· Fachbeitrag · Betriebsratstätigkeit
Kein generelles „Twitter-Verbot“ für den Betriebsrat
| Das generelle Verbot gegenüber dem Betriebsrat, sich über betriebliche Angelegenheiten über einen Twitter-Account zu äußern, ist zu weit gefasst. Der Betriebsrat ist im Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG auch außerhalb des Betriebs selbst grundrechtsfähig. |
Sachverhalt
Die Betriebsparteien streiten, ob und in welchem Umfang sich der Betriebsrat über einen Twitter-Account zu betrieblichen Angelegenheiten äußern darf. Der Betriebsrat veröffentlichte Tweets zu Einigungsstellen und Dienstplanänderungen, die Gegenstand eines einstweiligen Verfügungsverfahrens zwischen den Parteien waren.
Der ArbG ist der Ansicht, dass der Betriebsrat mit seinem Twitter-Account gegen die Grundsätze der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßen habe bzw. verstoße, wenn er sich dort zu betrieblichen Angelegenheiten äußere. Es gehöre weder zu seinen Aufgaben noch zu seinen Befugnissen, von sich aus die außerbetriebliche Öffentlichkeit über irgendwelche betrieblichen Vorgänge zu unterrichten. Der ArbG beantragte erstinstanzlich festzustellen, dass der Betriebsrat nicht berechtigt sei, sich über einen von ihm unterhaltenen Twitter-Account zu betrieblichen Angelegenheiten des ArbG öffentlich zu äußern. Hilfsweise sollte festgestellt werden, dass bestimmte Äußerungen auf dem „Twitter-Account“ rechtswidrig seien.
Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, ihm dürfe es nicht untersagt werden, einen Twitter-Account zu nutzen. Das Arbeitsgericht Göttingen hat dem Hauptantrag des ArbG im Wesentlichen stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats wurden sämtliche Anträge zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Das LAG Niedersachsen (6.12.18, 5 TaBV 107/17, Abruf-Nr. 210727) ist der Auffassung, der Hauptantrag sei ausreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Im Streitfall solle dem Betriebsrat verboten werden, sich über den Nachrichtendienst Twitter zu Angelegenheiten zu äußern, die den Betrieb des ArbG betreffen. Der Antrag mache die Unterlassungsverpflichtung indes von einer Bedingung abhängig.
Im Ergebnis sei der Hauptantrag des ArbG zulässig. Die Problematik, ob er zu weit gefasst sei und als sogenannter Globalantrag gewertet werden müsse, führe nicht zur Unzulässigkeit, sondern nur zur Unbegründetheit (BAG 27.6.17, 9 AZR 120/16, Abruf-Nr. 196145). Der Hauptantrag sei aber unbegründet. Denn er umfasse als sogenannter Globalantrag auch Fallkonstellationen, die eindeutig und nach jeder Betrachtungsweise von ihm erfasst werden und für die es keine Rechtsgrundlage für ein derart weitgehendes Verbot gebe.
Die Problematik, ob und wieweit der Betriebsrat auch grundrechtsfähig sei, sei erkennbar vom BAG noch nicht entschieden worden (offengelassen: BAG 17.3.10, 7 ABR 95/08). Die Beschwerdekammer gehe zugunsten des Betriebsrats von einer partiellen Grundrechtsfähigkeit aus. Jedenfalls soweit er eigene Rechte wahrnehme und eigene Pflichten erfülle, sei ihm eine begrenzte Rechtsfähigkeit zuzubilligen. Er könne sich auch auf die Meinungsfreiheit berufen (LAG Schleswig-Holstein 30.9.08, 2 TaBV 25/08).
Der Betriebsrat sei nicht darauf beschränkt, seine Meinung in bestimmten Räumlichkeiten zu äußern. Er könne selbst entscheiden, wann und bei welchen Gelegenheiten er eine öffentliche Stellungnahme für angebracht halte.
