22.02.2024 · IWW-Abrufnummer 239887
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 13.07.2023 – 5 Sa 5/23
Tenor: 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 30.11.2022, Az.: 3 Ca 1157/22, wird zurückgewiesen. 2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 11.07.2022 und einer hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 14.07.2022 zum 31.10.2022 aus verhaltensbedingten Gründen.
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Der jetzt 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit 01.06.2019 als Industriemechaniker zu einem Monatsgehalt von 3.666,54 € brutto beschäftigt.
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Am 01.06.2022 war der Kläger zusammen mit der Arbeitnehmerin A. am Probierstand eingesetzt. Der Mitarbeiter G. befand sich ebenfalls am Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Zeugin A. gegen 9:20 Uhr ein scharfes Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit Leib und Leben der Mitarbeiterin im Sinne einer akuten, ernsthaften Gefährdung bedrohte. Der Kläger hatte vom 07.06.2022 bis 17.06.2022 Urlaub.
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Nach Gesprächen mit der Zeugin A. (15.06.2022) sowie dem ebenfalls anwesenden Zeugen G. (27.06.2022) sowie persönlichen Anhörungen des Klägers vom 20.06. und 27.06.2022 stellte die Beklagte den Kläger am 28.06.2022 von der Arbeit frei und erteilte ihm ein Hausverbot.
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Am 05.07.2022 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung u.a. wie folgt an (Bl. 145 ff. d.A.):
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Der Betriebsrat gab hierzu keine Stellungnahme ab.
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Mit Schreiben vom 11.07.2022 kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos und mit Schreiben vom 14.07.2022 vorsorglich fristgerecht zum 31.10.2022.
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Gegen diese beiden Kündigungen hat der Kläger am 18.07.2022 vor dem Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage erhoben.
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Wegen des weiteren, insbesondere streitigen Vorbringens der Parteien in erster Instanz sowie deren Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 30.11.2022 insgesamt stattgegeben. Das Gericht habe nicht feststellen können, dass tatsächlich eine Bedrohung im Sinne einer Tat vorgelegen habe, sodass es allein auf die Wirksamkeit der ebenfalls ausgesprochenen Verdachtskündigung ankomme. Indessen sei die Anhörung des Klägers nicht ordnungsgemäß erfolgt. Ihm sei das Datum des streitigen Vorfalls vom 01.06.2022 nicht bekannt gegeben worden, obwohl es der Beklagten bekannt gewesen sei. Die Beklagte habe dem Kläger nur gesagt, dass es sich um einen Vorfall von Anfang Juni 2022 handele. Zudem habe sie dem Kläger zur Last gelegt, dass es um einen Vorfall "bei Arbeiten mit Messern am Probierstand" gegangen sei, obwohl unstreitig nur ein Filetiermesser vorhanden gewesen sei, mit welchem er die Zeugin A. bedroht haben soll. Zudem habe die Beklagte den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt. Sie sei den Umständen nicht nachgegangen, die möglicherweise gegen eine (vom Kläger beabsichtigte) Bedrohungssituation gesprochen hätten, nämlich die Tatsachen, dass die Klägerin spontan gelacht habe, der Kläger das Messer nach Aufforderung sofort runtergenommen habe und an dem Tag eine lockere, unauffällige und angenehme Stimmung am Arbeitsplatz geherrscht habe.
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Gegen dieses ihr am 09.06.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15.06.2022 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Berufung eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 09.09.2022 am 08.09.2022 begründet.
