15.06.2021 · IWW-Abrufnummer 222969
Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 07.06.2021 – 14 Ta 144/21
Die im Nachprüfungsverfahren des § 120a ZPO erforderliche Zustellung kann an den beigeordneten Rechtsanwalt bei einem Wechsel der Person des Bevollmächtigten nicht mehr erfolgen, selbst wenn der neue Bevollmächtigte nicht beigeordnet worden ist.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 6. Januar 2021 (2 Ca 972/21) aufgehoben.
Es verbleibt bei der durch Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 25. April 2019 in Verbindungmit dem Beschluss vom 13. Mai 2019 bewilligten Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der ihr bewilligten Prozesskostenhilfe wegen ihrer unterbliebenen Mitwirkung im Nachprüfungsverfahren.
Der Klägerin wurde durch die Beschlüsse des Arbeitsgerichts vom 25. April 2019 und 13. Mai 2019 Prozesskostenhilfe für ihre Klage und Verteidigung gegen die Widerklage des Beklagten ohne Zahlungsanordnung bewilligt. Zur Wahrnehmung ihrer Rechte im ersten Rechtszug wurde ihr Rechtsanwalt A aus C beigeordnet.
Mit dem am 14. Mai 2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz zeigte Rechtsanwalt B aus D die Vertretung der Klägerin an. Rechtsanwalt A teilte mit Schriftsatz vom 20. Mai 2019 mit, dass die Klägerin einen Wechsel in ihrer Vertretung wünsche. Er lege das Mandat nieder und stelle klar, dass ein Verzicht auf die Rechte aus der bewilligten Prozesskostenhilfe und seiner Beiordnung damit nicht verbunden sei. Die von Rechtsanwalt B beantragte Beiordnung erfolgte nicht, nachdem das Gericht darauf hingewiesen hatte, dass ausreichend gewichtige Gründe für die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts nicht dargelegt worden seien. Im Kammertermin nahmen beide von ihren (nunmehr) bevollmächtigten Rechtsanwälten vertretenen Parteien ihre jeweiligen Klagen zurück, die Klägerin ausdrücklich "hinsichtlich aller Anträge".
Unter dem 1. September 2020 forderte das Arbeitsgericht die Klägerin durch das ihrem beigeordneten Rechtsanwalt A am selben Tag zugestellte Schreiben auf, eine Erklärung über eine Änderung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen binnen vier Wochen zu übersenden. Trotz der unter dem 6. Oktober 2020 diesem zugesandten Erinnerung erfolgte keine Reaktion der Klägerin. Daraufhin hob das Arbeitsgericht durch die hier angefochtene Entscheidung die bewilligte Prozesskostenhilfe auf. Der Beschluss wurde nunmehr dem - auch im Rubrum aufgeführten - Rechtsanwalt B am 11. Februar 2021 mit Zustellungsurkunde zugestellt, nachdem dieser das Empfangsbekenntnis trotz zweimaliger Aufforderung nicht zurückgeschickt hatte. Laut dessen Schreiben vom 12. April 2021 hat er unter Bezugnahme auf das arbeitsgerichtliche Schreiben vom 25. Januar 2021 mitgeteilt, dass der Beschluss vom 6. Januar 2021 am 6. Februar 2021 zugestellt worden ist.
Die am 18. Februar 2021 von diesem für die Klägerin eingelegte sofortige Beschwerde wurde nicht begründet, weshalb das Arbeitsgericht ihr nicht abgeholfen und sie dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt hat.
II. Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 Satz 1 ArbGG, § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Der Aufhebungsbeschluss des Arbeitsgerichts ist unwirksam, weil vor seinem Erlass das Nachprüfungsverfahren nicht ordnungsgemäß eingeleitet wurde. Dies führte zur Aufhebung der Entscheidung.
1. Die Aufforderung des Arbeitsgerichts vom 1. September 2020 an die Klägerin, sich über eine Änderung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Verwendung des amtlichen Vordrucks gemäß § 120a ZPO binnen vier Wochen zu erklären, wurde ihrem Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt B, nicht zugestellt. Eine solche Zustellung ist für die ordnungsgemäße Einleitung des Nachprüfungsverfahren zwingend erforderlich (vgl. grundsätzlich zur Zustellung an Prozessbevollmächtigte LAG Hamm 5. Juli 2013 - 5 Ta 254/13 - Rn. 8 ff.; 20. September 2013 - 14 Ta 160/13 - Rn. 5 ff., jeweils m. w. N.).
