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  • · Fachbeitrag · Unfallversicherung

    Anrechnung mitursächlicher Gebrechen (Allergien) bei Eintritt des Versicherungsfalls

    von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte

    • 1.Der Verzehr nusshaltiger Schokolade, in dessen Folge ein an einer schweren Nussallergie leidendes Kind verstirbt, stellt einen versicherten Unfall dar.
    • 2.Zur möglichen Mitwirkung einer außergewöhnlichen Nahrungsmittelallergie an den Unfallfolgen im Sinne von Nr. 3 AUB 2008.

    (BGH 23.10.13, IV ZR 98/12, Abruf-Nr. 133605)

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Die Klägerin macht die vereinbarte Todesfallentschädigung wegen des Todes ihres Kindes K geltend. Dieses war nach dem Verzehr von nusshaltiger Schokolade verstorben. K litt u.a. an einer besonders stark ausgeprägten Nuss­allergie, die schon beim Berühren von nusshaltigem Material zum Tode führen konnte. Der VR hat einen bedingungsgemäßen Unfall bestritten. Er hält hilfsweise eine Kürzung der Leistung wegen Mitwirkung von Gebrechen am Tod für geboten. Das Berufungsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

     

    Zutreffend hat das OLG das zum Tode des mitversicherten Kindes führende Geschehen als bedingungsgemäßen Unfall eingestuft.

     

    • Die Revisionsrüge, nicht bereits dieser Kontakt, sondern erst die dadurch ausgelöste allergische Reaktion sei das maßgebliche unmittelbare Unfall­ereignis, geht fehl. Ein Unmittelbarkeitserfordernis, nach dem lediglich auf die zuletzt innerhalb des Körpers unmittelbar wirkende Ursache abzustellen wäre, enthält die Definition des Unfallbegriffs nicht. Deshalb ist auf das Ereignis abzustellen, welches von außen auf den Körper einwirkt und damit eine Kausalkette körperinterner Vorgänge in Lauf setzt, die zur Schädigung der versicherten Person führt. Die Unfallversicherung bezweckt für den VN erkennbar keinen allgemeinen Schutz vor Krankheitsfolgen. Mit der Unfallvoraussetzung eines von außen auf den Körper des Versicherten wirkenden Ereignisses sollen Schädigungen infolge rein körperinnerer Vorgänge, wie Erkrankungen oder Verschleiß, selbst für den Fall vom Versicherungsschutz ausgenommen werden, dass sie wie etwa bei einem Herzinfarkt oder Schlaganfall plötzlich eintreten (MünchKomm-VVG/Dörner, § 178 Rn. 55). Andererseits kann der durchschnittliche VN, auf dessen Verständnis es insoweit ankommt, der Regelung über die Mitwirkung bereits vorhandener Krankheiten und Gebrechen an den Unfallfolgen (hier Nr. 3 AUB) entnehmen, dass es für den Unfallbegriff ohne Belang ist, wenn nach einem von außen auf den Körper wirkenden Ereignis bereits vorhandene Gesundheitsschäden die weitere Schadenentwicklung mitbestimmen. Dass die Zuführung der die allergische Reaktion auslösenden Nahrung hier zu einer Kette von körperinneren Ereignissen im Immunsystem des Kindes führte, steht der Annahme eines Unfalls mithin nicht entgegen.

     

    • Auch greift der Vergleich mit Schäden infolge willensgesteuerter Eigenbewegungen des Versicherten nicht (vgl. Senatsurteile VersR 89, 73 unter 1 b; VersR 09, 492 Rn. 11 m.w.N.; MünchKomm-VVG/Dörner, § 178 Rn. 69). Das die schadenstiftende Kausalkette auslösende Ereignis bestand hier nicht lediglich in einer Körperbewegung, sondern in der Einwirkung von außen zugeführter, körperfremder Gegenstände auf den Körper des Kindes.

     

    • Das schädigende Ereignis geschah auch plötzlich. Der Kontakt des Allergens mit der Mundschleimhaut dauerte nur kurze Zeit. Die allergische Reaktion trat nicht allmählich, sondern im unmittelbaren Anschluss ein. Allein dieser objektiv kurze Zeitablauf reicht aus, um die zeitliche Komponente des Unfallbegriffs zu erfüllen. Darauf, ob das Geschehen für die Geschädigte unerwartet, überraschend und unentrinnbar (vgl. dazu BT-Drucks. 16/3945, S. 107) eintrat, kommt es danach nicht mehr an.

