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  • · Fachbeitrag · Beschäftigungsanspruch

    Schadenersatz für die Nichtbeschäftigung?

    von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule Bremen

    | Die für den Bereich der Bühnenkünstler entwickelte Rechtsprechung zum pauschalierten Schadenersatz von bis zu sechs Monatsgagen pro Spielzeit bei einer Verletzung des Beschäftigungsanspruchs kann nicht auf den Profimannschaftssport übertragen werden. |

     

    Sachverhalt

    Die Parteien streiten über einen Schadenersatzanspruch. Der Kläger (Eishockeyspieler) wurde bei der Beklagten in der Spielsaison 2019/2020 nicht beschäftigt, da diese aufgrund der Coronapandemie abgebrochen wurde. Bis dahin fungierte er als Kapitän und Leistungsträger der Mannschaft.

     

    Die Beklagte sprach eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus und bot gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis mit einer verringerten Vergütung fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen an und erhob eine Änderungsschutzklage. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger vom Mannschaftstraining frei. Durch einstweilige Verfügung erstritt der Kläger die Zulassung zum Trainingsbetrieb. Anschließend erfolgte eine außerordentliche fristlose Kündigung.

     

    Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen und der fristlosen Kündigung fest. Die tatsächliche Teilnahme am Training wurde dem Kläger jedoch durchgängig verweigert. Er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Schadenersatz aufgrund der Weigerung der Beklagten, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Ihm sei ein Schaden in seinem beruflichen Fortkommen entstanden, da er als Eishockeyprofi seine beruflichen Fertigkeiten nicht im Mannschaftstraining habe weiterentwickeln und verbessern können. Dadurch habe sein Marktwert gelitten, denn ein Profimannschaftssportler bedürfe der ständigen Trainingspraxis. Die Beklagte habe sich ihm gegenüber durchgängig unlauter verhalten. Die Vorinstanzen gaben der Klage in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern statt und wiesen die weitergehende Klageforderung ab (LAG Sachsen 1.7.22, 4 Sa 45/22).

     

    Entscheidungsgründe

    Die dagegen gerichtete Revision des Klägers vor dem BAG (29.2.24, 8 AZR 359/22, Abruf-Nr. 241175) blieb erfolglos. Er habe keinen Anspruch auf weiteren Schadenersatz wegen der Verletzung seines Beschäftigungsanspruchs. Zwar bestehe ein Anspruch des ArbN auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des ArbG, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Die Beklagte habe den Beschäftigungsanspruch auch schuldhaft verletzt, indem sie ihn vom Mannschaftstraining suspendiert habe. Dies und die anschließende außerordentliche fristlose Kündigung seien zudem eine Maßregelung i. S. v. § 612a BGB gewesen, da der Kläger lediglich in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt habe.

     

    Der Kläger habe dennoch keinen Anspruch auf weiteren Schadenersatz gegen die Beklagte. Es sei nicht ausreichend dargelegt worden, dass ihm infolge der Verletzung der Beschäftigungspflicht ein solcher Schaden entstanden sei. Ob ein solcher Vermögensschaden vorliege, sei nach der Differenzhypothese zu beurteilen. Der Schaden könne auch den entgangenen Gewinn umfassen, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Das Gericht müsse nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilen, ob § 287 Abs. 1 ZPO nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestschadens ermögliche.

     

    Schadenersatzansprüche von Profimannschaftssportlern dürften jedoch nicht in Anlehnung an die Rechtsprechung für andere Berufsgruppen wie insbesondere Bühnenkünstler pauschalierend festgesetzt werden. Für die Schätzung des Schadens eines Profimannschaftssportlers bedürfe es greifbarer Anknüpfungstatsachen. Hieran fehle es vorliegend. Mangels konkreter Anhaltspunkte könne nur eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens erfolgen, die vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre.

     

    Soweit der Kläger vortrage, dass er vor seinem Engagement bei der Beklagten bei einem anderen Verein eine höhere Vergütung als im Laufe seiner weiteren Karriere erhalten habe, würden sich hieraus keine Anhaltspunkte für den zu schätzenden Schaden ergeben. Es erschließe sich nicht, aus welchen Umständen der Kläger bei einer Teilnahme am Mannschaftstraining für die folgende Saison einen Vertrag mit einer höheren Vergütung hätte abschließen können.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung zeigt, dass es trotz der prozessualen Erleichterung zur Schadensbemessung aufgrund der Möglichkeit der Schätzung durch den Tatrichter gemäß § 287 ZPO Sache des Anspruchstellers ist, die dafür erforderlichen Grundlagen darzulegen und unter Beweis zu stellen. Das Gericht kann nur dann unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung entscheiden, wenn es über entsprechende Anknüpfungstatsachen verfügt.

     

    An deren Darlegung ist der dem Grunde nach bestehende Schadenersatzanspruch vorliegend gescheitert. Der Beschäftigungsanspruch des Klägers wurde durch die Beklagte schuldhaft verletzt. Ein ArbN soll als Ausdruck und in Achtung seiner Persönlichkeit und seines Entfaltungsrechts auch tatsächlich arbeiten können. Für die finanzielle Absicherung bei einer dagegen verstoßenden Nichtbeschäftigung sorgt die Regelung zum Annahmeverzug des § 615 S. 1 BGB, der dem ArbN den Entgeltanspruch trotz Nichtarbeit erhält. Für einen darüber hinausgehenden Schadenersatzanspruch bedarf es eines bezifferbaren Schadens.

     

    Für dessen Berechnung war es zwar nicht fernliegend, auf die gefestigte Rechtsprechung hinsichtlich Bühnenkünstlern zurückzugreifen. Es gibt aber einen Unterschied: Ein Profisportler hat keinen Anspruch auf einen Wettkampfeinsatz wie es bei einem Künstler in Bezug auf seine Auftritte der Fall ist. Daher ist darauf zu achten, den weiteren hypothetischen Geschehensablauf ohne das Schadensereignis möglichst präzise und mit Beweisangeboten anhand der Umstände des Einzelfalls darzulegen.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2024 | Seite 115 | ID 50015065