2. Es ist unerheblich, dass es sich bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht um den durch den Bewilligungsbeschluss beigeordneten Rechtsanwalt handelt. Bei einem wie hier seitens der Partei, der Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, gewillkürten Wechsel der Person des Bevollmächtigten im laufenden Verfahren ist dessen Prozessvollmacht, nicht aber die Beiordnung maßgeblich für die Bestimmung des anwaltlichen Vertreters, an den die Zustellung zu erfolgen hat. Eine Zustellung an den beigeordneten Rechtsanwalt kann im Nachprüfungsverfahren nicht mehr erfolgen, wenn dieser nicht mehr Prozessbevollmächtigter ist, selbst wenn der neue Bevollmächtigte nicht beigeordnet worden ist.
a) Das Prozesskostenhilfeverfahren gehört zum Rechtszug im Sinne des § 172 Abs. 1 ZPO. Es ist unabhängig von der formellen Beendigung des Hauptsacheverfahrens ein damit eng zusammenhängendes gerichtliches Verfahren, zu dem auch das Nachprüfungsverfahren des § 120a ZPO gehört. Der Zweck des § 172 Abs. 1 ZPO ist es, im Interesse der Prozessökonomie und der Privatautonomie sicher zu stellen, dass der von der Partei bestellte Prozessbevollmächtigte wegen seiner Verantwortung für die gesamte Prozessführung sämtliche Informationen über den Prozessstoff und den Stand des Prozesses erhält. Die Partei hat ein Interesse, die für eine Beurteilung hinsichtlich der Angemessenheit und Notwendigkeit weiterer Schritte im Prozess erforderlichen Kenntnisse in der Person ihres Prozessbevollmächtigten zu konzentrieren; sie selbst ist dazu in der Regel außerstande und hat gerade deswegen sich anwaltlichen Beistands versichert. Dieses Interesse besteht über das Hauptsacheverfahren und seinen formellen Abschluss hinaus. Dem trägt die nicht abschließenden Aufzählung in § 172 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO und eine von ihrem Zweck geforderte weite Auslegung der Norm Rechnung. Entsprechend ist über das Hauptsacheverfahren hinaus auch das Prozesskostenhilfeverfahren einschließlich der Überprüfung einer Bewilligung nach § 120a ZPO in das Zustellerfordernis des § 172 Abs. 1 ZPO einzubeziehen, um dem Interesse der Partei, das gesamte Verfahren in den Händen ihres Prozessbevollmächtigten zusammenzuführen und ihn dadurch in die Lage zu versetzen, sie über den Stand des Verfahrens auf dem Laufenden zu halten und die notwendigen Schritte zu unternehmen, gerecht zu werden. Sie geht berechtigterweise davon aus, dass ihre Beauftragung eines Bevollmächtigten auch das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren erfasst (vgl. LAG Hamm, 5. Juli 2013 - 5 Ta 254/13 - Rn. 14 ff.; 20. September 2013 - 14 Ta 160/13 - Rn. 12 f.; jeweils m. w. N.).
b) Für die Frage, an welchen Prozessbevollmächtigten nach § 172 ZPO zuzustellen ist, kommt es nicht auf die Beiordnung gemäß § 121 Abs. 2 ZPO an. Maßgeblich ist vielmehr, wer nach dem - dem Gericht gegenüber angezeigten - Willen der Partei ihr Prozessbevollmächtigter ist.
aa) In einem anhängigen Verfahren hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen (§ 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
(1) Prozessbevollmächtigter im Sinne dieser Bestimmung ist diejenige Person, welcher die Partei eine Prozessvollmacht erteilt hat, die nach § 81 ZPO zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen ermächtigt. Die Bestellung zum Prozessbevollmächtigten geschieht dadurch, dass dem Gericht die Bevollmächtigung ausdrücklich oder schlüssig zur Kenntnis gebracht wird (vgl. BGH, 28. November 2006 - VIII ZB 52/06 - juris, Rn. 7; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Auflage, 2020, § 172 ZPO Rn. 4 ff.). Dies war zunächst der beigeordnete Rechtsanwalt A.