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Die Beklagte ist der Auffassung,
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die außerordentliche Kündigung sei bereits als Tatkündigung gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht habe den Kern des Kündigungsvorwurfs verkannt. Sie stütze die Kündigung nicht auf eine strafrechtlich relevante Bedrohung gemäß § 242 StGB , sondern auf eine schwere arbeitsvertragliche Pflichtverletzung, die das Vertrauensverhältnis zum Kläger irreparabel verletzt habe. Dem Kläger sei durch entsprechende Sicherheitsunterweisungen, das Erfordernis zum Tragen von Sicherheitshandschuhen, die Gefährlichkeit der Filetiermesser bekannt gewesen. In Anbetracht dessen sei das Verhalten des Klägers, der Zeugin A. ein sehr scharfes Filettiermesser mit einem Abstand von wenigen Zentimetern an den Hals zu halten, bedrohlich bzw. stellte eine Bedrohung für diese dar. Sein Verhalten habe die unmittelbare Gefahr einer schweren Verletzung der Zeugin A. ausgelöst, die durch eine unvorhersehbare Bewegung sogar zu deren Tod hätte führen können, wenn das Messer die Halsschlagader getroffen hätte. Jedenfalls hätten die Voraussetzungen zur Verdachtskündigung vorgelegen. Das Arbeitsgericht habe die Anforderungen zur Anhörung des Arbeitnehmers im Rahmen einer Verdachtskündigung überzogen. Insbesondere habe sie dem Kläger den aufzuklärenden Sachverhalt auch ohne Datumsnennung mitgeteilt. Mit den Hinweisen bei der ersten Anhörung am 20.06.2022, dass es sich um "einen Vorfall beim Arbeiten mit Messern am Probierstand Anfang Juni", bei dem der Kläger "ein Messer in die Nähe von Frau A.s Hals gehalten habe", gehandelt habe, habe der Kläger jedenfalls bis zu dessen zweiten Anhörung am 27.06.2022 erkennen können, welches konkrete Verhalten sie ihm zur Last legte. Sie habe den aufzuklärenden Sachverhalt sowohl zeitlich (Anfang Juni), als auch räumlich (Probierstand) und inhaltlich (Messer am Hals von Frau A.) spezifiziert und den Kläger mit dem durch die Zeugin A. erhobenen Vorwurf konfrontiert. Der Kläger hätte mithin Stellung nehmen und Tatsachen zu seiner Entlastung vortragen können. So habe er sich selbst in seiner Berufungserwiderung noch an die genaue und ungewöhnliche Aufstellung der vier Maschinen am Probierstand erinnern können. Normalerweise ständen dort nur eine oder zwei Maschinen. Auch die Umstände, dass eine lockere Arbeitsatmosphäre geherrscht und die Klägerin nervös gelacht habe, hätten keinen Anlass gegeben, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Denn die Zeugen A. und G. könnten bestätigen, dass der Kläger der Zeugin A. ein sehr scharfes Filetiermesser in unmittelbarer Nähe ihres Halses gehalten habe. Sie habe drei Gespräche zur Sachverhaltsaufklärung geführt und sei zusammen mit dem Betriebsrat zu dem Schluss gekommen, dass die Umstände eine Tatkündigung rechtfertigten, jedenfalls ein dringender Tatverdacht vorliege. Demgegenüber habe sich der Kläger ihren beiden Aufklärungsbemühungen total verschlossen und nur eingewandt, dass er sich nicht erinnern könne. Das Arbeitsgericht hätte die Zeugen A. und G. vernehmen müssen, um sich ein eigenes Bild von dem Ablauf des Vorfalls und den Reaktionen der betroffenen Mitarbeitenden machen zu können. Letztere hätte sich ob des schwerwiegenden Eindrucks, den der Vorfall bei ihr hinterlassen habe, erst Tage nach diesem zunächst an ihre Vorgesetzte und dann an den Betriebsrat gewandt.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 30.11.2022, Az. 3 Ca 1157/22, abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt
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das angefochtene Urteil. Er bestreitet nach wie vor, die Zeugin A. leichtfertig gefährdet oder gar deren schwere Verletzung billigend in Kauf genommen habe. Er habe der Zeugin A. keine Messerklinge an den Hals gehalten. Die Beklagte habe den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt. Dies gelte auch für die eigentliche Tathandlung. Eine Palette, auf der die Zeugin A. gesessen habe, habe es im Bereich des Probierstandes nicht gegeben. Auch sei nicht klar, mit welcher Hand er, der Kläger, das Messer angeblich wie - durch Ranhalten oder Anheben der Hand - an den Hals der Zeugin A. geführt habe. Die Beklagte habe nicht einmal dargelegt, ob der Kläger sich mit dem Messer bewegt habe. Wenn er, der Kläger, sich der Zeugin A. von der Seite genähert haben soll, wie der Zeuge G. behauptet habe, müsste davon ausgegangen werden, dass er mindestens gestanden oder aber gar gegangen sei. Ansonsten scheine es unmöglich, eine Annäherung festzustellen, wenn die beiden Personen bereits versetzt Schulter an Schulter gesessen hätten. Die Beklagte habe den Eindruck erweckt, als wolle sie den Fehlgebrauch des Messers als Kündigungsgrund heranziehen. Wenn eine Bewegung hin zum Hals der Zeugin A. gar nicht habe festgestellt werden können, sei es auch möglich gewesen, dass er, der Kläger, nur ein Messer gehalten und sich damit zu dicht an der Klägerin befunden habe. Dies erkläre auch, dass er sich an die Situation nicht erinnern könne. Zudem habe die Beklagte ihm in der Anhörung vorgehalten, dass sich der Vorfall am 31.05.2022 ereignet habe. Am 01.06.2022 habe er mit dem Zeugen O. zusammengearbeitet, was er der Beklagten auch mitgeteilt habe. Erst nach seiner zweiten Anhörung habe er die Zeugen S. und Schr. aufgesucht und von diesen erfahren, dass sich der Vorfall erst am 01.06.2022 ereignet haben sollte. Die Mitteilung des konkreten Tages sei erforderlich gewesen, da er an den einzelnen Arbeitstagen mit unterschiedlichen Kollegen zusammengearbeitet habe. Zudem rügt der Kläger die BR-Anhörung. Diesem sei nicht mitgeteilt worden, dass er, der Kläger, und die Zeugin A. am 01.06.2022 mit dem Zeugen O. zusammengearbeitet hätten. Die Zeugin A. habe zum Zeitpunkt des angeblichen Vorfalls zudem auf den Zeugen O. gewartet.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Inhalte der wechselseitigen Berufungsschriftsätze sowie der Sicherungsniederschrift vom 13.07.2023 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG ; § 519 ZPO .
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In der Sache selbst hat die Berufung indessen keinen Erfolg, da sie unbegründet ist.
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Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Die hiergegen seitens der Beklagten erhobenen Einwände rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete weder durch die außerordentliche Kündigung vom 11.07.2022 als sogenannte Tatkündigung (I.) noch als Verdachtskündigung (II.). Die von der Beklagten hilfeweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 14.07.2022 ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtswidrig (III.).
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I.Der von der Beklagten vorgetragene und vom Kläger nicht zugestandene Vorfall vom 01.06.2022 belegt keine derart schwere Vertragsverletzung, die ohne vorherige Abmahnung zum Ausspruch einer fristlosen Tatkündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB berechtigt.
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1.Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die rechtliche Überprüfung nach § 626 Abs. 1 BGB erfolgt in zwei Stufen: Zum einen muss ein Grund vorliegen, der - ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles - überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips, zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen ( BAG, Urt. v. 29.06.2017 - 2 AZR 302/16 -, Rn. 11, juris). Sofern die Pflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers beruht, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist ( BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 -, Rn. 22, juris; BAG, Urt. v. 23.10.2014 - 2 AZR 865/13 -, Rn. 47, juris; BAG Urt. v. 25.10.2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16, juris).