Gemessen an diesen Grundsätzen gehe das erstinstanzlich tenorierte Verbot viel zu weit. Es erfasse erkennbar als Globalverbot auch Tatbestände und Sachverhalte, die der freien Meinungsäußerung des Betriebsrats gemäß Art. 5 Abs. 1 GG unterfielen. So sei es beispielsweise unproblematisch vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung des Betriebsrats gedeckt, wenn er als Gremium in der Öffentlichkeit (unabhängig, ob über Twitter oder ein anderes Medium) zu einer geplanten und in der Presse besprochenen Betriebsstilllegung Stellung nehme, ohne dass diese öffentliche Diskussion in der Presse vom ArbG initiiert worden sei. Auch andere Beispiele seien denkbar.
Der Hauptantrag des ArbG könne auch nicht in der Weise ausgelegt oder begrenzt werden, dass die Fälle der Meinungsäußerung, die von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt seien, nicht erfasst werden sollten, demgegenüber schlichte Fälle der Information der Öffentlichkeit über betriebliche Angelegenheiten jedoch sehr wohl. Ein solches Verständnis müsse bereits zur Unzulässigkeit des Feststellungsantrags führen. Dieser verliere dann jedwede Konturen, zumal die Abgrenzung zwischen Meinungsäußerung und Information im Sinne einer Tatsachenbehauptung extrem schwierig sei. Nach alledem sei der Hauptantrag des ArbG als Globalantrag eindeutig unbegründet.
Auch die Hilfsanträge des ArbG seien unzulässig. Zwar seien die bisher veröffentlichen Tweeds immer noch im Netz einsehbar. Allerdings gehe es dem ArbG erkennbar nicht darum, die mögliche negative Konsequenz der immer noch einsehbaren Twitter-Nachrichten durch das Gericht feststellen zu lassen. Es gehe ihm darum, dass die in der Vergangenheit liegende Veröffentlichung, also eine konkrete abgeschlossene, in der Vergangenheit liegende Handlungsweise des Betriebsrats als Verstoß gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zu bewerten sei. Diese Handlungsweise liege vollständig in der Vergangenheit.
Relevanz für die Praxis
Nach der Entscheidung muss man von einer partiellen Grundrechtsfähigkeit des Betriebsrats ausgehen, die auch das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG umfasst. Bei Versuchen dieses für bestimmte Äußerungen in der Öffentlichkeit (insbesondere in sozialen Netzwerken) zu beschneiden, muss der Parteivertreter des ArbG seinen Antrag sehr sorgfältig formulieren. Sind Fallkonstellationen denkbar, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, handelt es sich um einen jedenfalls unbegründeten Globalantrag.
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Nach der Rechtsprechung des BAG ist ein Globalantrag unbegründet, weil er Fallkonstellationen erfasst, die er nicht hätte erfassen dürfen. Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, einen derart weit gefassten Antrag durch Teilzurückweisungen einzuschränken und sich über jedwede Fallkonstellation im Einzelnen Gedanken zu machen. |
Für den vorliegenden Fall stellte das LAG Niedersachsen Folgendes dazu fest: Was der ArbG geltend machte, sei in Wahrheit und bei Licht betrachtet ein Leistungsantrag gewesen. Dieser sei nur deswegen in Form eines Feststellungsantrags geltend gemacht worden, weil das BAG seine Rechtsprechung diesbezüglich geändert hat. Ursprünglich habe der ArbG einen Unterlassungsantrag im Bereich des § 74 BetrVG geltend machen dürfen.
Schon damals seien die Bedenken bekannt gewesen, die das BAG dazu veranlasst haben, einen Unterlassungsantrag als Leistungsantrag für unzulässig zu erklären. Mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten sei auf die allgemeinen Bedenken eingegangen worden, insbesondere darauf, dass ein Unterlassungsbegehren des ArbG gegen den Betriebsrat nicht vollstreckbar sei. Denn diese Problematik sei nicht Gegenstand des Beschlussverfahrens als Erkenntnisverfahren. Im Übrigen seien dem geltenden Recht, wie sich zum Beispiel aus § 888 Abs. 2 ZPO ergebe, Ansprüche nicht fremd, die gerichtlich geltend gemacht werden könnten, aber dennoch nicht im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzbar seien (BAG 22.7.80, 6 ABR 5/78).
Folge man nunmehr der modernen Auffassung des BAG, wie vorliegend geschehen, dann gelten jedenfalls für diesen Feststellungsantrag im Hinblick auf die Problematik eines Globalantrags dieselben Rechtsgrundsätze wie bei einem Leistungsantrag.