· Fachbeitrag · Mobbing
Besteht eine Pflicht des Gerichts zur Parteivernehmung bei Mobbing?
(BAG 14.11.13, 8 AZR 813/12, Abruf-Nr. 142088) |
Sachverhalt
Der ArbN war seit dem 16.10.00 beim ArbG als „System-Support-Programmer/Analyst“ tätig. Seit dem 15.10.10 war er von der Arbeit freigestellt. Der ArbG kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich, wobei über die Wirksamkeit der Kündigungen zwischen den Parteien andere Rechtsstreite anhängig waren.
Der ArbN trägt vor, er sei schikanösem und diskriminierendem Verhalten eines Vorgesetzten ausgesetzt gewesen. Aufgrund dieser Mobbinghandlungen habe er ab dem 25.9.08 ein depressives Syndrom mit Störungen der Vitalfunktion und Schlafstörungen erlitten, wegen dem er in nervenärztlicher Behandlung sei. In diesem Zusammenhang macht er u.a. geltend, am 28.5.08 aufgefordert worden zu sein, nicht krankzufeiern.
Der Vorgesetzte habe ihm am 3.7.08 erklärt, er passe nicht ins Team. Einen Tag später habe er in diesem Zusammenhang gesagt, der ArbN werde niemals eine Beförderung erhalten, solange er dessen Vorgesetzter sei. Am 24.9.08 habe der Vorgesetzte geäußert, der ArbN solle von zu Hause aus arbeiten, wenn er sich krank fühle und am 8.5.09 habe er schmerzliche Folgen für den Fall der Inanspruchnahme der Elternzeit angedroht. Am 7.12.09 habe der Vorgesetzte ihm angedroht, das Arbeitsleben „horribel“ zu machen. Am 2.3.10 habe er gemutmaßt, der ArbN arbeite nicht hart, da er nicht gestresst aussehe.
Im Zusammenhang mit diesen Äußerungen hat der ArbN gegenüber dem ArbG Zahlungsklage auf Entschädigung in Geld bzw. in Schmerzensgeld erhoben, sowie auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz aller materiellen und immateriellen Schäden. Er hat für das Vorliegen der Mobbinghandlungen des Vorgesetzten als Beweismittel allein seine Vernehmung als Partei angeboten.
Das Arbeitsgericht München (29.3.11, 21 Ca 12312/10) und das LAG München (4.11.11, 3 Sa 541/11) haben die Klage abgewiesen. Nach Nichtzulassungsbeschwerde des ArbN hat das BAG das Urteil des LAG München aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
Der 8. Senat des BAG führt zunächst aus, dass die vom ArbN mit Datum dargelegten Vorfälle geeignet seien, einen systematischen Zusammenhang in Richtung einer zielgerichteten Verletzung der Würde des ArbN und Erschaffung eines Umfelds der Einschüchterung, Anfeindung, Erniedrigung, Entwürdigung oder Beleidigung zu schaffen und damit einen Anspruch auf Entschädigung in Geld bzw. Schmerzensgeld zu begründen. Dies gelte für die sechs vom ArbN mit konkretem Datum benannten Vorfälle.
Hingegen sei die Ablehnung einer Parteivernehmung des ArbN von Amts wegen nach § 448 ZPO allein mit der Begründung, es fehle an einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen Behauptungen und es liege kein Anfangs- oder Anbeweis für die behaupteten Tatsachen vor, nicht ausreichend. Zwar sei es richtig, dass der ArbN für das Vorliegen von Mobbinghandlungen, aus denen er Schadenersatzansprüche herleite, darlegungs- und beweispflichtig sei. Eine Parteivernehmung des ArbN nach § 447 ZPO, die von diesem als einziges Beweismittel angeboten sei, scheitere aufgrund des fehlenden Einverständnisses der ArbG.
Hingegen habe das LAG sein ihm im Rahmen des § 448 ZPO eingeräumtes Ermessen nicht nachprüfbar ausgeübt.