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Eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben ua. von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen (ErfK/Niemann, 23. Aufl., BGB § 626 Rn. 86), für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift, kommt "an sich" als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht ( BAG, Urt. v. 28.02.2023 - 2 AZR 194/22 -, Rn. 10, juris; BAG, Urt. v. 29.06.2017 - 2 AZR 47/16 - Rn. 23, juris). Im Falle einer Bedrohung von Kollegen handelt es sich um eine erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB . Der Arbeitgeber hat ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran, dass seine Arbeitnehmer untereinander respektvoll umgehen und gedeihlich zusammenarbeiten ( BAG, Urt. v. 20.05.2021 - 2 AZR 596/20 -, Rn. 23, juris). Ob auch im Falle einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben eines Kollegen vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung eine vorherige Abmahnung erforderlich ist, hängt von den Gesamtumständen des Einzelfalles ab.
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2.Hieran gemessen lagen die Voraussetzungen für eine fristlose Tatkündigung nicht vor.
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Die Beklagte will die außerordentliche Tatkündigung nicht auf den strafrechtlichen Tatbestand einer Bedrohung gemäß § 241 Abs. 1 StGB stützen. Sie meint, Kündigungsgrund sei nicht eine strafrechtlich relevante vorsätzliche Bedrohung, sondern die durch das Verhalten des Klägers bedingte konkrete Gefährdung von Leib und Leben der Zeugin A..
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a)Selbst wenn man den Sachvortrag der Beklagten zum Vorfall vom 01.06.202 als wahr unterstellt, kann nicht festgestellt werden, dass die subjektiven Anforderungen des Straftatbestands der Bedrohung hier erfüllt sind. Der subjektive Tatbestand einer Bedrohung gemäß § 241 Abs. 1 oder 2 StGB setzt zumindest bedingten Vorsatz voraus. Dazu muss sich der Täter der objektiven Bedeutung seiner Ankündigung (hier: Ankündigung einer Verletzung mit einem scharfen Messer) bewusst sein. Er muss mit dem Willen handeln, dass die Drohung zur Kenntnis des Bedrohten gelangt und von diesem als ernst gemeint aufgefasst werden soll (MüKoStGB/Sinn, 4. Aufl. 2021, StGB § 241 Rn. 17). Aufgrund der von der Beklagten beschriebenen Tathandlung kann jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr ist es auch möglich, dass der Kläger sich schlicht mit dem Messer in der rechten Hand mit dem Oberkörper zur Zeugin A. gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an den Hals der Zeugin gelangt ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger dicht neben der Zeugin A. auf einem Stuhl und die Zeugin A. auf einer Palette und damit rund 15 cm niedriger als der Kläger gesessen haben soll. Durch diese Sitzpositionen und den Umstand, dass die Zeugin A. kleiner ist als der Kläger, hätte das Messer auch dann in die Nähe des Halses der Zeugin gelangen können, wenn der Kläger seinen rechten Arm mit dem Messer in der Hand angewinkelt am Körper gehalten hätte, ohne dass der Kläger das Messer aktiv in Richtung des Halses bewegt hätte. Auch der Umstand, dass der Kläger - selbst nach dem Vortrag der Beklagten - das Messer sofort runternahm, als die Zeugin A. dies forderte, spricht gegen eine absichtliche Bedrohung.
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b)Die Tatkündigung kann aber auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Zeugin A. objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar, indessen hätte diese nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorliegend vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung zuvor abgemahnt werden müssen.