(2) In einem Parteiprozess wie dem erstinstanzlichen arbeitsgerichtlichen Verfahren wird das durch eine Kündigung des Vollmachtvertrages bedingte Erlöschen der Prozessvollmacht durch die Anzeige an das Gericht diesem gegenüber gemäß § 87 Abs. 1 ZPO rechtlich wirksam und beendet die Empfangszuständigkeit nach § 172 ZPO (vgl. BGH, 17. Oktober 1990 - XII ZB 105/90 - juris, Rn. 8). § 87 Abs. 2 ZPO erweitert in diesem Fall nur die Befugnis des bisherigen Prozessbevollmächtigten, begründet aber nicht für ihn eine Pflicht zur Entgegennahme von Zustellungen (vgl. BGH, 5. Februar 1965 - V ZB 12/64 - juris, Rn. 7). Ein dem Gericht sodann angezeigter Wechsel der Person des Prozessbevollmächtigten mit der Anzeige seiner Vollmacht führt zur Befugnis und Verpflichtung des neuen anwaltlichen Vertreters, Zustellungen des Gerichts nach § 172 ZPO entgegenzunehmen, bei deren gleichzeitigen Entfall für den bisher Bevollmächtigten.
(3) Im vorliegenden Fall hat der beigeordnete Rechtsanwalt die Beendigung des Mandats und das Erlöschen der Prozessvollmacht angezeigt. Darüber hinaus hat der neue Prozessbevollmächtigte die durch die Klägerin gewünschte Vertretung durch ihn im Prozess mitgeteilt. Beide Anzeigen erfolgten gegenüber dem Gericht und sind gemäß § 87 Abs. 1 ZPO rechtlich diesem gegenüber wirksam. Dementsprechend hatten an nunmehr alle Zustellungen an den neuen Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Ein Erlöschen seiner Vollmacht ist nicht angezeigt worden. Sie umfasst die Vertretung im Prozesskostenhilfeverfahren einschließlich des Nachprüfungsverfahrens. Dessen ordnungsgemäße Einleitung erforderte eine Zustellung des Aufforderungsschreibens an den Prozessbevollmächtigten, welche nicht vorliegt.
bb) Die weiterhin fortbestehende Beiordnung des Rechtsanwalts A ändert daran nichts.
(1) Beiordnung und Prozessvollmacht sind grundsätzlich getrennt voneinander zu betrachten. In dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, in dem nicht um die Beiordnung eines bestimmten Rechtsanwalts gebeten wird, liegt keine Bevollmächtigung des später beigeordneten (vgl. BGH, 29. Mai 1951 - IV ZR 83/50 - juris, Rn. 6). Die Beiordnung allein begründet noch kein Vertretungsverhältnis zwischen dem beigeordneten Anwalt und der Partei; diese muss den Anwalt mit ihrer Vertretung noch beauftragen und ihm für sein Auftreten eine Vollmacht erteilen, weil der bedürftigen Partei kein Anwalt aufgezwungen werden darf (vgl. BGH, 1. März 1973 - III ZR 188/71 - juris, Rn. 8). Ebenso wenig kann die nachträgliche Beiordnung eine wegen Geschäftsunfähigkeit der Partei fehlende wirksame Bevollmächtigung des Anwalts ersetzen (vgl. BGH, 22. Oktober 1986 - VIII ZR 40/86 - juris, Rn. 8).
(2) Andererseits führt das Erlöschen der Prozesskostenhilfe durch die Aufhebung der Bewilligung und Beiordnung führt nicht zum Erlöschen der Prozessvollmacht (Zöller/Schultzky, a. a. O., § 124 ZPO Rn. 26). Eine Prozessvollmacht kann nur auf prozessordnungsgemäßen Wege nach § 87 ZPO aufgehoben werden. Dazu genügt die Beiordnung eines anderen Anwalts anstelle des bisher beigeordneten nicht (vgl. RG, 19. Mai 1919 - III 556/18, RGZ 95, 337 <338>).
