· Fachbeitrag · Kündigung
ArbG widerruft Urlaub und alle ArbN melden sich krank = welchen Beweiswert hat nun die AUB?
| Der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) ist erschüttert, wenn die vom ArbG vorgetragenen Tatsachen zu ernsthaften Zweifeln an der AUB Anlass geben. Solche Tatsachen können u. a. die Erteilung einer AUB ohne Untersuchung nur nach telefonischer Rücksprache oder auch die gemeinsame Krankschreibung mehrerer ArbN für die Dauer eines vom ArbG widerrufenen Betriebsurlaubs sein. |
Sachverhalt
Die ArbN war als Arzthelferin beim ArbG beschäftigt. Der ArbG hatte für den 3.4. bis einschließlich 13.4.20 (Ostermontag) geplant, die Praxis zu schließen. Er hatte allen vier ArbN und der Auszubildenden Urlaub erteilt. Am 18.3.20 wurde eine Mitarbeiterin positiv auf Corona getestet. Das Gesundheitsamt sprach daraufhin eine Quarantäneanordnung für alle ArbN und den ArbG als Kontaktpersonen bis einschließlich 2.4.20 aus. Die ArbN arbeiten von zu Hause aus weiter, sofern dies möglich war.
Ende März schlug der ArbG vor, den Urlaub um eine Woche zu verschieben oder in Schichten zu arbeiten, da er so kurz nach der Schließung durch die Quarantäne einen „weiteren“ Ausfall verhindern wollte. Die ArbN hielten davon nichts. Das teilten sie dem ArbG durch mehrere Kurznachrichten mit. Der ArbG hielt an der Praxisöffnung fest. Daraufhin meldeten sich die ArbN sowie zwei weitere Kolleginnen krank. Eine ArbN erhielt den Urlaub wegen eines geplanten Umzugs. Die ArbN wurde vom 3.4. bis 9.4.20 von Ihrer Hausärztin krank geschrieben. Am 14.4.20 (Osterdienstag) erschien sie wieder in der Praxis. Der ArbG kündigte ihr fristlos, hilfsweise fristgemäß. Er meint, die ArbN habe sich arbeitsunfähig krankschreiben lassen, ohne krank zu sein.
Das Arbeitsgericht gab der Kündigungschutzklage mangels wichtigem Grund statt. Der Beweiswert der AUB sei schon nicht erschüttert.
Entscheidungsgründe
Das LAG Nürnberg (27.7.21, 7 Sa 359/20, Abruf-Nr. 226360) hielt die fristlose Kündigung ebenfalls für unwirksam. Die fristgemäße aber nicht.
Das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit könne einen „wichtigen Grund an sich“ im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB zur Kündigung darstellen, wenn der ArbN unter Vorlage eines Attests der Arbeit fernbliebe und sich Entgeltfortzahlung gewähren lasse, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handele. Im vorliegenden Fall habe der ArbG den Kündigungsvorwurf nicht beweisen können. Es stehe nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die ArbN anlässlich ihrer Krankschreibung vom 3.4.20 gewusst habe, dass sie nicht arbeitsunfähig erkrankt sei und sie die Ärztin über ihren Gesundheitszustand mit dem Ziel der Krankschreibung getäuscht habe.
Zwar sei davon auszugehen, dass aufgrund der Vorgeschiche der Beweiswert erschüttert sei. Unstreitig ordnete der ArbG für die ArbN vom 3.4. bis 9.4.20 Urlaub an. Die ArbN waren mit dieser Festlegung des Urlaubs auch einverstanden. Diesen bewilligten Urlaub habe der ArbG mit den Kurznachrichten vom 27.3.20 und später aus der Quarantäne widerrufen. Unstreitig haben die ArbN dies nicht akzeptiert. Alle vom Urlaubswiderruf betroffenen ArbN, die damit nicht einverstanden waren, seien arbeitsunfähig für einen Zeitraum erkrankt, der bei allen betroffenen ArbN den gesamten Urlaub vom ersten bis zum letzten Tag abdecke. Diese gleichlaufenden besonderen Umstände ließen sich nur schwer mit Launen des Zufalls in Einklang bringen und würden damit den Beweiswert der erteilten AUB erschüttern.
Die Urlaubsgewährung vom 3.4. bis 9.4.20 sei aber wirksam, der Widerruf durch den ArbG unwirksam. Nach der Rechtsprechung des BAG könne bewilligter und noch nicht angetretener Urlaub nur ausnahmsweise seitens des ArbG einseitig widerrufen werden, da das BUrlG einen solchen Widerruf nicht vorsehe. Dabei müssten dem ArbG bei Einbringung des erteilten Urlaubs und Nichtantritt der Arbeit außerordentliche Schäden drohen und dem ArbN müsse der Verzicht auf die Einbringung des Urlaubes zum bewilligten Termin zumutbar sein. Einen solchen Sachverhalt habe der ArbG nicht vorgetragen.
Die fraglichen Tage seien daher auf den Urlaubsanspruch anzurechnen, da die ArbN nicht habe nachweisen können, dass sie an diesen Tagen arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Nach § 9 BurlG sei dieser Nachweis durch ärztliches Attest zu führen. Dabei könne es sich auch um eine AUB handeln. Deren Beweiswert sei nach den obigen Ausführungen erschüttert und deshalb untauglich, Krankheit und daraus folgende Arbeitsunfähigkeit der ArbN nachzuweisen. Die ArbN sei deshalb in der Darlegungs- und Beweislast für eine Erkrankung ihrerseits, die Arbeitsunfähigkeit verursache. Sie sei insoweit beweisfällig geblieben. Es stehe aufgrund der Aussage der behandelnden Ärztin als Zeugin nicht fest, dass sie vom 3.4. bis 9.4.20 erkrankt und deshalb an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert gewesen sei.
Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die Zeugin glaubwürdig gewesen sei. Die Zeugin war erkennbar bemüht gewesen, zugunsten der ArbN auszusagen. Sie habe aber nach eigener Aussage die ArbN wegen der Pandemie nicht persönlich untersucht und habe deshalb nicht aus eigener Anschauung Erkenntnisse zum Gesundheitszustand der ArbN gewinnen können. Es habe nur ein Telefongespräch zwischen der ArbN und der Ärztin stattgefunden. Die Aussage der Zeugin war damit für das Gericht nicht geeignet, ein hinreichendes Maß an richterlicher Überzeugung dafür zu begründen, dass die ArbN im fraglichen Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei.
Relevanz für die Praxis
Das LAG Nürnberg wählte in diesem Fall eine rechtlich interessante Konstruktion: Zwar konnte der ArbG den Nachweis eines Erschleichens der erteilten AUB nicht führen. Damit blieb er beweisfällig hinsichtlich des wichtigen Grunds für die außerordentliche Kündigung. Aber die fraglichen Tage rechnete das LAG auf den Urlaubsanspruch an, da die ArbN nicht nachweisen konnte, dass sie an diesen Tagen arbeitsunfähig erkrankt war.