     

    • Die Leistungspflicht des VR entfällt auch nicht, weil das Unfallereignis nicht adäquat-kausal für den Tod gewesen oder das gesamte Geschehen nicht vom Schutzzweck des Versicherungsvertrags erfasst wäre.

     

    Soweit das Berufungsgericht aber keine Kürzung der Leistung nach Nr. 3 AUB vorgenommen hat, kann das Berufungsurteil mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben.

     

    So mindert sich u.a. die Todesfallleistung entsprechend dem Mitwirkungsanteil von Krankheiten oder Gebrechen, die an der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsbeschädigung und ihren Folgen mitgewirkt haben. Die Nahrungsmittelallergie des verunglückten Kindes ist als Krankheit bzw. Gebrechen im Sinne der Klausel anzusehen. Ein Gebrechen ist ein dauernder abnormer Gesundheitszustand, der eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen nicht mehr zulässt (BGH VersR 09, 1525 Rn. 14 m.w.N.; OLG Braunschweig VersR 95, 823, 824). Allerdings wird eine lediglich erhöhte Empfänglichkeit für Krankheiten infolge individueller Körperdisposition solange nicht als Gebrechen bewertet, wie sie noch als innerhalb der medizinischen Norm liegend angesehen werden kann. Es ist nur dann gerechtfertigt, den VR teilweise von der Leistungspflicht zu befreien oder seine Leistungspflicht dementsprechend einzuschränken, wenn eine außergewöhnliche, individuell geprägte Mitverursachung vorliegt. Das ist hier der Fall. Die Allergie war so ungewöhnlich und gefährlich, dass sie unter keinen Umständen als noch innerhalb der medizinischen Norm liegend angesehen werden kann.

     

    Praxishinweis

    Der BGH bestätigt in seiner Entscheidung noch einmal ausdrücklich, dass die Voraussetzungen des Unfallbegriffs auch erfüllt sind, wenn hauptsächlich ein von außen ausgelöster innerer Vorgang zum Versicherungsfall führt. Dabei ist es gleichgültig, an welcher Stelle der Kausalkette das äußere Ereignis steht. Ein versicherter Unfall liegt deshalb vor, wenn ein Bagatellanlass die zum Tode führenden inneren Ereignisse anstößt. Er liegt aber auch dann vor, wenn ein innerer Vorgang zu einer Einwirkung von außen führt (z.B. Verkehrsunfall nach Herzinfarkt), vorausgesetzt natürlich, dass das versicherte Ereignis nicht schon vor der Einwirkung von außen eingetreten ist. Versichert sind jeweils nur die Folgen, die dem äußeren Ereignis nachfolgen.

     

    Beweispflichtig, weil zum Unfallbegriff gehörend, ist der VN. Von besonderer Bedeutung ist ferner, dass das äußere Ereignis auch psychisch vermittelt sein kann (z.B. Herzinfarkt infolge drohenden schweren Unfalls), wobei die Einzelheiten aber noch nicht abschließend geklärt sind (MünchKomm-VVG/Dörner, § 178, Rn. 63 ff).

     

    Mit dem Urteil hat der BGH einen weiteren Aspekt zur Frage der Anrechnung von für den Erfolg mitursächlicher Gebrechen entschieden. Danach kommt es auf eine Behandlungsbedürftigkeit der körperlichen Anomalie nicht an. Entscheidend ist allein, ob sie noch innerhalb der medizinischen Norm liegt. Das wird oft schwer und ohne Sachverständigen gar nicht zu entscheiden sein. So sind Allergien in der Bevölkerung weit verbreitet. Sind diese deshalb normgerecht? Der BGH hat diese Fragen ausdrücklich unentschieden gelassen. Das konnte er, da der zu beurteilende Fall einer höchstgradigen Allergie jedenfalls nicht unter die Norm fällt. Für die Normalfälle ist das deshalb offen. Entsprechend ist weiterer Streit vorprogrammiert. M.E. lässt sich das Urteil als Beleg dafür anführen, dass die Normalfälle versichert sein sollen. Schließlich hat der BGH darauf verwiesen, dass nur „eine außergewöhnliche, individuell geprägte Mitverursachung“ eine Leistungskürzung rechtfertigen kann.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Über die Entscheidung der Vorinstanz (OLG München) hatten wir in VK 12, 117 berichtet.
    Quelle: Ausgabe 01 / 2014 | Seite 10 | ID 42460236