· Fachbeitrag · Berufsunfähigkeitsversicherung
Selbstständiger Friseur muss auch bei größerem Betrieb nicht umorganisieren
| Eine Umorganisation seines Betriebs, die bei einem mitarbeitenden selbstständigen Friseurmeister dazu führt, dass die zuvor in erheblichem Umfang ausgeübte handwerkliche Tätigkeit vollständig wegfällt, ist ihm auch dann nicht zumutbar, wenn es sich um einen größeren Betrieb (hier: bis zu 10 festangestellte Friseure, insgesamt 15-19 Mitarbeiter) handelt. |
1. Friseur konnte sein Handwerk nicht mehr ausüben
Der VN, ein selbstständiger Friseurmeister, betrieb einen Salon mit regelmäßig 15 bis 19 Mitarbeitern, darunter auch Auszubildende. Er wurde wegen Fibromatose der Strecksehnen an den Hände (gutartige Bindegewebswucherung) operiert. Es verblieben jedoch Knoten und eine Verdickung der Sehnen, die zu starken Schmerzen führen. Er konnte daher die handwerkliche Tätigkeit als Friseur nicht weiter ausführen.
Der VR verweigerte Leistungen. Er war der Ansicht, der VN könne seinen Betrieb umorganisieren und selber nicht mehr handwerklich tätig sein. Ihm verbliebe so ein zumutbares Tätigkeitsfeld von mehr als 50 %. So hätte er den fachlich-modischen Bereich betreuen, Gespräche führen, die Qualitätssicherung im Auge behalten, die Ausbildung durchführen, die Mitarbeiter motivieren und ein Vorbild sein können.
2. OLG verneint eine Pflicht zur Umorganisation
Die Klage des VN war vor dem LG erfolgreich. Das OLG Dresden wies die Berufung des VR zurück (22.2.22, 4 U 1585/21, Abruf-Nr. 228456). Zur Überzeugung des Senats ist dem VN eine Umorganisation seines Betriebs nicht zumutbar gewesen. Dazu verwies er zunächst auf die Grundsätze der Umorganisation im Falle einer Berufsunfähigkeit.
Übersicht / Umorganisation im Falle einer Berufsunfähigkeit |
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3. Gründe, die gegen Umorganisation sprechen
In der Sache selbst kann der VN ausweislich des Gutachtens die handwerklichen Leistungen eines Friseurmeisters nicht erbringen und damit 76 % seiner bisherigen Leistungen. Eine Umorganisation seiner Tätigkeit und Beschränkung auf organisatorische Aufgaben ist ihm nicht zumutbar.
- Anders als bei anderen handwerklichen Berufen ist der Beruf des Friseurs geprägt durch ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Kunden und Friseur. Es handelt sich um eine körpernahe Dienstleistung, die ein gewachsenes Vertrauen erfordert. Anders als bei anderen handwerklichen Tätigkeiten ist es dem Kunden daher nicht gleichgültig, von welchem der im Friseursalon tätigen Friseure er bedient wird. In der Regel bleibt der Kunde an einen Friseur gebunden, mit dem er zufrieden ist.
- Darüber hinaus ist es dem VN nicht möglich, seine Mitarbeiter zu schulen, qualifiziert fortzubilden und auf die Einhaltung von Qualitätsstandards, insbesondere bei neuen Modetrends, zu achten, wenn er selbst praktisch nicht mehr tätig ist und allenfalls theoretische Anweisungen erteilen kann.
- Die Akzeptanz als Chef sowie eine Vorbildfunktion kann unter diesen Umständen nicht ausgefüllt werden. Dies schließt eine Umorganisation, für die der zuvor ausschließlich als Friseur tätige Betriebsinhaber auf ausschließlich organisatorische Tätigkeit zurückgeworfen würde, in der Regel aus (vgl. OLG Karlsruhe 3.4.08, 12 U 151/07).
- Der VN kann auch nicht auf eine Tätigkeit ausschließlich als Rezeptionist verwiesen werden. Dadurch verlöre seine Arbeit als Friseurmeister ihre prägenden Merkmale, selbst wenn ihm das Direktionsrecht verbliebe. Der VN hätte dann zwar noch Kunden beraten, organisatorische Aufgaben ausführen, Gespräche führen und Mitarbeiter motivieren können. Übt er aber den Friseurberuf nicht mehr aus, verliert er zunehmend an Kompetenz und Glaubwürdigkeit. Der Vergleich mit dem Starfriseur Udo Walz greift nicht, denn insoweit handelt es sich um einen deutschlandweit bekannten Starfriseur mit mehreren Salons. Damit ist der Betrieb des VN mit lediglich bis zu zehn festangestellten Friseuren nicht vergleichbar.