nicht erfolgter Anpassung der AVB an das neue VVG die vertraglich vereinbarten Obliegenheiten zwar bestehen bleiben. Ihre Verletzung ist aber sanktionslos (geworden), weil die Rechtsfolgenregelungen (Leistungsfreiheit bei einfacher Fahrlässigkeit) mit dem (quotalen) Rechtsfolgensystem des § 28 VVG (Leistungskürzung entsprechend dem Grad des Verschuldens) kollidieren. Trotz oder gerade wegen der begrüßenswerten Klarheit des BGH besteht seitdem in der Personenversicherung (Krankheit, Unfall, BU) eine gewisse Ratlosigkeit. Das Urteil des LG Potsdam dürfte (zunächst) zu noch mehr Unsicherheit führen.

     

    Das LG Potsdam hat zwar die „Vorgaben“ des BGH 1:1 umgesetzt, was auf den ersten Blick nicht zu beanstanden ist. Die Frage ist aber, ob der BGH die 
Besonderheiten der Personenversicherung vor Augen hatte und die Entscheidung überhaupt übertragbar ist. Hintergrund der Entscheidung des BGH war ein im Januar 2009 eingetretener Versicherungsfall (Leitungswasserschaden). Der VR berief sich auf Leistungsfreiheit, weil der VN die vertragliche Obliegenheit zur regelmäßigen Kontrolle und Entleerung aller wasserführenden Anlagen verletzt hat. Dem „Altvertragr“ lagen die VGB 88 in der Fassung Januar 1995 zugrunde. Eine AVB-Anpassung erfolgte nicht.

     

    Für Versicherungsverhältnisse, die vor dem Inkrafttreten des neuen VVG zum 1.1.08 entstanden sind (Altverträge), ist bis zum 31.12.08 das alte VVG anzuwenden (Art. 1 Abs. 1 Hs. 1 EGVVG). Für bis Ende 2007 geschlossene Altverträge gilt also für einen Übergangszeitraum von einem Jahr (grundsätzlich) das alte, ab dem 1.1.09 das neue VVG. Ist bei Altverträgen jedoch bis zum 31.12.08 ein Versicherungsfall eingetreten, ist nach Art. 1 Abs. 2 EGVVG insoweit das alte VVG weiter anzuwenden. Eine zeitliche Begrenzung sieht Abs. 2 nicht vor. Art. 1 Abs. 3 EGVVG hat den VR die Möglichkeit eröffnet, ihre AVB für Altverträge bis und mit Wirkung zum 1.1.09 einseitig zu ändern, soweit sie von den Vorschriften des neuen VVG abweichen. Nach dem Kenntnisstand des Verfassers haben jedoch nur einige Kranken-VR, fast kein Lebens-VR und überhaupt kein Unfall-VR (nachweisbar) die Alt-AVB umgestellt, d.h. die Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen an die Vorgaben des § 28 VVG angepasst.

     

    Im Fall des BGH datiert sowohl der Versicherungsfall als auch die Obliegenheitsverletzung aus dem Jahre 2009. Daher konnte und musste der BGH die nicht umgestellte vertragliche Obliegenheit nur nach dem neuen VVG prüfen und schließlich die Sanktionsregelung verwerfen (ob die vertragliche Obliegenheit als teilbare Klausel oder im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion weiter besteht, hat der BGH ausdrücklich dahinstehen lassen).

     

    Art. 1 Abs. 2 EGVVG hat in der Entscheidung des BGH keine Rolle gespielt (so auch Hoenicke, r+s 13, 140). Anders im Fall des LG Potsdam: Der Eintritt des Versicherungsfalls wurde im Jahre 2007 anerkannt. Von dem Anerkenntnis kann sich der VR nur durch das Nachprüfungsverfahren lösen. Voraussetzung ist, dass es zu einer tatsächlichen Änderung gekommen ist und infolgedessen keine bedingungsgemäße BU mehr vorliegt, sei es, weil sich der Gesundheitszustand und damit der Grad der BU verbessert hat oder der VN (erst jetzt) verwiesen werden kann. Denn anders als in der Sachversicherung dauert der Versicherungsfall in der BU-Versicherung an, bis die bedingungsgemäße BU endet, d.h. ebenso wie in der Krankenversicherung (Beginn und Ende der medizinisch notwendigen Heilbehandlung) und in der Unfallversicherung (Erstbemessung und Nachbemessung zum jeweiligen Stichtag) zieht sich der Versicherungsfall in der Personenversicherung zeitlich in die Länge („gedehnter Versicherungsfall“). Es handelt sich daher nicht um abgeschlossene Tatbestände. Insoweit muss sich die Obliegenheit im Falle des LG Potsdam gar nicht an dem neuen VVG messen lassen, da nach Art. 1 Abs. 2 EGVVG weiterhin das VVG a.F. anzuwenden gewesen wäre (so auch Mertens VersR 13, 1035). Vor diesem Hintergrund hätte das LG Potsdam zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Sanktionsfolge der Obliegenheitsverletzung immer noch wirksam ist.

     

    Viel interessanter sind die folgenden vom BGH noch nicht entschiedenen Konstellationen:

     

    • Fall 1: Unfallereignis am 1.1.09, Erstbemessung der unfallbedingten Invalidität mit Bescheid vom 1.5.10 unter dem Vorbehalt der Nachbemessung des Invaliditätsgrads zum Stichtag 1.1.12. Der VN weigert sich zum Nachbemessungstermin zu erscheinen.

     

    • Fall 2: Eintritt und Anerkennung der BU 2009, die Nachprüfung in 2010 kann mangels Mitwirkung des VN nicht durchgeführt werden.

     

    Eine AVB-Anpassung wurde weder von der Unfallversicherung noch von der Lebensversicherung vorgenommen. Der Hinweis des BGH, dass sich der VR weiterhin auf § 81 VVG und § 82 VVG berufen könne, kommt in der Personenversicherung nicht zum Tragen. Und auch die Gefahrerhöhung spielt mangels ausdrücklicher Vereinbarung in den Bedingungen so gut wie keine Rolle. Die Lösung könnte, will man nicht § 242 BGB bemühen, die vom BGH ausdrücklich offengelassene geltungserhaltende Reduktion sein, da die Klauseln bei Streichung der „groben Fahrlässigkeit“ in den Alt-AVB durch den „blue-pencil-Test“ den VN nicht unangemessen benachteiligen (Neuhaus MDR 13, 1201 ff.). Ansonsten könnte der VN, der die Nachprüfung bzw. die Nachbemessung wohlgemerkt in aller Regel vorsätzlich „schwänzt“, weiter die anerkannten und damit fälligen BU-Leistungen einfordern. Auf § 273 BGB kann sich der VR bei „Obliegenheiten“ jedenfalls nicht berufen. Auf der anderen Seite muss aber auch bedacht werden, dass die Alt-AVB ja auch durchaus hätten wirksam umgestellt werden können.

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 01 / 2014 | Seite 7 | ID 42449324