Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Anfechtung des Arbeitsvertrags

    Die Frage nach der Schwangerschaft ist auch bei der Schwangerschaftsvertretung unzulässig

    Der ArbG kann unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise keine Aufklärung über das Bestehen einer Schwangerschaft seitens einer ArbN oder einer Bewerberin verlangen. Dies gilt auch dann, wenn nur ein befristeter Arbeitsvertrag begründet werden soll und feststeht, dass die Bewerberin während eines wesentlichen Teils der Vertragslaufzeit nicht arbeiten kann (LAG Köln 11.10.12, 6 Sa 641/12, Abruf-Nr. 130176).

    Sachverhalt

    Die ArbN unterzeichnete am 30.9.11 einen Arbeitsvertrag, nachdem sie im Zeitraum zwischen dem 5.10.11 befristet bis zum 31.1.13 als Rechtsanwaltsfachangestellte eingestellt wurde. Im November 2011 informierte die ArbN den ArbG über das Bestehen einer Schwangerschaft und den voraussichtlichen Geburtstermin, den 19.5.12.

     

    Unmittelbar danach richtete der ArbG ein Schreiben an die ArbN, in dem es heißt:

     

    „Sehr geehrte Frau ....,

     

    Sie teilten uns unlängst mit, dass Sie schwanger sind. Die Schwangerschaft war Ihnen schon zum Zeitpunkt der Eingehung des Arbeitsverhältnisses bekannt. Dies haben Sie selbst gegenüber weiteren Mitarbeitern bestätigt. Damit haben Sie uns getäuscht. Wir sprechen hiermit die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung aus ....“

     

    Gegen diese Anfechtung wendete sich die ArbN im Klagewege. Die Klage war vor dem Arbeitsgericht erfolgreich. Die hiergegen gerichtete Berufung des ArbG blieb erfolglos.

     

    Entscheidungsgründe

    Das LAG Köln stellt klar, dass die ArbN bei Vertragsschluss nicht verpflichtet gewesen sei, das Bestehen der Schwangerschaft zu offenbaren. Ein Verschweigen von Tatsachen stelle nur eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Aufklärungspflicht bestehe. Im Hinblick auf eine Schwangerschaft sei dies nach den Geboten von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zur Vermeidung einer Geschlechtsdiskriminierung zu verneinen.

     

    Eine entsprechende Frage des ArbG sei nach § 3 Abs. 1 S. 2 AGG als unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts zu bewerten. Dies zeige sich bereits darin, dass der ArbG in der Anfechtung selbst ausgeführt habe, er hätte die ArbN nicht eingestellt, wenn diese bereits bei Vertragsunterzeichnung über die bekannte Schwangerschaft wahrheitsgemäß informiert hätte.

     

    Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, dass von Anfang an ein befristeter Arbeitsvertrag zwischen den Parteien in Rede gestanden habe. Nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH 4.10.01, C-109/00, DB 01, 2451) sei die Frage nach der Schwangerschaft auch unzulässig, wenn ein befristeter Arbeitsvertrag begründet werden solle, und feststehe, dass die Bewerberin aufgrund der Schwangerschaft während eines wesentlichen Teils der Vertragslaufzeit nicht arbeiten könne. Nur so sei das aus Artikel 5 Abs. 1 RL 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg folgende Recht zu verwirklichen. Da weder ein Fragerecht des ArbG noch eine Offenbarungspflicht der ArbN hinsichtlich der Schwangerschaft bestanden habe, sei eine wirksame Anfechtung des Arbeitsvertrags zu verneinen.

     

    Auch die mittlerweile wohl überholte BAG-Rechtsprechung (BAG 8.9.88, 2 AZR 102/88, NZA 89, 178), nach der ein Fragerecht des ArbG bestehen soll, wenn die Vertragsdurchführung wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots gänzlich unmöglich sei, führe hier nicht weiter. Sei wie im entschiedenen Fall eine Vertragsdurchführung zunächst ohne Weiteres möglich, gebe es für eine solche Ausnahme aus dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs keinen Anlass.

     

    Praxishinweis

    Das LAG führt den konsequent vom EuGH und in den neueren Entscheidungen des BAG beschrittenen Weg weiter, nach dem die Frage nach dem Bestehen einer Schwangerschaft grundsätzlich unzulässig ist und damit die Falschbeantwortung konsequenzenlos zu lassen. Dies bedeutet, dass - von ausgesprochenen Ausnahmefällen unter Umständen abgesehen - bei der Frage nach der Schwangerschaft von der ArbN oder Bewerberin gelogen werden darf. Eine Anfechtung oder eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses lässt sich auf eine solche Falschbeantwortung der Frage nicht stützen.

     

    Dem Parteivertreter der ArbN ist daher zu raten, auf das fehlende Fragerecht und die nicht bestehende Offenbarungspflicht im Falle einer Anfechtung oder Kündigung explizit hinzuweisen. Für eine Anfechtung fehlt es nach der aktuellen Rechtsprechung jedenfalls an einem wirksamen Anfechtungsgrund. Auch ein personen- oder verhaltensbedingter Kündigungsgrund wegen einer „Lüge“ oder Nichtoffenbarung der Schwangerschaft scheidet aus.

     

    Falls das Arbeitsverhältnis nicht dem Anwendungsbereich des KSchG unterfällt, dürfte trotz des dann geltenden Grundsatzes der Kündigungsfreiheit eine allein und ausdrücklich auf eine solche Lüge gestützte Kündigung nicht nur treuwidrig im Sinne des § 242 BGB sein, sondern auch unwirksam wegen des Verstoßes gegen das Maßregelverbot nach § 612a BGB. In der Lüge bzw. Nichtoffenbarung der Schwangerschaft liegt nämlich eine zulässige Ausübung der Rechte der ArbN.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Der praktische Fall: Wo bleibt die frisch gebackene Mutter? in AA 12, 158
    Quelle: Ausgabe 02 / 2013 | Seite 20 | ID 37555340