· Fachbeitrag · Wohngebäudeversicherung
Neue Obliegenheitsverletzungen bleiben nach Leistungsablehnung des VR unberücksichtigt
von RiOLG Dr. Dirk Halbach, Köln
(BGH 13.3.13, IV ZR 110/11, Abruf-Nr. 131309) |
Sachverhalt
Der VN hält beim VR eine Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert nach Maßgabe der VGB 98. Das leer stehende Gebäude wurde vom VN zwar beheizt. Während einer Kälteperiode im Januar 06 fiel die Heizung jedoch aus. Es kam zu einem Wasseraustritt aus einem durch Frostbruch beschädigten Einhebelmischer im Badezimmer. Der VN begehrt neben bezifferten Versicherungsleistungen die Feststellung, der VR sei zur Erstattung weiterer Schäden und - im Falle des Nachweises der Wiederherstellung bzw. Wiederbeschaffung bestimmter zerstörter Gegenstände - einer Neuwertspitze verpflichtet.
Gegenüber dem Regulierungsbeauftragten des VR gab der VN unter anderem an, letztmalig drei oder vier Tage vor Entdeckung des Schadens im Gebäude gewesen zu sein. Dabei sei ihm Kälte nicht aufgefallen. Daraufhin lehnte der VR die geforderten Versicherungsleistungen unter Berufung auf Nr. 13.1 VGB 98 ab und kündigte den Versicherungsvertrag. Das versicherte Gebäude habe leer gestanden, es sei weder ausreichend beheizt, noch seien die Wasserleitungen entleert worden. In einer anschließend an den VR gerichteten schriftlichen anwaltlichen Aufforderung, die Entscheidung zu überdenken, ließ der VN vortragen, seine Ehefrau sei letztmalig am Vortag des Schadens im Gebäude gewesen. Das sei zu dieser Zeit noch warm gewesen. Die Heizung habe noch funktioniert.
Darauf erwiderte der VR: „Es ist noch eine Rückfrage erforderlich, um Ihren Schaden weiter bearbeiten zu können. Hierfür benötigen wir noch etwas Zeit. Bitte haben Sie dafür Verständnis. Wir kommen wieder auf Sie zu.“ Mit gleichem Datum übersandte der VR dem VN persönlich eine Bestätigung der Stornierung der Wohnhauspolice und eine Schlussabrechnung über die Erstattung überzahlter Prämie.
Der VR hält sich für leistungsfrei. Die Angabe, die Ehefrau des VN sei noch am Vortag des Schadens im zu dieser Zeit noch warmen Hause gewesen, sei falsch. Darauf dürfe er sich ungeachtet seiner Leistungsablehnung berufen. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
Entscheidungsgründe
Der BGH entschied, dass sich der VR nicht gemäß § 6 Abs. 3 VVG a.F. i.V.m. Art. 1 Abs. 2 EGVVG auf eine Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Auskunftsobliegenheit aus Nr. 14.2.2 VGB 98 berufen kann.
Ein VN hat nach dem Versicherungsfall Aufklärungs- oder Auskunftsobliegenheiten nur solange zu erfüllen, wie er es mit einem VR zu tun hat, der noch prüfungs- und damit verhandlungsbereit ist. Mit der endgültigen Leistungsablehnung des VR enden, solange der VR an ihr festhält, die Verhandlungen über eine Entschädigungsleistung, während derer der VR auf Angaben eines redlichen VN angewiesen ist. Nur bis zu der Erklärung, die Leistung abzulehnen, besteht mithin die besondere Schutzbedürftigkeit des VR, der im Versicherungsrecht mit der - dem übrigen Schuldrecht unbekannten - Sanktion der Leistungsfreiheit wegen schuldhaft begangener Obliegenheitsverletzungen Rechnung getragen werden darf.
Allerdings kann dieser Schutz für den VR wieder aufleben, wenn er dem VN unmissverständlich zu erkennen gibt, dass er an seiner Leistungsablehnung nicht festhalten, sondern erneut in die Prüfung der Leistungspflicht eintreten und dazu die Verhandlungen über die Schadenregulierung wieder aufnehmen wolle. Weiter muss der VR dem VN in diesem Falle klar zu erkennen geben, inwieweit für ihn noch ein Aufklärungsbedürfnis besteht.
