· Fachbeitrag · Krankentagegeldversicherung
Wie ist der Begriff „im bisher ausgeübten Beruf“ in der Krankentagegeldversicherung zu verstehen?
von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Die VN war zusammen mit einer Kollegin in einer Gemeinschaftspraxis als selbstständige Dermatologin tätig. Dabei hat sie alle chirurgischen Eingriffe durchgeführt. Hierzu war sie wegen der Folgen einer Hirnblutung nicht mehr in der Lage. Sie vereinbarte deshalb mit ihrer Kollegin, stattdessen die ihr noch möglichen Gutachten, Untersuchungen usw. durchzuführen. Dazu waren aber noch Absprachen mit der Kassenärztlichen Vereinigung erforderlich. Daher konnte die Absprache nicht sofort umgesetzt werden. Sie sollte zum Jahresbeginn 2011 erfolgen. Letztlich kam es aber nicht dazu, weil die VN die abgesprochene Tätigkeit wegen Gallenkoliken und einer Schultergelenksläsion nicht antreten konnte. Seit November 2011 bezieht die VN ein Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit.
Der VR hat - nach entsprechender Mitteilung - die bis dahin erfolgten Zahlungen aus der Krankentagegeldversicherung eingestellt. Er hält den Vertrag nach § 15 Ziff. 1 lit. b) MB/KT wegen Berufsunfähigkeit für beendet. Die VN hat das in Abrede gestellt. Sie könne in ihrem Beruf als Dermatologin wieder arbeiten, seitdem die neuerlichen Beschwerden abgeklungen seien. Hierauf und nicht auf die vorhergehende konkrete Ausgestaltung des Berufs komme es an. Mit dieser Begründung hat sie die bis zum Bezug der BU-Rente ausstehenden Renten geltend gemacht. Der VR ist dem entgegengetreten. Bedingungsgemäß komme es auf den „bisher ausgeübten Beruf“ an. Das sei wie in der Berufsunfähigkeitsversicherung der konkret ausgeübte Beruf.
LG und OLG haben die Klage aus dem letztgenannten Grund abgewiesen. Es sei geboten, den Begriff der Berufsunfähigkeit in der BU- und der Krankentagegeld-Versicherung gleich auszulegen. Dies entspreche dem Verständnis eines durchschnittlichen VN. Daher müsse es auf die konkrete Ausgestaltung des Berufs ankommen. Dies entspreche auch der einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur.
Zwar habe der BGH in seiner Entscheidung vom 9.3.11 (r+s 11, 256) ausgeführt, dass es insoweit auf das allgemeine Berufsbild ankomme. Dies widerspreche aber seiner sonstigen Rechtsprechung (BGH NJW 12, 2804; r+s 13, 295; VersR 13, 848). Es sei auch nicht begründet worden und deshalb unbeachtlich. Gleichwohl ist mit Rücksicht auf diese Abweichung die Revision zugelassen worden.
Praxishinweis
In der Krankentagegeldversicherung steht nicht im Streit, dass es für die Frage der Arbeitsunfähigkeit i.S.v. § 1 Abs. 3 MB/KT auf den bis zur Erkrankung ausgeübten Beruf in seiner ganz konkreten Ausprägung ankommt (BGH VersR 11, 518 und 13, 848). Dieses Ergebnis liegt auch auf der Hand. Dem VN kann bei einer vorübergehenden Krankheit nicht zugemutet werden, sich als Arbeitnehmer beim Chef um einen abgeänderten Arbeitsplatz zu bemühen bzw. als Selbstständiger seinen Betrieb umzuorganisieren. Das verlangt der VR von ihm auch nicht.
Warum dasselbe auch für die hier allein maßgebliche Frage zum Ausschluss wegen Berufsunfähigkeit nach § 15 Ziff. 1 lit. b) MB/KT gelten soll, ist allerdings nicht nachzuvollziehen. Dies wird zwar in der Literatur ebenfalls vertreten (Münchner Kommentar/VVG-Hütt, § 192 VVG Rn. 191 m.w.N.). Davon abgesehen ist die Begründung des OLG allerdings unverständlich.
- Wenn, so das OLG, nach dem Verständnis des durchschnittlichen VN der Begriff der Berufsunfähigkeit in gleicher Weise zu verstehen ist wie in der BU-Versicherung, lag Berufsunfähigkeit schon deshalb nicht vor, weil die VN als Selbstständige dafür in einer BU-Versicherung hätte umorganisieren müssen (Prölss/Martin, § 2 BU [100] Rn. 35). Jedenfalls nachdem sie erfolgreich umorganisiert hat, ist auch kein Grund ersichtlich, sie von den Leistungen der Krankentagegeldversicherung auszuschließen.
- Für den durchschnittlichen VN ist § 15 Abs. 1 lit. b) MB/KT unklar. Er kann dem Begriff „im bisher ausgeübten Beruf“ nicht verlässlich entnehmen, was gemeint sein soll. Soll es auch für die Berufsunfähigkeit nur auf die ganz konkrete bisherige Tätigkeit ankommen? Oder ist der Beruf im Sinne eines Berufsbilds zu verstehen, das der VN mit seinen bisherigen beruflichen Kenntnissen ausfüllen kann? Diese Unklarheit geht zulasten des VR (§ 305c Abs. 2 BGB). Es spricht sogar alles für ein weites Verständnis. Der VN darf sich nämlich zumuten, was der VR ihm nicht zumuten darf. Zudem wird er auch eine gegenüber früher abgeänderte Tätigkeit aus dem Berufsfeld nicht als fremden, sondern als den bisher ausgeübten Beruf (hier als Dermatologin) ansehen.
- Befremdlich ist auch, wie das Berufungsgericht die Bemerkung in BGH r+s 11, 256 abtut, wonach es insoweit auf das Berufsbild ankommt. Seine eigene Begründung, dies widerspräche der sonstigen Rechtsprechung des BGH, ist jedenfalls verfehlt. Keine der vom OLG genannten Entscheidungen befasst sich nämlich mit der hier zu entscheidenden Frage.
Für die Praxis empfiehlt es sich, bis zu einer abschließenden BGH-Entscheidung, zu der er wegen der zugelassenen Revision hoffentlich Gelegenheit erhalten wird, die dem VN günstigere Position zu beziehen. Nur so kann auch eine gerade bei Selbstständigen unerträgliche Deckungslücke vermieden werden, die dieser, wenn er neben der KT- auch eine BU-Versicherung ohne abstrakte Verweisungsmöglichkeit abgeschlossen hat, nicht einmal erkennen kann. In solchen Fällen sollten deshalb auch immer Ansprüche wegen eines Beratungsfehlers (§ 6 Abs. 5 VVG) geprüft werden.