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  • 16.11.2012 · IWW-Abrufnummer 123813

    Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 15.05.2012 – 5 Sa 283/11

    1. Eine nicht ordnungsgemäße Unterrichtung der Mitarbeitervertretung vor Ausspruch einer Kündigung führt nach § 45 Absatz 2 des Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (Mitarbeitervertretungsgesetz - MVG) in Verbindung mit § 134 BGB zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die nicht ordnungsgemäße Unterrichtung steht der fehlenden Unterrichtung gleich.

    2. Die Unterrichtung der Mitarbeitervertretung hat wie die Unterrichtung eines Betriebs- oder Personalrats in vergleichbaren Situationen so umfassend zu erfolgen, dass sie sich selbst ein Bild über den Sachverhalt machen und eine Entscheidung treffen kann. Auch im Weiteren gelten die gleichen Grundsätze wie bei der ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrates, so auch der Grundsatz der subjektiven Determinierung. Das bedeutet, die Dienststellenleitung unterrichtet dann ordnungsgemäß, wenn sie den ihr bekannten Sachverhalt der Mitarbeitervertretung zur Kenntnis bringt. Dabei darf sich die Dienststellenleitung allerdings nicht auf Wertungen beschränken, sie muss vielmehr den Sachverhalt mitteilen, der diesen Wertungen zugrunde liegt. Dabei sind alle erkennbar bedeutsamen Umstände mitzuteilen, auch diejenigen die zugunsten des Arbeitnehmers sprechen.

    3. In diesem Sinne ist es unzureichend, wenn der Arbeitgeber zum Kündigungsgrund mitteilt, der Arbeitnehmer habe den streitigen iPod einem der Heimbewohner gestohlen, wenn ihm bekannt ist, dass der Arbeitnehmer den iPod des Heimbewohners zunächst berechtigt in Besitz hatte, und sich erst dadurch pflichtwidrig verhalten hat, dass er ihn dem Bewohner über viele Monate hinweg nicht zurückgegeben hatte.


    Tenor:

    1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

    2. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien waren zeitweilig durch ein Arbeitsverhältnis verbunden, das durch eine arbeitgeberseitige Kündigung zum 30. Juni 2011, die der Kläger nicht mehr gerichtlich angegriffen hat, beendet wurde. Hier streiten die Parteien noch um die Frage, ob das Arbeitsverhältnis bereits aufgrund der außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 21. Januar 2011 geendet hat.

    Der 1981 geborene Kläger ist ledig und keinem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er ist seit dem 13. Juli 2008 als Heilerziehungspfleger in dem Heilpädagogischen Wohn- und Pflegeheim der Beklagten in W. beschäftigt.

    Bei 30 Stunden wöchentlich erhielt der Kläger zuletzt ein monatliches Bruttogehalt von 1.685,64 Euro. Zwischen den Parteien gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburg (AVR DWM) in der jeweils für die Diakonie Stargard gültigen Fassung. Insoweit wird auf § 2 des Dienstvertrages verwiesen (Anlage K 1, hier Blatt 5).

    Die Beklagte fühlt sich zur Kündigung berechtigt und verpflichtet, weil der Kläger über viele Monate hinweg einen iPod genutzt hat, der für den Heimbewohner N. K. angeschafft worden war. Dem liegen die folgenden Umstände zu Grunde.

    N. ist blind und geistig behindert; er leidet zudem unter ataktischen Bewegungen, weshalb er sehr häufig fixiert werden muss. Der Kläger besitzt einen älteren iPod, den er gelegentlich auch während der Arbeit mit einem Lautsprechersystem benutzt hatte. Dabei war aufgefallen, dass der Bewohner N. positiv auf bestimmte Musik reagiert hatte. Daraus hatte sich der Wunsch der bestellten Betreuerin von N., Frau B., und der für N. seinerzeit zuständigen Mitarbeiterin der Beklagten, Frau D., die Bezugsbetreuerin, entwickelt, ein solches Gerät für N. und für die Arbeit mit N. aus den finanziellen Mitteln von N. anzuschaffen. Die Anschaffung des Gerätes sollte der Kläger übernehmen. Das Gerät sollte erstmals bei einem Kurzurlaub, den N. mit seiner Bezugsbetreuerin im April 2010 unternommen hat, zum Einsatz kommen. Da das Gerät erst bestellt werden musste und es damit zum Urlaubsbeginn noch nicht verfügbar war, hat der Kläger seinen iPod und das Lautsprechersystem Frau D. für die Urlaubszeit mit N. überlassen.

