· Fachbeitrag · Lebensversicherung
In der Kündigung der Versicherung liegt kein Widerruf der Bezugsberechtigung
| Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags durch den VN stets zugleich den Widerruf der Bezugsberechtigung auf den Todesfall enthält. Diese Frage ist vielmehr durch Auslegung der Erklärung im Einzelfall zu entscheiden. So entschied es der BGH. |
Sachverhalt
Die VN unterhielt eine Rentenversicherung. Gegen eine Einmalzahlung von 20.000 EUR erhielt sie ab dem 1.6.12 eine vierteljährliche Rente in Höhe von 181,84 EUR. Im Versicherungsantrag hatte sie ihren Lebensgefährten als Bezugsberechtigten im Todesfall bestimmt.
Am 18.2.19 kündigte die VN den Vertrag und bat darum, ihr den Restbetrag auf ihr Konto zu erstatten. Der VR kehrte einen Betrag von 16.044,37 EUR an die VN aus, der ihrem Konto am 27.3.19 gutgeschrieben wurde. Einen Tag später verstarb die VN und wurde von ihrer Tochter beerbt. Der VR forderte die Zahlung daraufhin von der Tochter zurück.
Entscheidungsgründe
Der BGH gab dem VR recht und verurteilte die Tochter, den Betrag zurückzuerstatten (22.3.23, IV ZR 95/22, Abruf-Nr. 234846). Der BGH führt zum Widerruf Folgendes aus:
„Zutreffend nimmt das Berufungsgericht allerdings an, dass der Widerruf der Bezugsberechtigung durch den VN eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem VR ist, die auf den Zeitpunkt ihrer Abgabe abstellend aus Sicht des VR als objektiver Empfänger gemäß §§ 133, 157, 242 BGB auszulegen ist. Der Tatrichter hat nach ständiger Senatsrechtsprechung eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung so auszulegen, wie der Erklärungsempfänger sie nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von seinem Empfängerhorizont aus verstehen musste. Innerhalb dieses normativen Rahmens kommt es darauf an, was der Erklärende gewollt und inwieweit er seinen Willen für den Erklärungsempfänger erkennbar zum Ausdruck gebracht hat.“
In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, ob einer Kündigungserklärung des VN im Regelfall, ohne Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte, konkludent auch der Wille des VN zu entnehmen ist, dass er damit zugleich ein widerruflich bestehendes Bezugsrecht widerrufen will.
Der BGH schließt sich der Ansicht an, dass es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags, jedenfalls durch den VN, zugleich den Widerruf der Bezugsberechtigung einschließt. Der BGH begründet das folgendermaßen:
- Zu berücksichtigen ist dabei nach ständiger Senatsrechtsprechung, dass bei einer Erklärung im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung im Interesse des Vertragspartners, hier des VR, weitgehend auf deren Wortlaut und darauf abzustellen ist, wie die Erklärung aus dessen Sicht zu verstehen ist.
- Außerdem soll der VR im Interesse einer schnellen und reibungslosen Abwicklung des Versicherungsfalls nicht ‒ mitunter schwierige ‒ Auslegungsfragen entscheiden müssen.
- Ein Widerruf der Bezugsberechtigung ergibt sich hier auch nicht konkludent aus den Umständen. Aus dem Wortlaut des Schreibens ergibt sich für den VR nur die Erklärung der Kündigung. Es ergeben sich daraus keine Gründe, warum die VN diese erklärt hat. Es steht auch nicht fest, dass der VR Anhaltspunkte für weitere mit der Kündigungserklärung möglicherweise beabsichtigte Zwecke der VN gehabt hätte.
- Im Hinblick auf das hier vereinbarte Bezugsrecht auf den Todesfall gibt es auch keinen Hinweis für den VR, dass sich die wirtschaftlichen Motive der VN, insbesondere ihren Lebensgefährten im Todesfall finanziell zu bedenken, insoweit geändert haben könnten.
Relevanz für die Praxis
Zwar darf nach der Senatsrechtsprechung der Empfänger der Erklärung dieser nicht einfach den für ihn günstigsten Sinn beilegen. Er muss unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit prüfen, was der Erklärende gemeint hat. Das gilt insbesondere, wenn erkennbar eine von zwei möglichen Auslegungen für den Erklärenden wirtschaftlich wenig Sinn macht (vgl. BGH 21.5.08, IV ZR 238/06, VersR 08, 1054 Rn. 30).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegt ein derartiger Fall hier aber nicht vor. Aus der Kündigungserklärung der VN ergab sich nur, dass sie den Vertrag zum 1.4.19 beendet wissen wollte und darum bat, dass „der Restbetrag“ auf ihr Konto überwiesen werde. Ausgehend vom Empfängerhorizont des VR war damit für diesen nur erkennbar, dass die VN eine Beendigung des Versicherungsvertrags zum nächstmöglichen Termin wünschte. Der VR musste daraus nicht zweifelsfrei schließen, dass die VN auf jeden Fall auch den sofortigen Widerruf der Bezugsberechtigung gewollt hat, weil nur dies für sie wirtschaftlich sinnvoll war. Das lässt sich weder dem Schreiben entnehmen noch gibt es dafür sonstige Anhaltspunkte. Die Kündigungserklärung lässt zwar auf den Willen der VN schließen, solange sie (noch) lebt, unmittelbar auf das Geld zugreifen zu können. Nichts deutet aber aus Sicht des VR darauf hin, dass die VN im Fall ihres Todes vor Wirksamwerden der Kündigungserklärung eine Änderung des Bezugsrechts zulasten ihres Lebensgefährten und zugunsten ihrer Erbin gewollt hat.
Im Ergebnis war die Leistung daher an den Lebensgefährten der VN auszuzahlen.