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  • · Fachbeitrag · Arbeitnehmereigenschaft

    Auch Anwälte können unter Voraussetzungen arbeitnehmerähnliche Personen sein

    | Ein selbstständiger Rechtsanwalt, der sämtliche Honorarforderungen gegen Zahlung eines monatlichen Fixums an eine Rechtsanwaltskanzlei für die Nutzung von deren Infrastruktur abtritt, kann als arbeitnehmerähnliche Person im Sinne von § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG anzusehen sein. |

     

    Sachverhalt

    Der Kläger macht für das Jahr 2015 geltend, dass er gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 25 Prozent der Rechtsanwaltsgebühren hat, die durch seine Bearbeitung eigener Mandate entstanden sind. Er begehrt im Rahmen eines Stufenantrags Auskunft über den Gegenstandswert, über die in Ansatz gebrachten Gebühren, über die Vorschuss- und Abschlusskostennoten und über die Zahlungseingänge hinsichtlich der von ihm im Jahr 2015 bearbeiteten Mandate sowie Zahlung nach Auskunftserteilung. Außerdem möchte er ein Zeugnis erteilt bekommen.

     

    Der Kläger war in der Kanzlei der Beklagten drei Jahre als Rechtsanwalt in Teilzeit (Drei-Tage-Woche) tätig. Er trat die Rechtsanwaltsgebühren der von ihm selbstständig bearbeiteten Mandate vollständig an die Beklagten ab. Vor Gericht erläuterte er, er habe für die Bearbeitung von Mandaten der Beklagten ein monatliches Fixum von 1.534,58 EUR zzgl. 19 Prozent Umsatzsteuer als Vergütung erhalten. Hinsichtlich der von ihm selbst akquirierten und selbstständig bearbeiten Mandate sei vereinbart worden, dass er einen Anspruch auf Zahlung von 25 Prozent der dadurch entstandenen Rechtsanwaltsgebühren habe.

     

    Die Beklagten behaupten, der Kläger habe keines der auf die Vollzeitbeschäftigung entweder als Angestellter oder freier Mitarbeiter gerichteten Angebote angenommen, weil er mit Blick auf seine Doktorarbeit und seine in Mannheim wohnende Freundin nicht die ganze Woche in Nürnberg habe sein wollen. Er habe vielmehr erklärt, Rechnungen stellen zu wollen für seine Tätigkeit, soweit er Mandate der Beklagten bearbeite und eigene mit den Ressourcen der Kanzlei (Räume, Personal, Material, EDV, Strom, Heizung, Wasser etc.) erarbeitete Gebührenansprüche den Beklagten abtreten zu wollen.

     

    Der Kläger ist der Ansicht, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gem. § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG eröffnet sei. Er sei bei Entstehung der klageweise geltend gemachten Ansprüche eine arbeitnehmerähnliche Person gewesen. Er sei wirtschaftlich von den Beklagten abhängig gewesen. Die Beklagten haben den vom Kläger beschrittenen Rechtsweg gerügt. Der Kläger sei weder ArbN gewesen noch sei er wegen unwirtschaftlicher Selbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen.

     

    Das Arbeitsgericht Nürnberg stellte fest, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht gegeben sei. Es verwies den Rechtsstreit an das LG. Hiergegen legte der Kläger Beschwerde ein.

     

    Entscheidungsgründe

    Das LAG Nürnberg (14.4.21, 4 Ta 148/20, Abruf-Nr. 222960) kam zum Ergebnis, dass der Kläger bei Entstehung der klageweise geltend gemachten Ansprüche eine arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG gewesen sei. Daher sei der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG für alle Klageanträge eröffnet.

     

    Der Kläger sei von den Beklagten wirtschaftlich abhängig gewesen. Er habe 2015 von den Beklagten Zahlungen in Höhe von insgesamt 18.414,96 EUR erhalten. Daneben habe er weitere Einkünfte von insgesamt 7.962,35 EUR erzielt. Danach stelle die Vergütung die deutlich höhere Einkommensquelle (knapp 70 Prozent des Jahreseinkommens) und damit die entscheidende Existenzgrundlage dar. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger nur im Rahmen einer Drei-Tage-Woche als Rechtsanwalt tätig war, er im Übrigen an seiner Doktorarbeit gearbeitet und gegebenenfalls die Möglichkeit gehabt habe, an den verbleibenden Tagen einer anderen Tätigkeit nachzugehen. Zum einen ändere dies an der tatsächlich bestehenden wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Beklagten nichts (BAG 30.8.00, 5 AZB 12/00). Zum anderen sei die wirtschaftliche Abhängigkeit nicht zwingend dadurch charakterisiert, dass die Gestaltung des Vertragsverhältnisses den Dienstleistenden derart beanspruche, dass er daneben keine nennenswerte weitere Erwerbstätigkeit mehr ausüben könne. Eine Teilzeittätigkeit, die in ihrer Sozialtypik einem Teilzeitarbeitsverhältnis nahestehe, stehe der Annahme einer Arbeitnehmerähnlichkeit daher nicht entgegen (LAG Köln 6.5.05, 4 Ta 40/05).

