· Fachbeitrag · Krankenversicherung
Ein Leistungsausschluss ist kein Selbstbehalt im Sinne von § 193 Abs. 3 VVG
von RA Marc O. Melzer, FA für Medizin-, Sozial- und Versicherungsrecht, Bad Lippspringe
| Nach wie vor ist umstritten, ob der Leistungsausschluss als Selbstbehalt im Sinne des § 193 Abs. 3 VVG angesehen werden kann. Der Beitrag beleuchtet die Argumente und kommt letztlich zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall ist. |
1. Die Fragestellung in der Praxis
Das VVG bietet dem VN einer privaten Krankenversicherung die Möglichkeit, von einem Tarifwechselrecht Gebrauch zu machen (§ 204 VVG). Dies bietet sich insbesondere an, um bei geschlossenen Tarifen einer „Vergreisung“ und damit einhergehenden Prämienerhöhungen zu entgehen (Lorenz/Wandt, VersR 08, 7) oder den Versicherungsschutz einfach seinen geänderten Bedürfnissen anzupassen (Wriede, VersR 94, 249).
Nimmt der VN diese Möglichkeit wahr, kann der VR für Mehrleistungen (höhere oder umfassendere Leistungen im „Zieltarif“ mit gleichartigem Versicherungsschutz als im „Herkunftstarif“, z.B. Ein-Bett-Zimmer anstatt bisher Zwei-Bett-Zimmer) einen Leistungsausschluss oder einen angemessenen Risikozuschlag und insoweit auch eine Wartezeit verlangen.
- Die Vereinbarung eines Risikozuschlags und einer Wartezeit kann der VN abwenden, indem er hinsichtlich der Mehrleistung einen Leistungsausschluss vereinbart (also weiterhin nur das Zwei-Bett-Zimmer versichert), denn außerhalb des Basistarifs, also bei der substitutiven Krankheitskostenversicherung, lässt § 203 Abs. 1 S. 2 VVG die Vereinbarung von Leistungsausschlüssen zu.
- Verschlechterungen des Gesundheitszustands rechtfertigen hingegen keine neue Einstufung und keine Erhöhung der Prämie (erworbene Rechte), sodass die Kriterien des „Zieltarifs“ auf den Gesundheitszustand bei Abschluss des „Herkunftstarifs“ anzuwenden sind.
- Sieht der „Zieltarif“ allerdings Risikozuschläge für Erkrankungen vor, die der „Herkunftstarif“ noch nicht kannte, kann der VR diese Zuschläge auch im neuen Tarif verlangen. Voraussetzung ist, dass er die neuen Kriterien auch auf den Gesundheitszustand bei Abschluss des alten Tarifs anwendet, da er an die Risikobewertung gebunden ist (BVerwG VersR 99, 743).
- Der VR hat also zu prüfen, ob der VN anhand der damaligen Risikobewertung im „Zieltarif“ mit oder ohne Zuschlag versicherbar ist.
2. Der risikobezogene Leistungsausschluss
In diesem Zusammenhang ist noch ungeklärt, ob der VN auch einen risikobezogenen Leistungsausschluss verlangen kann.
Vorgaben des BVerfG
Das BVerfG hat darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Krankenversicherung zahlreiche Leistungsausschlüsse und Leistungsbeschränkungen für Medikamente, Heil- und Hilfsmittel und (vor allem) bei der zahnärztlichen Behandlung kennt. Zudem könne der VN einer privaten Krankheitskostenversicherung auf die Prämienhöhe durch die Vereinbarung von Selbstbehalten Einfluss nehmen (BVerfG VersR 09, 957).
Folgen des risikobezogenen Leistungsauschlusses für den VN
Mit der Vereinbarung eines risikobezogenen Leistungsausschlusses geht der VN das Risiko nicht unerheblicher finanzieller Belastungen ein. Möglich sind Kosten, die über dem zulässigen Selbstbehalt von jährlich 5.000 EUR liegen können (die Aufwendungen für den stationären und den ambulanten Bereich werden dabei zusammengerechnet). Daher verweisen immer mehr Kranken-VR auf § 193 Abs. 3 VVG.
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Danach ist jede Person mit Wohnsitz im Inland verpflichtet, bei einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen eine Krankheitskostenversicherung, die mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst und bei der die für tariflich vorgesehene Leistungen vereinbarten absoluten und prozentualen Selbstbehalte für ambulante und stationäre Heilbehandlung für jede zu versichernde Person auf eine betragsmäßige Auswirkung von kalenderjährlich 5.000 EUR begrenzt ist, abzuschließen und zu unterhalten. |
Daher sind einige VR der Ansicht, dass die Vereinbarung eines risikobezogenen Leistungsausschlusses gegen § 193 Abs. 3 VVG verstößt und lehnen derartige Ansinnen des VN ab.