(3) Kommt es demnach zu einem Wechsel der Person des Prozessbevollmächtigten aufgrund Veranlassung der Partei, welche Prozesskostenhilfe unter Beiordnung bewilligt erhalten hat, führt dies zwar nicht automatisch dazu, dass Zustellungen an den bisherigen beigeordneten Rechtsanwalt nicht erfolgen können. Ist an Stelle eines früheren beigeordneten Anwalts, dessen Vollmacht widerrufen worden ist, vom Gericht ein neuer Anwalt beigeordnet worden, so müssen bis zur Anzeige der neuen Vollmacht alle Zustellungen an den früheren Anwalt erfolgen (Zöller/Althammer, a. a. O., § 86 Rn. 10). Ist diese Anzeige erfolgt, hat nunmehr der neue Bevollmächtigte Zustellungen zu erhalten.
(4) Entsprechendes gilt nach Sinn und Zweck des Zustellerfordernisses gemäß § 172 ZPO auch dann, wenn die Beiordnung des neuen Anwalts unterbleibt. Ist die Anzeige der neuen Vollmacht erfolgt, ist nunmehr an diesen und nicht mehr an den beigeordneten Rechtsanwalt zuzustellen. Der neue Bevollmächtigte übernimmt mit dem Mandat aufgrund der erteilten Prozessvollmacht die Vertretung der Partei im Verfahren insgesamt, d. h. sowohl im Hauptsacheverfahren als auch im Prozesskostenhilfeverfahren. Das gilt unabhängig davon, ob der neue anwaltliche Vertreter sich bei einem Mandatswechsel zusätzlich beiordnen lässt bzw. beigeordnet wird oder nicht. Die Partei hat durch den von ihr dem Gericht angezeigten Wechsel die Vertretung in die Hände des neuen Bevollmächtigten gelegt. Sie kann vom Gericht erwarten, dass ihrem Interesse, das gesamte Verfahren in den Händen ihres Prozessbevollmächtigten zusammenzuführen und ihn dadurch in die Lage zu versetzen, sie über den Stand des Verfahrens auf dem Laufenden zu halten und die notwendigen Schritte zu unternehmen, nunmehr bezogen auf ihren neuen rechtlich wirksam nach § 87 Abs. 1 ZPO Bevollmächtigten Rechnung getragen wird. Sie geht berechtigterweise davon aus, dass ihre Beauftragung des neuen Prozessbevollmächtigten auch das Prozesskostenhilfeverfahren erfasst.
Dementsprechend hat das Arbeitsgericht die hier angefochtene Entscheidung auch nicht dem beigeordneten Rechtsanwalt, sondern dem zuletzt für die Klägerin als Prozessbevollmächtigter tätig gewesene Anwalt zugestellt.
c) Das Interesse des beigeordneten Rechtsanwalts erfordert es nicht, ihn im Nachprüfungsverfahren durch die Zustellung der Aufforderung an die von ihm nicht mehr vertretene Partei, die Erklärung über eine Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzugeben, weiterhin zu beteiligen. Im Hinblick auf die Folge einer eventuellen Aufhebung, welche die Sperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beseitigt und ihn nunmehr berechtigt, die volle gesetzliche Wahlanwaltsvergütung zu verlangen und gemäß § 11 RVG festsetzen zu lassen, wird durch eine Zuleitung der Aufhebungsentscheidung zur Kenntnisnahme hinreichend genügt.
3. Eine ordnungsgemäße Beteiligung der Klägerin liegt danach nicht vor, weil die Aufforderung zur Erklärung über eine Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht an ihren Prozessbevollmächtigten zugestellt wurde. Sie ist im Beschwerdeverfahren nicht nachzuholen, weil die formal ordnungsgemäße Beteiligung vor Erlass des Aufhebungsbeschlusses Voraussetzung für seinen rechtmäßigen Bestand ist. Nicht zuletzt im Hinblick auf die nach § 120a Abs. 1 Satz 4 ZPO nur zeitlich begrenzt für vier Jahre nach rechtskräftiger Entscheidung oder sonstiger Beendigung des Verfahrens bestehende Möglichkeit einer Abänderung der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung ist es erforderlich, dass der Aufhebungsentscheidung des Arbeitsgericht ein von ihm formal ordnungsgemäß durchgeführtes Verfahren zugrunde liegt. Ist das nicht der Fall, verbleibt es bei der ursprünglichen Bewilligung (vgl. LAG Hamm, 10. Mai 2016 - 5 Ta 169/16 - juris, Rn. 9; 20. September 2013 - 14 Ta 160/13 - juris, Rn. 15).
4. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.