Daran gemessen kann sich der VR nicht mehr auf die Verletzung der Obliegenheit aus Nr. 14.2.2 VGB 98 berufen. Bereits vor dem Anwaltsschreiben, welches die beanstandete Auskunft enthielt, hatte der VR seine Leistung abgelehnt. Er hat dem VN nicht unmissverständlich seine Bereitschaft signalisiert, von der Leistungsablehnung Abstand zu nehmen und wieder in die Leistungsprüfung einzutreten. Dem knappen Wortlaut des an den Rechtsanwalt des VN gerichteten Schreibens kann schon nicht sicher entnommen werden, dass der VR wieder in die Sachprüfung eintreten wollte. Der VN konnte dem Schreiben mithin auch nicht entnehmen, inwieweit der VR in der Sache noch Aufklärungsbedarf sah. Hinzu kommt, dass der VR mit zwei weiteren an den VN persönlich adressierten Schreiben die aus Anlass der vermeintlichen Obliegenheitsverletzung erklärte Kündigung des Versicherungsvertrags in der Weise bestätigte und ihm eine Stornomitteilung nebst Schlussabrechnung übersandte. Das konnte der VN nur dahin verstehen, dass der VR daran festhalte, dass er eine Obliegenheit aus Nr. 13.1 VGB 98 verletzt habe.
Ist ein für den VN erkennbarer Wiedereintritt in die Leistungsprüfung nicht erfolgt, kommt es auf die weiteren Erwägungen zur erneuten Geltung der Auskunftsobliegenheit nicht mehr an. Vielmehr verbleibt es bei der durch die Leistungsablehnung des VR beendeten Obliegenheitsbindung.
Praxishinweis
Für die Praxis wichtig ist, dass die Entscheidung die Rechtsprechung des BGH fortsetzt. Danach hat der VN nach dem Versicherungsfall Aufklärungs- und Auskunftsobliegenheiten nur solange zu erfüllen, wie der VR noch prüfungs- und verhandlungsbereit ist (BGH VersR 89, 842).
Die Entscheidung enthält auch Ausführungen zur Verwirkung wegen arglistiger Täuschung. Danach begegnet auch die Annahme durchgreifenden rechtlichen Bedenken, der VN habe die Versicherungsleistung wegen vollendeter oder versuchter arglistiger Täuschung über Tatsachen, die für den Grund oder die Höhe der Entschädigung von Bedeutung sind, nach Nr. 17 VGB 98 verwirkt. Der BGH verweist darauf, dass die in VGB 98 und ähnlichen Klauseln (etwa § 22 Abs. 1 VHB 84) geregelte Verwirkung des Leistungsanspruchs infolge arglistiger Täuschung des Vertragspartners den in § 242 BGB wurzelnden Rechtsgedanken des redlichen Umgangs der Vertragspartner miteinander konkretisiert. Dieser fußt in der Erwägung, dass sich gerade das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße auf wechselseitiges Vertrauen beider gründet. Allerdings belegen die Regelungen des § 6 VVG a.F./§ 28 VVG n.F., dass eine letztlich auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützte Leistungsfreiheit auf Ausnahmefälle von besonderem Gewicht beschränkt bleiben muss. Diese bleibt Fällen vorbehalten, in denen es dem VR nicht zugemutet werden kann, an der Erfüllung der von ihm übernommenen Vertragspflichten festgehalten zu werden. Begründung: Selbst bei vorsätzlicher Verletzung ausdrücklich vereinbarter Obliegenheiten tritt nach dem dafür geltenden Sanktionenregime Leistungsfreiheit nur unter den in den §§ 6 VVG a.F. oder 28 VVG n.F. geregelten Voraussetzungen ein.
Der sachprüfungs- und verhandlungsbereite VR ist bei seiner Entscheidungsfindung in besonderem Maße auf wahrheitsgemäße Angaben eines redlichen VN angewiesen. Daher kann § 17 VGB 98 nicht mehr auf Angaben des VN angewendet werden, die erst nach einer Leistungsablehnung des VR gemacht werden. Entsprechend muss eine Anwendung auf Angaben des VN in einem Schreiben unterbleiben, mit dem dieser um eine Wiederaufnahme der Prüfung ersucht.
Das Berufungsgericht muss nun klären, ob dem VN die Verletzung einer vor dem Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheit aus Nr. 13.1 VGB 98 anzulasten ist.
Weiterführende Hinweise
- Das gilt beim Kürzen der Versicherungsleistung entsprechend der Schwere des Verschuldens (Wasserleitung nicht entleert): LG Bonn VK 10, 211
- Ein Rücktritt vom Versicherungsvertrag wegen nicht angezeigter Gefahrumstände ist dem VR nur möglich, wenn er zuvor nach diesen Gefahrumständen in Textform gefragt hat: LG Hagen VK 10, 84
- Aufklärungsobliegenheit: Wann entfällt das Aufklärungsinteresse des Versicherers? OLG Saarbrücken VK 07, 9