     

    Nach der tatsächlichen Durchführung seiner Beschäftigung sei der Kläger seiner gesamten sozialen Stellung nach einem als ArbN angestellten Rechtsanwalt vergleichbar schutzbedürftig. Dies ergebe die Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls. Dabei könne zugunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Jahr 2015 nahezu ausschließlich eigene Mandate selbstständig betreut habe. Denn insoweit sei zu berücksichtigen, dass eine arbeitnehmerähnliche Person selbstständig sei und damit gerade nicht persönlich abhängig und nicht weisungsgebunden.

     

    Der Kläger sei auch nicht Partner einer Anwaltssozietät. Die gemeinsame Berufsausübung sei das wesentliche Kriterium einer Anwaltssozietät. Sie dokumentiere sich dadurch, dass die Rechtsanwälte eine gemeinsame Kanzlei unterhalten und nach außen gemeinsam auftreten (einheitlicher Briefkopf, einheitliches Praxisschild, einheitliche Kanzleibezeichnung) sowie die Aufträge gemeinsam entgegennehmen. Dazu gehöre auch, dass die Honorare gemeinsam vereinnahmt werden. Diese Voraussetzungen lägen offensichtlich nicht vor. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Kläger zur gleichberechtigten Mitwirkung an der Personalpolitik oder zur Verfügung über das Sozietätskonto berechtigt gewesen sei. Es werde von den Beklagten auch gar nicht behauptet, dass der Kläger Partner ihrer Anwaltssozietät gewesen sei.

     

    Für die einem ArbN vergleichbare Schutzbedürftigkeit spräche, dass der Kläger keine eigene Kanzlei gehabt habe, sondern in der Kanzlei der Beklagten unter Verwendung der Kanzleiressourcen der Beklagten gearbeitet habe. Das Fehlen einer eigenen Betriebsorganisation und eigener Betriebsmittel spreche für die vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger ArbG-Funktionen wahrgenommen oder seinerseits wie ein Unternehmer im eigenen Namen ArbN beschäftigt habe.

     

    Ganz wesentlich für die einem ArbN vergleichbare Schutzbedürftigkeit spreche, dass der Kläger nach der tatsächlichen Durchführung der Beschäftigung seine Ansprüche auf Rechtsanwaltsgebühren in voller Höhe an die Beklagten abgetreten und von diesen lediglich einen monatlichen Fixbetrag von 1.534,58 EUR netto erhalten habe. Er habe seine eigenen Mandate nicht auf eigene Rechnung betreut. Er sei in wirtschaftlicher Hinsicht vielmehr einem gegen Festgehalt als ArbN beschäftigten Anwalt vergleichbar.

     

    Relevanz für die Praxis

    Was sind die charakteristischen Merkmale von „arbeitnehmerähnlichen Personen“?

     

    • Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbstständige.
    • An die Stelle der das Arbeitsverhältnis prägenden persönlichen Abhängigkeit tritt die wirtschaftliche Abhängigkeit.
    • Wirtschaftliche Abhängigkeit liegt regelmäßig vor, wenn der Beschäftigte auf die Verwertung seiner Arbeitskraft und die Einkünfte aus der Tätigkeit für den Vertragspartner zur Sicherung seiner Existenzgrundlage angewiesen ist.
    • Eine arbeitnehmerähnliche Person kann für mehrere Auftraggeber tätig sein. Dann muss die Beschäftigung für einen von ihnen überwiegen und die daraus fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage sein.
    • Der wirtschaftlich Abhängige muss seiner gesamten sozialen Stellung nach einem ArbN vergleichbar schutzbedürftig sein (vgl. etwa BAG 21.12.10, 10 AZB 14/10). So zum Beispiel, wenn das Maß der Abhängigkeit (= wirtschaftliche Abhängigkeit) nach der Verkehrsanschauung einen solchen Grad erreicht, wie er im Allgemeinen nur in einem Arbeitsverhältnis vorkommt und die geleisteten Dienste nach ihrer soziologischen Typik mit denen eines ArbN vergleichbar sind.
    • Maßgebend ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls (BAG 17.1.06, 9 AZR 61/05).

     

    Quelle: Ausgabe 07 / 2021 | Seite 112 | ID 47475849