    Wenige Tage später ist der neue iPod für N. sodann eingetroffen und er wurde vom Kläger in Empfang genommen. Der Kläger hat dann diesen iPod genauso wie das für N. erworbene Lautsprechersystem, beide im Gesamtwert von fast 350,00 Euro, weder an N. selbst noch an seine Bezugsbetreuerin noch an einen sonstigen Mitarbeiter der Beklagten übergeben. Vielmehr hat er das für N. erworbene modernere Gerät für seine Zwecke selbst genutzt und zwar über viele Monate hinweg bis in den Januar 2011 hinein. Sein eigenes älteres Gerät, das er N. und Frau D. für die Urlaubszeit überlassen hatte, ist im Besitz der Bezugsbetreuerin bzw. der Beklagten verblieben. Es wurde dann auch noch im Heim gelegentlich eingesetzt.

    Da das Gerät, das bei N. bzw. seiner Bezugsbetreuerin verblieben war, von einigem Wert war, war es im Regelfall in einem Tresor der Beklagten eingeschlossen gewesen und wurde nur für die Zeiten seiner gelegentliche Nutzung dort entnommen. Im Mai oder Juni 2010 ist dann die Bezugsbetreuerin Frau D. erkrankt, im Oktober ist sie gänzlich ausgeschieden. Da sie aus der Krankheit heraus ausgeschieden war, gab es keine förmliche Übergabe, so dass auch der Status des iPod des Klägers, der immer noch nicht zurückgetauscht war, unklar blieb. Da in jener Zeit auch der Tresor im Heim durch die Beklagte aufgegeben wurde, wurde das Gerät von anderen Mitarbeiterinnen des Hauses stattdessen in deren Spind gelagert, sofern es nicht im Einsatz war.

    Frau V., die neue Bezugsbetreuerin für N. ab Oktober 2010, hat dann zunächst versucht, den Status des Gerätes zu klären. In diesem Zusammenhang ist es dann im Dezember 2010 zu einem Abgleich der Gerätedaten auf dem Gerät selber und auf der Rechnung über den vom Kläger abgewickelten Gerätekauf im April 2010 gekommen. Dabei haben die Bezugsbetreuerin Frau V. und eine Verwaltungsmitarbeiterin der Beklagten in der Buchhaltung festgestellt, dass die Gerätenummern nicht übereinstimmen. Frau V. hat den Kläger darauf angesprochen, dieser hat sich ihr gegenüber aber nicht genau und jedenfalls auch nicht wahrheitsgemäß dazu erklärt.

    Daraufhin hat Frau V. im Januar 2011 den Heimleiter, Herrn F., von den Erkenntnissen unterrichtet. Auch Herr F. hat den Kläger am 12. Januar 2011 zur Rede gestellt. Wiederum hat der Kläger abgestritten, dass mit dem iPod von N. etwas nicht in Ordnung sein könne. Am Folgetag hat der Heimleiter sodann noch bei dem Elektronik-Fachgeschäft, bei dem der Kläger das Gerät erworben hatte, unter Vorlage der Rechnung und des Gerätes, das sich im Besitz des Hauses befand, um Auskunft gebeten, ob das vorhandene Gerät das auf der Rechnung ausgewiesene Gerät sein könne. Dort hat er die Auskunft erhalten, dass das auf der Rechnung ausgewiesene Gerät eine neueres sei, das nicht mit dem vorgelegten übereinstimmen könne.

