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  • · Fachbeitrag · Reiserücktrittskostenversicherung

    Keine Leistungsfreiheit des Versicherers bei unerkannter Alkoholkrankheit

    von RAin Annette Leissner, Berlin

    Ist der VN bei Abschluss des Versicherungsvertrags alkoholkrank, sich dessen aber nicht bewusst, weil bis dahin keine Krankheitssymptome vorlagen, und wird er vor Reisebeginn plötzlich aufgrund einer alkoholbedingten Leberschädigung reiseunfähig, so liegt eine unerwartete, schwere Krankheit vor, die die bedingungsgemäße Leistungspflicht des VR aus der Reiserücktrittskostenversicherung auslöst (AG Berlin Mitte 13.12.13, 16 C 254/12, Abruf-Nr. 142080).

     

    Sachverhalt

    Der VN buchte 2011 für 2012 eine zweiwöchige Kreuzfahrt in der Karibik. Gleichzeitig schloss er eine Reise-Rücktrittskosten-Versicherung ab. Kurz vor Reiseantritt suchte er wegen Übelkeit seinen Hausarzt auf. Dieser stellte fest, dass die Leberwerte des VN extrem schlecht waren. Er führte dies auf einen zu hohen Alkoholkonsum zurück und überwies den VN in stationäre ärztliche Behandlung zum Alkoholentzug. Der VN stornierte die Reise und meldete dies dem VR. In den Bedingungen heißt es:

     

    • § 2 Unter welchen Voraussetzungen erbringt der VR die Leistung?

    Versicherungsschutz besteht, wenn entweder die Reiseunfähigkeit einer versicherten Person nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht zu erwarten ist oder die planmäßige Durchführung der Reise nicht zumutbar ist, weil die versicherte Person selbst oder eine Risikoperson während der Dauer des Versicherungsschutzes von einem der nachstehenden Ereignisse betroffen wird:

    Tod; schwere Unfallverletzung; unerwartete schwere Erkrankung; ...

     

    Der VN räumte ein, seit Jahren regelmäßig Alkohol getrunken zu haben, mit deutlicher Zunahme ab 2012. Bisher habe der Alkoholkonsum allerdings zu keinerlei gesundheitlichen oder sozialen Beeinträchtigungen geführt. Er sei jetzt erstmalig damit konfrontiert worden, dass er alkoholkrank sei. Der behandelnde Arzt bestätigte dies. Er attestierte, dass weder ihm noch seinem Patienten zuvor die Alkoholkrankheit bekannt war. Auch die als Zeugin gehörte Vorgesetzte des VN sagte aus, dass der VN seine Arbeit stets zuverlässig, ordentlich und ohne irgendwelche Ausfallerscheinungen ausgeführt hat.

     

    Der VR hatte die Regulierung mit der Begründung abgelehnt, es läge keine unerwartete Krankheit vor. Eine Erkrankung sei für einen VN dann vorhersehbar, wenn aufgrund der ihm bekannten Tatsachen eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Erkrankung sprach. Der Übergang von einem chronischen in einen akuten Zustand sei nicht unerwartet. Insbesondere Alkoholabusus sei keine unerwartete Erkrankung, da mit einem Rückfall jederzeit gerechnet werden müsse. Auch sei es Teil des Krankheitsbilds, die Sucht zu vertuschen.

     

    Entscheidungsgründe

    Das AG hat der Klage stattgegeben und den VR zur Erstattung der Stornokosten verurteilt. Die Reise habe aufgrund einer nicht nur schweren, sondern auch unerwarteten Krankheit abgesagt werden müssen. Für die Frage, ob eine Erkrankung unerwartet ist, komme es darauf an, ob der VN bei Buchung der Reise positive Kenntnis von Krankheitssymptomen gehabt hat, mit deren Steigerung gerechnet werden muss, sodass ein vernünftiger, unversicherter Reisender von einer Reisebuchung abgesehen hätte. Die bloß fahrlässige oder grob fahrlässige Unkenntnis reiche nicht aus (BGH NJW-RR 08, 1062, 1063). Nur bei der Kenntnis von Symptomen müsse der zwingende Schluss auf eine ernste Erkrankung gezogen worden sein, woran es hier fehle.

     

    Das Gericht war überzeugt, dass der VN erstmals 2012 mit seiner Alkoholkrankheit konfrontiert wurde, die ihm bisher unbekannt war. Zwar gehöre es zum Krankheitsbild, die Abhängigkeit zu vertuschen. Doch es könne nicht der Schluss gezogen werden, dass der VN seine Erkrankung bereits bei Reisebuchung kannte. Wesentlich sei, was der VN tatsächlich erkannt hat, und nicht, was er hätte erkennen können. Mangels Vorerkrankung könne nicht unterstellt werden, dass sich der VN seiner Alkoholabhängigkeit bewusst war.

     

    Praxishinweis

    Das Gericht stellt darauf ab, dass es für die Frage, ob eine unerwartete Krankheit vorliegt, auf die positive Kenntnis des VN und nicht auf eine fahrlässige oder grob fahrlässige Unkenntnis ankommt. Das ergibt sich aus § 19 VVG. Danach hat der VN vor Vertragsschluss die ihm bekannten Gefahrumstände zu nennen, nach denen der VR fragt. Denn der VN soll hinsichtlich der Einschätzung der versicherten Gefahr keinen Wissensvorsprung haben. Macht der VR von der Risikoprüfungsmöglichkeit Gebrauch, kann er sich daher nur dann auf Leistungsfreiheit berufen, wenn der VN ihm bekannte Gefahrumstände nicht mitgeteilt hat. Hat der VN nicht erkannt, dass er an einer Krankheit leidet, begeht er keine Anzeigeobliegenheitsverletzung.

     

    Bei Versicherungen im Massengeschäft wie Reisekranken-, Reiserücktrittskosten- und Restschuldversicherung verzichten die VR hingegen in der Regel auf eine Risikoprüfung und damit auf die Frage nach Vorerkrankungen. Das darf allerdings nicht dazu führen, dass die VR auf diesem Weg über die Grenzen des § 19 VVG hinaus Leistungsfreiheit ausbedingen. Aus diesem Grund kann ein VR nur eine Leistungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen, wenn der VN bei Reisebuchung positive Kenntnis von der Krankheit hatte. In diesem Sinne ist die Klausel § 2 der Versicherungsbedingungen auszulegen, da andernfalls die dem VR obliegende Gefahrtragung in unzulässiger Weise auf den VN abgewälzt werden würde.

     

    FAZIT | Allein der regelmäßige, nicht unerhebliche Alkoholkonsum des VN lässt die Annahme nicht zu, er wisse um seine Alkoholkrankheit. Für die Frage nach der Unerwartetheit einer Krankheit, ist aber nur das positive Wissen und nicht das „Wissenkönnen“ des VN ausschlaggebend.

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 08 / 2014 | Seite 137 | ID 42810197