· Fachbeitrag · AGG
Wochenarbeitszeit nicht erhöht? Schadenersatz ist in diesem Fall durchaus möglich!
von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA ArbR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen
| Eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes wird nur vermutet, wenn Indizien vorliegen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass einer der genannten Gründe ursächlich für die Benachteiligung war. Die Möglichkeit einer Ursächlichkeit reicht nicht aus. |
Sachverhalt
Der ArbN ist mit einem GdB von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Der ArbG betreibt einen Express-Versand und Transport-Service. Der ArbN arbeitet als Kurier mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 27,5 Stunden.
Der ArbG verteilte ein weiteres Stundenvolumen von insgesamt 66,5 Stunden unbefristet an 14 teilzeitbeschäftigte Kuriere und schloss mit diesen entsprechende Änderungsverträge ab. Der ArbN blieb dabei unberücksichtigt, obwohl er zuvor mehrfach um Erhöhung seiner Wochenstundenzahl gebeten hatte. Dies galt auch für einen weiteren Mitarbeiter, der in derselben Station eingesetzt war. Alle anderen Teilzeitmitarbeiter mit dem Wunsch auf Stundenerhöhung wurden dagegen berücksichtigt.
Der ArbN wollte mit seiner Klage erreichen, dass die wöchentliche Arbeitszeit erhöht wird. Hilfsweise machte er einen Schadenersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG in Höhe der ihm entgangenen Vergütung geltend. Er berief sich darauf, dass der ArbG ihn bei der Vergabe der Stundenerhöhungen wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe.
Die Vorinstanz gab der Klage auf Schadenersatz in Höhe des entgangenen Verdienstes statt (Hessisches LAG 25.9.15, 18 Sa 520/14, Abruf-Nr. 188953).
Entscheidungsgründe
Das BAG (26.1.17, 8 AZR 736/15, Abruf-Nr. 191544) hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Das LAG habe die Beweislastregel des § 22 AGG verkannt. Nach der Berufungsinstanz hätten vom ArbG nicht widerlegte Indizien vorgelegen, die eine Benachteiligung des ArbN wegen seiner Schwerbehinderung vermuten ließen. Die Vermutung einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bestehe nur, wenn Indizien vorlägen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen ließen, dass ein in § 1 AGG genannter Grund ursächlich für die Benachteiligung gewesen sei. Die Möglichkeit einer Ursächlichkeit reiche nicht aus. Wegen der bislang vom LAG getroffenen Feststellungen konnte der Senat den Rechtsstreit nicht abschließend selbst entscheiden, sodass er zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen war.
Relevanz für die Praxis
Das Urteil zeigt die praktischen Schwierigkeiten bei der Beweisführung für eine Benachteiligung wegen eines Merkmals nach § 1 AGG auf. Durch die Beweiserleichterung des § 22 AGG muss der Anspruchsteller zwar nur noch das Vorliegen von Indizien beweisen. Für diese verbleibt es aber bei der Erforderlichkeit des Vollbeweises.
Ist der Beweis solcher Indizien gelungen, muss der ArbG den Entlastungsbeweis führen. Welche Tatsachen aber als Indiz hinreichend sind, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermutet wird, lässt erhebliche Auslegungsspielräume offen. Diese konkretisiert das BAG in ständiger Rechtsprechung dahingehend, dass die Indizien den Rückschluss auf eine Benachteiligung mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellen lassen müssen (BAG 7.2.11, 2 AZR 355/10, Abruf-Nr. 121519, AA 12, 94). Die vorliegende Entscheidung setzt diese Linie fort.
Im Ergebnis muss das Tatsachengericht daher alle Umstände des Einzelfalls heranziehen, die bewiesenen und unstreitigen Hilfstatsachen würdigen und so den logischen Rückschluss auf eine Benachteiligung ziehen.