    Am 14. Januar 2011 wurde der Kläger auch mit diesen Erkenntnissen konfrontiert, er blieb aber bei seiner Darstellung. Der Heimleiter hat sodann die Schichtübergabe im Heim dazu genutzt, den Vorgang betriebsöffentlich zu machen und hat von allen Mitarbeitern eine Erklärung zu dem iPod verlangt. Erst daraufhin hat der Kläger in einem Telefonat nach Feierabend mit dem Heimleiter eingeräumt, dass er immer noch im Besitz des für N. im April 2010 erworbenen Gerätes sei. In einem weiteren Gespräch, das auf Wunsch des Klägers erst am 18. Januar 2011 stattfand, hat sich der Kläger umfassend gegenüber Herrn F. geäußert. Herr F. ist zu dem Inhalt dieses Gesprächs vor dem Arbeitsgericht als Zeuge vernommen worden. Seine zu Protokoll genommene Aussage, die von keiner Partei in Frage gestellt wurde, lautet wörtlich (vgl. das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2011, hier Blatt 90 ff):

    "Bei dem Gespräch am 18.01. teilte mir [der Kläger] mit, Frau D. habe ihn gebeten, einen iPod zu kaufen, da er sich mit technischen Geräten besser auskenne und weil es für N. ... gut sei, im Urlaub Musik zu hören. Zu welchem Zeitpunkt Frau D. [dem Kläger] das gesagt haben soll, war nicht Gegenstand des Gesprächs. [Der Kläger] gab an, er habe es zeitlich nicht mehr geschafft, das Gerät noch vor dem Urlaub von [N.] zu besorgen. Er habe deshalb Frau D. sein eigenes Gerät gegeben. Im Anschluss daran habe er das für N. ... gekaufte Gerät mit Musik bespielt. Frau D. habe dann zu ihm gesagt, es mache zu viel Arbeit, das Gerät von [N.] mit Musik zu bespielen, und zwar mit der Musik, die auf dem Gerät [des Klägers] war, zu bespielen. Frau D. habe erklärt, dass sie mit dem Gerät [des Klägers] gut zurecht käme und [der Kläger] solle das Gerät von Herrn N. ... doch einfach behalten. [Der Kläger] erklärte: "Ich sehe ein, dass ich einen Fehler gemacht habe. Aber habe gedacht, es sei egal, von welchem Gerät [N.] die Musik höre und er habe sich verleiten lassen, das Gerät von [N.] zu behalten. Als es raus kam, habe [der Kläger] sich nicht getraut, es zuzugeben. Er habe das Gerät umtauschen wollen, aber das sei nicht mehr gegangen, weil das Gerät jetzt Frau V. hatte und dann wäre es rausgekommen."

    Daraufhin hat sich die Beklagte zur Kündigung entschlossen. Mit dem Schreiben vom 18. Januar 2011, das der Heimleiter Herr F. im Auftrag der Geschäftsführung formuliert hat, hat die Beklagte bei der Mitarbeitervertretung des Fachbereichs Behindertenhilfe in W. die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers nach dem kirchlichen Mitarbeitervertretungsgesetz (MVG) beantragt. Zu den Umständen, die die Beklagte zur Kündigung veranlasst haben, heißt es dort wörtlich:

    "Herr [es folgt der Name des Klägers] stahl einem Heimbewohner mit schwerer geistiger Behinderung (... N. ...) dessen iPod und Lautsprechersystem im Wert von 347,00 Euro und legte sein eigenes stark gebrauchtes und minderwertiges Gerät in dessen Schrank".

    Wegen der weiteren Ausführungen im Anhörungsschreiben an die Mitarbeitervertretung, die sich ausschließlich mit dem anfänglichen Leugnen und dem späteren Geständnis des Klägers befassen, wird auf die Anlage B 3 (hier Blatt 39 f) verwiesen. Am 20. Januar 2011 teilte die Mitarbeitervertretung der Beklagten mit, dass keine Stellungnahme abgegeben werde.

    Die Kündigung datiert auf den 21. Januar 2011 und sie ist dem Kläger am späten Nachmittag des 20. Januar 2011, unstreitig nachdem die Mitarbeitervertretung ihre Stellungnahme der Beklagten übermittelt hat, übergeben worden. Die dort hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sollte das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2011 beenden (Kopie der Kündigung als Anlage K 2 überreicht, hier Blatt 6).

    Das Arbeitsverhältnis ist bis einschließlich 21. Januar 2011 ordnungsgemäß abgerechnet worden. Im März 2011 erstattete die Beklagte noch Strafanzeige gegen den Kläger. Über den Stand der Ermittlungen ist hier nichts bekannt. Mit Schreiben vom 16. Mai 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis nochmals hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2011 (Anlage K 3, hier Blatt 71). Diese Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet, da sie vom Kläger gerichtlich nicht angegriffen wurde.

    Die Kündigung vom 21. Januar 2011 hat der Kläger mit seiner am 9. Februar 2011 bei Gericht eingegangenen Klage angegriffen. Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat der Klage mit seinem Urteil vom 19. September 2011 in vollem Umfang nach umfangreicher Beweisaufnahme entsprochen. Das Arbeitsgericht hat angenommen, dass die Beklagte die bei ihr bestehende Mitarbeitervertretung vorsätzlich falsch über den Grund zur Kündigung unterrichtet hat, und hat daraus den Schluss gezogen, dass dann die Kündigung nicht wirksam sein könne. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

    Mit der Berufung, die keinen Zulässigkeitsbedenken unterliegt, verfolgt die Beklagte ihr Begehren der Klageabweisung weiter.

    Nach Ansicht der Beklagten könne dahinstehen, welcher Straftatbestand erfüllt sei. Der Kläger habe sich jedenfalls eines strafbaren Vermögensdelikts zum Nachteil des Heimbewohners N. strafbar gemacht. Die Entgegennahme des Geldes für den iPod und das Lautsprechersystem in Verbindung mit den bewussten Falschaussagen gegenüber der Heimleitung müssten als schwerwiegender Vertrauensbruch eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Als Betreiberin eines Pflegeheimes könne sie den Kläger keinen Tag länger beschäftigen. Der Kläger habe über neun Monate das von ihm für N. gekaufte Gerät selbst genutzt und nicht offenbart, dass dieses Gerät N. gehöre. Die Hartnäckigkeit der Versuche des Klägers, den iPod auch trotz der Nachforschungen der Beklagten weiter behalten zu wollen, trete in den falschen Aussagen gegenüber dem Heimleiter deutlich zutage.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils abzuweisen.

    Der Kläger beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Nach Ansicht des Klägers ist sowohl die fristlose als auch die fristgerechte Kündigung vom 21. Januar 2011 nicht gerechtfertigt. Zu beiden Kündigungen sei die Mitarbeitervertretung nicht korrekt informiert worden. Die Beklagte habe den Sachverhalt verkürzt zum Nachteil des Klägers dargestellt. Die Hintergründe, die der Kläger dem Heimleiter gegenüber geschildert habe, seien der Mitarbeitervertretung nicht mitgeteilt worden. Darüber hinaus sei die ordentliche Kündigung schon deshalb unwirksam, weil die Mitarbeitervertretung nur zur fristlosen Kündigung und nicht zur fristgerechten Kündigung angehört worden sei.

    Der Kläger räumt ein, dass er sich auf die Nachfragen von Frau V. und von Herrn F. zunächst nicht wahrheitsgemäß eingelassen habe. Er erklärt dies mit früheren Verdächtigungen gegen ihn; er habe wegen der seinerzeitigen schlechten Erfahrungen damit gerechnet, dass man ihm nicht genau zuhören werde und seiner Darstellung keinen Glauben schenken würde.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat der Kündigungsschutzklage mit zutreffenden Ausführungen, denen sich das Berufungsgericht ausdrücklich anschließt, stattgegeben. Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.

    Die Beklagte hat die bei ihr gebildete Mitarbeitervertretung wider besseres Wissen falsch über den Grund für die Kündigung unterrichtet. Das führt auch im Bereich des Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG) zur Unwirksamkeit der Kündigung.

    I. Eine nicht ordnungsgemäße Unterrichtung der Mitarbeitervertretung vor Ausspruch einer Kündigung führt nach § 45 Absatz 2 MVG in Verbindung mit § 134 BGB zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die nicht ordnungsgemäße Unterrichtung steht der fehlenden Unterrichtung gleich.

    Die außerordentliche Kündigung gehört zu den Fällen der erforderlichen Mitberatung gemäß § 46 b MVG. Gemäß § 45 Absatz 2 MVG ist eine der Mitberatung unterliegende Maßnahme unwirksam, wenn die Mitarbeitervertretung nicht nach § 45 Absatz 1 MVG beteiligt worden ist.

    Gemäß § 45 Absatz 1 MVG ist vor der Durchführung der Maßnahme eine Erörterung notwendig. Dem vorauszugehen hat gemäß § 38 MVG eine rechtzeitige und umfassende Unterrichtung der Mitarbeitervertretung durch die Dienststellenleitung.

    Die Information der Mitarbeitervertretung hat so umfassend zu erfolgen, dass sie sich selbst ein Bild über den Sachverhalt machen und eine Entscheidung treffen kann. Es gelten im Wesentlichen die gleichen Grundsätze wie bei der ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrates, so auch der Grundsatz der subjektiven Determinierung. Das bedeutet, die Dienststellenleitung unterrichtet dann ordnungsgemäß, wenn sie den ihr bekannten Sachverhalt der Mitarbeitervertretung zur Kenntnis bringt. Dabei darf sich die Dienststellenleitung nicht auf Wertungen beschränken, sie muss vielmehr den Sachverhalt mitteilen, der diesen Wertungen zugrunde liegt. Dabei sind alle Umstände mitzuteilen, auch diejenigen, die zugunsten des Arbeitnehmers sprechen.

    II. Die Beklagte hat die Mitarbeitervertretung nicht ordnungsgemäß unterrichtet, denn sie hat die ihr aufgrund des Gesprächs mit dem Kläger vom 18. Januar 2011 bekannten Hintergründe, die dazu geführt haben, dass der Kläger in Besitz des iPod von N. gekommen ist, nicht mitgeteilt. Vielmehr hat sie an ihrer fehlerhaften Vorstellung des Tatgeschehens festgehalten.

    Es ist falsch zu sagen, der Kläger habe N. das Gerät gestohlen. Der kriminelle Kern des Diebstahls ist der Bruch fremden Gewahrsams, um Besitz von einer fremden Sache ergreifen zu können. Der Kläger ist aber nicht unter Bruch fremden Gewahrsams in den Besitz des Gerätes von N. gekommen. Vielmehr hat er den Auftrag der insoweit zuständigen Bezugsbetreuerin von N. gehabt, das Gerät zu erwerben. Der Kläger war also bei Entgegennahme des Geräts im April 2010 im Fachgeschäft berechtigter Besitzer des Gerätes. Rechtswidrig oder gar strafbar war allenfalls ein späteres Verhalten des Klägers.

    Dem Gericht ist bekannt, dass man in der deutschen Umgangssprache den Begriff des Diebstahls in einem weiteren Sinne, der auch Fälle der Unterschlagung umfasst, gebraucht. Aber selbst wenn man annimmt, dass die Beklagte den Grund zur Kündigung in einem Diebstahl im umgangssprachlich weiten Sinne gesehen hat, führt das nicht daran vorbei, dass die Mitarbeitervertretung wider besseres Wissen falsch unterrichtet wurde. Es mag wohl sein, dass man in dem hartnäckigen Leugnen des Besitzes an dem iPod von N. durch den Kläger im Dezember 2010 und im Januar 2011 den Versuch einer Verfestigung seiner illegalen Besitzposition sehen kann, die man möglicherweise dem Straftatbestand der Unterschlagung zuordnen kann. Diese Geschehensabschnitte waren nach der Darstellung der Beklagten im Anhörungsschreiben aber nicht der Grund der Kündigung. Denn es heißt im Anhörungsschreiben ohne jeden Zweifel, der Kläger habe das im Schrank von N. lagernde moderne Gerät mit seinem älteren ausgetauscht. Das ist - man kann es rückblickend leider nicht anders formulieren - ein frei erfundenes Detail, das selbst im Parteivortrag der Beklagten im Rechtsstreit nicht aufgegriffen worden ist, und das auch durch die Aussagen der Zeugen in keiner Weise bestätigt worden ist.

    Man mag der Beklagten zu Gute halten, dass sie vor dem Gespräch mit dem Kläger am 18. Januar 2011 versucht hat, die ihr vorliegenden bruchstückhaften Informationen zu einem Bild zu formen, und dieses Bild das des Austausches der beiden Geräte unter Bruch des Gewahrsams von N. oder der für ihn handelnden Personen gewesen ist. Das Gericht hält es auch für möglich, dass die Beklagte an diesem Bild festgehalten hat, obwohl der Kläger am 18. Januar 2011 eine Geschichte erzählt hat, die überhaupt nicht in dieses Bild passt. Dann hätte sie aber die Mitarbeitervertretung zumindest davon unterrichten müssen. Das hätte bedeutet, dass man mitteilt, man beabsichtige eine Verdachtskündigung auszusprechen. Dann hätte man schildern müssen, wie sich der Kläger eingelassen hat, um daran anschließend mitzuteilen, dass man ihm nicht glaube und nach wie vor davon ausgehe, er habe die Geräte irgendwann ausgetauscht.

    Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil bei der Wiedergabe des streitigen Klägervortrags angegeben, der Kläger sei selbst bei der Beratung der Mitarbeitervertretung anwesend gewesen und habe den Sachverhalt aus seiner Sicht umfassend geschildert. Das Landesarbeitsgericht hat in der mündlichen Verhandlung die Parteien gefragt, weshalb dies als streitiges Vorbringen im Urteil aufgeführt ist und was man sich im Einzelnen unter der Behauptung, der Kläger habe sich umfassend erklärt, vorstellen könnte. Dazu konnte keine der Parteien weitere Ausführungen machen; es ist in diesem Zusammenhang auch nicht um eine Schriftsatznachlassfrist nachgesucht worden. Vor diesem Hintergrund sieht das Gericht keinen Anlass und keine Handhabe Feststellungen zum Kenntnistand des Kündigungsgrundes auf Seiten der Mitarbeitervertretung zu treffen, die über das Unterrichtungsschreiben der Beklagten hinausgehen.

    III. Selbst wenn man hilfsweise zu Gunsten der Beklagten davon ausgehen wollte, dass die Beklagte bei Anhörung ihrer Mitarbeitervertretung tatsächlich davon überzeugt war, das Tatgeschehen sei der Austausch der Geräte gewesen, würde das zu keinem anderen Ergebnis führen.

    Denn dieser Vorwurf hat sich im Rechtsstreit als unzutreffend herausgestellt. Selbst die Beklagte wirft dem Kläger im Rechtsstreit nicht mehr vor, er habe die Geräte rechtswidrig ausgetauscht. Da die Mitarbeitervertretung nur zu diesem Kündigungsgrund angehört wurde, kann der weitere Parteivortrag zu den zahlreichen Verfehlungen des Klägers im Rechtsstreit nicht verwertet werden. Damit kann nicht festgestellt werden, dass ein wichtiger Grund für die Kündigung vorliegt, und es kann nicht festgestellt werden, dass die hilfsweise ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt ist.

    IV. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen, da ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist.

    Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG liegen nicht vor.

    VorschriftenMVG § 45, BetrVG § 102, StGB § 242, StGB § 246, BGB § 134