Die Vorgaben des Gesetzgebers
In der Tat wollte der Gesetzgeber (BT-Drs. 16/4247, S. 67) mit der Beschränkung auf maximal 5.000 EUR pro Kalenderjahr sicherstellen,
„dass niemand durch die Verpflichtung zum Abschluss oder zur Aufrechterhaltung eines Krankheitskostenversicherungsvertrags unverhältnismäßig belastet wird. Auch die Möglichkeit, durch tarifliche Selbstbehalte und sonstige Selbstbeteiligungen bis zu einer betragsmäßigen Auswirkung von 5.000 EUR jährlich die Versicherungsprämie niedrig zu halten, begrenzt die finanzielle Belastung.“
3. Die unterschiedlichen Ansichten
Was daraus folgt, wird unterschiedlich interpretiert.
Absolute Grenze für Eigenleistung des Versicherten
Nach einer Ansicht soll daraus folgen, dass die 5.000 EUR jährlich eine absolute Grenze für die Eigenleistung der Versicherten darstellen (Grote/Bronkars, VersR 08, 580; Marlow/Spuhl, VersR 09, 596). Es sollen also nicht nur Selbstbehalte erfasst werden, sondern alle Eigenbeiträge der Versicherten. Entsprechend wären jenseits der Grenze von 5.000 EUR die Kosten für medizinisch notwendige Heilbehandlungen voll zu erstatten (Römer/Langheid, 3. Aufl. 2012, § 193 VVG Rn. 30).
Individuelle Leistungsauschlüsse werden nicht umfasst
Die Auffassung überzeugt jedoch nicht. Vom Wortlaut des § 193 Abs. 3 S.ph 1 werden individuelle Leistungsausschlüsse nicht umfasst. Die Vereinbarung eines Risikozuschlags oder individuellen Leistungsausschlusses hat der Gesetzgeber lediglich in § 203 Abs. 1 S. 2 VVG für den Basistarif ausgenommen, sodass er Leistungsausschlüsse in der substitutiven Krankheitskostenversicherung gerade weder verbieten noch der Höhe nach auf 5.000 EUR beschränken wollte (Marko, Private Krankenversicherung, 2. Aufl. 2010, B Rn. 40 ff.; ders., in Rüffer/Halbach/Schimikowski, § 193 VVG Rn. 28; Lehmann, VersR 10, 998). Bei einem wegen eines erhöhten Risikos vereinbarten Leistungsausschluss handelt es sich um eine primäre Einschränkung des Leistungsumfangs und gerade nicht um einen Selbstbehalt (vgl. Boetius, MüKo 2009, § 203 VVG Rn. 621). Eine Gleichstellung würde zudem zu erheblichen praktischen Problemen führen, weil die Quantifizierung der Leistungseinschränkung kaum möglich ist (Prölss/Martin, § 193 VVG Rn. 14).
Bei welchen Erkrankungen soll ein Ausschluss möglich sein? Wo fängt es an, wo hört es auf? Soll darüber bzw. über die möglichen jährlichen Kosten die Versicherung entscheiden? Dies würde dazu führen, dass das Tarifwechselrecht ausgehebelt werden könnte mit der einfachen Behauptung, dass die Erkrankung behandlungsbedürftig wird und mit erheblichen Kosten sicher zu rechnen sei. Das ist aber der falsche Maßstab und würde letztlich zu einer Einschränkung der Vertragsfreiheit führen, wenn der VN sich für den Ausschluss entscheidet. Nochmals: Es kommt weder auf den aktuellen noch auf den künftigen und ungewissen Gesundheitszustand und schon gar nicht auf dadurch möglicherweise verursachte Kosten an.
Fazit | Ein Leistungsausschluss ist daher kein Selbstbehalt im Sinne von § 193 Abs. 3 VVG und kann die Versicherungspflicht nicht verletzen.
Weiterführende Hinweise
- Ein geringerer oder fehlender Selbstbehalt ist keine Mehrleistung i.S.d. § 204 Abs. 1 Nr. 1 VVG: Penteridis, VK 12, 69
- Tarifwechsel: Unzulässige Kombination eines absoluten jährlichen Selbstbehalts sowie eines behandlungsbezogenen Selbstbehalts: BGH 12.9.12, IV ZR 28/12, Abruf-Nr. 123206