Eine Verpflichtung des Gerichts zur Parteivernehmung nach § 448 ZPO habe zwar nicht bestanden. Das LAG habe aber prüfen müssen, ob eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür gesprochen habe, dass die vom ArbN geschilderten Äußerungen des Vorgesetzten in den Vier-Augen-Gesprächen tatsächlich gefallen seien. Eine Verpflichtung zur Vernehmung der beweispflichtigen Partei bestehe nämlich nur, wenn ein Gespräch allein zwischen den Parteien stattgefunden habe und deshalb kein Zeuge, auch kein Zeuge, der im Lager der anderen Partei stehe, zugegen gewesen sei. Eine solche Situation, in der die Rechtsprechung des BVerfG unter dem Aspekt des wirkungsvollen Rechtsschutzes von einer Verpflichtung des Gerichts zur Parteivernehmung der beweisbelasteten Partei ausgehe, liege hier hingegen nicht vor. Es habe die Möglichkeit bestanden, den Vorgesetzten als Zeugen zu vernehmen.
Das LAG habe hingegen ohne weitere Prüfung die gewisse Wahrscheinlichkeit der zu beweisenden Tatsachen, nämlich der einzelnen vom ArbN benannten Gespräche zwischen ihm und dem Vorgesetzten verneint. Die entsprechenden Feststellungen seien hingegen nicht in einer § 286 ZPO genügenden Weise getroffen worden. Allein die Ausführung, dass ein sogenannter Anfangs- oder Anbeweis für die Behauptungen des ArbN nicht bestehe, reiche nicht aus. Das LAG habe vielmehr ausführen müssen, aus welchen Gründen es zu dieser Feststellung gelangt sei. Allein der Hinweis auf die Anwesenheit des ArbN in der mündlichen Verhandlung und die insofern bestehende Gelegenheit zur persönlichen Stellungnahme sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Es werde nicht ersichtlich, ob das LAG Fragen an den ArbN gestellt habe, und welche Erklärungen er gegebenenfalls abgegeben habe. Hierzu enthalte auch die Sitzungsniederschrift keine Feststellungen.
Da die Entscheidung des LAG München an diesem Verfahrensfehler leide, hat das BAG dieses aufgehoben und den Streit nach § 563 Abs. 1 S. 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Praxishinweis
Das Urteil bietet für Parteivertreter sowohl des ArbN, als auch des ArbG in Fällen, in denen die Parteivernehmung als einziges (sinnvolles) Beweismittel zur Verfügung steht, interessante Ansatzpunkte. Oft wird von den Instanzgerichten das Beweismittel nach § 448 ZPO der Parteivernehmung als subsidiäres Beweismittel nicht erhoben. Sofern theoretisch andere Beweismittel erreichbar sind und die Gegenseite der Parteivernehmung des Gegners widerspricht, steht die Erhebung des Beweises der Parteivernehmung im Ermessen des erkennenden Gerichts. Dieses Ermessen muss hingegen nachprüfbar ausgeübt und begründet werden. Sofern das Gericht der beweisbelasteten Partei Fragen stellt, diese bzw. die Antworten auch im Rahmen der Sitzungsniederschrift protokolliert und sich in den Entscheidungsgründen hierauf bezieht, wird man in der Regel von einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung ausgehen können.
In vielen Fällen wird hingegen, wie der entschiedene Fall zeigt, unter Hinweis darauf, dass eine Behauptung nicht „anbewiesen“ sei, die Parteivernehmung der beweisbelasteten Partei ohne Weiteres abgelehnt. Dies reicht nach der aktuellen Rechtsprechung des BAG hingegen nicht aus und macht das Urteil durch Berufung oder Revision angreifbar.
Checkliste / Parteivernehmung als Beweismittel |
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Weiterführender Hinweis
- Fehlender Gruß ist kein Mobbing: LAG Rheinland-Pfalz in AA 13, 37