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aa)Im Rahmen der gemäß § 626 Abs. 1 BGB erforderlichen Interessenabwägung muss bei Vorliegen einer Vertragspflichtverletzung geprüft werden, ob dem Kündigenden eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, also insbesondere eine Abmahnung oder fristgerechte Kündigung zumutbar war. Ordentliche und außerordentliche Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist ( BAG, Urt. v. 27.02.2020 - 2 AZR 570/19 - Rn. 23, juris; BAG, Urt. v. 13.12.2018 - 2 AZR 370/18 -, Rn. 30, juris; BAG, Urt. v. 29.06.2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 28, juris). Liegt nur eine dieser Fallgruppen vor, kann Ergebnis der Interessenabwägung nicht sein, den Kündigenden auf eine Abmahnung als milderes Mittel zu verweisen (vgl. BAG, Urt. v. 27.02.2020 - 2 AZR 570/19 - Rn. 24, juris). Die zweite Fallgruppe betrifft ausschließlich das Gewicht der in Rede stehenden Vertragspflichtverletzung, die für sich schon die Basis für eine weitere Zusammenarbeit irreparabel entfallen lässt. Dieses bemisst sich gerade unabhängig von einer Wiederholungsgefahr. Die Schwere einer Pflichtverletzung kann zwar nur anhand der sie beeinflussenden Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, diese müssen aber die Pflichtwidrigkeit selbst oder die Umstände ihrer Begehung betreffen. Dazu gehören etwa ihre Art und ihr Ausmaß, ihre Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Situation bzw. das "Klima", in der bzw. in dem sie sich ereignete. Sonstige Umstände, die Gegenstand der weiteren Interessenabwägung sein können, wie etwa ein bislang unbelastetes Arbeitsverhältnis, haben bei der Prüfung der Schwere der Pflichtverletzung außer Betracht zu bleiben. Dies gilt umgekehrt ebenso für ein nachfolgendes wahrheitswidriges Bestreiten, das für sich genommen ebenfalls nichts über die Schwere der begangenen Pflichtverletzung besagt ( BAG, Urt. v. 20.05.2021 - 2 AZR 596/20 -, Rn. 27, juris).
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bb)Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hätte der unsachgemäße und möglicherweise auch gefährliche Umgang mit dem Messer zuvor abgemahnt werden müssen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung der Kammer feststeht, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Zeugin A. gehalten hat. Denn aufgrund der Behauptungen der Beklagten besteht auch die Möglichkeit, dass der Kläger bei seiner Drehbewegung hin zur Zeugin A. mit dem Messer in der Hand zu nahe an deren Hals gekommen ist. Zu einer Verletzung der Zeugin A. ist es unstreitig nicht gekommen. Auch hat der Kläger das Messer selbst nach der Schilderung der Zeugin A. sofort entfernt, als diese dies forderte. Auch hat die Zeugin nach dem Vorfall noch gelacht. Vor diesem Hintergrund kann aber nicht von einem derart schwerwiegenden Pflichtverstoß ausgegangen werden, der eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger irreparabel entfallen ließe. Der unsachgemäße Umgang mit dem Filetiermesser - den Vortrag der Beklagten als wahr unterstellt - hätte zuvor abgemahnt werden müssen. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger sich einer Abmahnung nicht hätte zur Warnung dienen lassen. Für die Einsichtsfähigkeit des Klägers spricht auch, dass er das Messer sofort vom Hals der Zeugin A. entfernte, als diese dies forderte
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II.Die Beklagte kann die außerordentliche Kündigung aber auch nicht mit Erfolg auf den dringenden Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen schweren arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung stützen.
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1.Der dringende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete, vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermochte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus ( BAG, Urt. v. 02.03.2017 - 2 AZR 698/15 -, Rn. 22, juris; BAG, Urt. v. 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 -, Rn. 39, juris).
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2.Hieran gemessen lag kein dringender Verdacht einer strafbaren Handlung oder schwerwiegenden Vertragsverletzung vor, die zur außerordentlichen Kündigung berechtigt hätte.
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a)Aus der Berufungsbegründung ist jedoch nicht eindeutig ersichtlich, auf welche konkrete Tathandlung des Klägers sich der dringende Tatverdacht beziehen soll. Unter Ziff. 1. der Berufungsbegründung hat die Beklagte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie die Kündigung weder auf eine tatbestandliche und strafrechtlich relevante Bedrohung iSv. § 241 StGB gestützt noch dem Kläger den Verdacht einer solchen Straftat vorgeworfen habe. Nach dem Vortrag der Beklagten stützt sie den dringenden Tatverdacht mithin ausschließlich auf eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung. Dabei verkennt die Beklagte jedoch, dass ein dringender Tatverdacht nur dann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellt, wenn sich der dringende Verdacht auf eine "schwerwiegende" arbeitsvertragliche Pflichtverletzung bezieht.
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Eine solche schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung liegt hier jedoch selbst nach dem Sachvortrag der Beklagten nicht vor. Von einer derart schwerwiegenden Vertragsverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, kann dann nicht ausgegangen werden, wenn selbst das Vorliegen einer entsprechenden Tatkündigung keinen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellt. Selbst wenn bewiesen wäre, dass der Kläger am 01.06.2022 fahrlässig ein Filetiermesser an den Hals der Zeugin A. geführt hätte, würde eine derartige Pflichtverletzung nicht ohne vorherige Abmahnung zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB berechtigen. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf Ziff I. 2. a) dieser Entscheidungsgründe verwiesen werden.
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b)Lediglich vorsorglich soll noch darauf hingewiesen werden, dass die Berufungskammer nach dem Vortrag der Beklagten auch keinen dringenden Verdacht einer Bedrohung iSv. § 241 StGB feststellen kann. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte den Kläger zu dem Vorwurf einer strafrechtlich relevanten Bedrohung der Zeugin A. am 01.06.2022 ordnungsgemäß angehört hat.
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Den von der Beklagten in der Betriebsratsanhörung und im vorliegenden Prozess geschilderten Aussagen der Zeugen A. und G. in deren Anhörungen vom 15.06. bzw. 27.06.2022 kann gerade nicht entnommen werden, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit das Messer durch eine bewusste Handlung an den Hals der Zeugin A. führte, die diese nach den objektiven Begebenheiten als ernsthafte Bedrohung ihrer körperlichen Unversehrtheit auffassen konnte. Gegen eine derartige Annahme spricht, dass der Kläger das Messer sogleich nach entsprechender Aufforderung vom Hals der Zeugin A. entfernte. Gegen die Ernsthaftigkeit einer Bedrohung spricht zudem, dass die Zeugin A. nach dem (angeblichen) Vorfall gelacht hat und sich auch erst am 14.06.2022 hilfesuchend an den Betriebsrat gewandt hat. Zuvor hat sie am 07.06.2022 ausdrücklich die Zeugin S., der sie sich anvertraut hatte, gebeten, hierüber Stillschweigen zu wahren. Diese zögerliche Offenlegung einer (angeblichen) Bedrohung durch den Kläger mit einem scharfen Filetiermesser spricht gegen die Ernsthaftigkeit einer Bedrohung, sodass die Beklagte Anlass hatte, den Sachverhalt noch weiter aufzuklären. Das Gleiche gilt in Bezug auf die eigentliche Tathandlung, auf welche sich der Verdacht bezog. In welcher Hand hielt der Kläger das Messer? Welcher Höhenunterschied bestand zwischen der Zeugin A. und dem Kläger als diese nebeneinander seitlich versetzt saßen? Hat der Kläger sich lediglich mit dem Messer in der Hand zur Zeugin gedreht oder bewusst das Messer durch eine zusätzliche Armbewegung an den Hals der Zeugin geführt? Die Aufklärung des Sachverhalts leidet vorliegend auch darunter, dass die Beklagte keine Gesprächsprotokolle von den Anhörungen des Klägers vom 20.06. und 27.06.2022 sowie den Personalgesprächen der Zeugin A. vom 15.06.2022 und dem Zeugen G. vom 27.06.2022 führte. Angesichts dieser Zweifel am Tathergang liegt kein dringender Tatverdacht einer Bedrohung nach § 241 StGB zulasten der Zeugin A. vor, welcher zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtigt hätte.
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II.Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aber auch nicht aufgrund der vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 14.07.2022 zum 31.10.2022. Die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung ist aus den vorgenannten Gründen sozial ungerechtfertigt.
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III.Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO iVm. § 64 abs. 6 ArbGG .
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Ein gesetzlich begründbarer Anlass zur Zulassung der Revision lag nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG .