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  • 10.01.2023 · IWW-Abrufnummer 233151

    Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 02.12.2022 – 26 Ta (Kost) 6078/22

    1. Für die Auslösung eines Vergleichsmehrwerts genügt es regelmäßig nicht, dass der Arbeitgeber ein Zeugnis noch nicht erteilt hatte, insbesondere wenn der Anspruch angesichts der noch nicht abgelaufenen Kündigungsfrist noch gar nicht fällig war.

    Die Nichterfüllung eines unstreitig bestehenden Anspruchs führt nicht zu einem Streit der Parteien und rechtfertigt auch nicht notwendig den Schluss, dass dieser Anspruch ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 27. Juli 2021 - 17 Ta (Kost) 6103/21, zu 2 d der Gründe).

    2. Davon ist auch für ein Zwischenzeugnis auszugehen, wenn dieses für den Fall des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht worden ist.

    3. Anders kann zu entscheiden sein, wenn das Zwischenzeugnis dazu dienen soll, während einer langen Kündigungsfrist oder eines Kündigungsschutzprozesses Bewerbungen zu ermöglichen. Dann kann der Vereinbarung über das bisher - ungeachtet der Geltendmachung - nicht erteilte Zwischenzeugnis ein besonderer Wert zukommen.

    4. Wird der Vergleich zu einem Zeitpunkt geschlossen, zu dem ein vereinbartes Ende des Arbeitsverhältnisses noch nicht unmittelbar bevorsteht, kann daher - insbesondere dann, wenn die Einigung längere Zeit vor der vorgesehenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt - durch eine Regelung über die Erteilung eines Zwischenzeugnisses ein Vergleichsmehrwert ausgelöst werden.


    Tenor:

    Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. Juli 2022 - 4 Ca 1540/22 - abgeändert und der Gegenstandswert für den Vergleich - unter Berücksichtigung eines Vergleichsmehrwerts in Höhe von 9.214,87 Euro - auf 38.121,51 Euro festgesetzt.



    Gründe



    I.



    Die Klägervertreter machen mit der Beschwerde die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts für eine Bonus- und eine Zeugnisregelung im Vergleich geltend. Die Klägervertreterin habe mit einem Mitarbeiter der Beklagten vor dem Hintergrund einer im Rahmen der Klage angefochtenen Freistellung über die Höhe der Bonusforderung gestritten. Die Zeugnisregelung sei im Rahmen es Vergleichswerts ebenfalls zu berücksichtigen. Das Zwischenzeugnis sei beantragt, ab bis zum Abschluss des Vergleichs nicht erstellt gewesen. Außerdem handele es sich um ein besonders gutes Zeugnis. Dabei sei zu berücksichtigen, dass dem Kläger im Rahmen der Sozialauswahl eine deutlich jüngere Kollegin vorgezogen worden sei. Die Feststellung des Vergleichs erfolgte am 15. Juni 2022. Der Vergleich sieht eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf des 30. September 2022 vor. Das Arbeitsgericht hat die Berücksichtigung eines Vergleichsmehrwerts abgelehnt.



    II.



    Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Ein Vergleichsmehrwert ist hinsichtlich der Einigung über das Zwischenzeugnis und über die Höhe der Bonusforderung angefallen.



    1) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber - und nicht worauf - die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde. Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 2).



    Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist danach nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um dann im Wege des Nachgebens einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 3).



    2) Bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte liegen die Voraussetzungen für den Ansatz eines Vergleichsmehrwerts für das Zwischenzeugnis vor. Die Einigung über das Endzeugnis hat einen Vergleichsmehrwert hingegen nicht ausgelöst.



    a) Streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung, kann regelmäßig ohne nähere Begründung davon ausgegangen werden, dass auch das Führungs- und Leistungsverhalten des Arbeitnehmers streitig war; wird der Kündigungsrechtsstreit durch Abschluss eines Vergleichs beigelegt und dort eine Zeugnisregelung getroffen, führt dies deshalb ohne weiteres zur Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts. Gleiches gilt bei einer personenbedingten Kündigung, wenn die Kündigungsgründe einen Bezug zu dem Führungs- und Leistungsverhalten aufweisen. Stand eine betriebsbedingte Kündigung im Streit oder fehlen Angaben über die Kündigungsgründe, bedarf es zur Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts für eine Zeugnisregelung regelmäßig näherer Angaben, aus denen ein im Zeitpunkt des Vergleichs bestehender Streit bzw. eine Ungewissheit über den Zeugnisanspruch geschlossen werden kann (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 22. Mai 2018 - 26 Ta (Kost) 6036/18; 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 4).



    b) Die Klägervertreterin weist zutreffend darauf hin, dass danach auch unabhängig von der Art der Kündigung der Ansatz eines Vergleichsmehrwerts für eine Zeugnisregelung gerechtfertigt sein kann. Das ist hier im Hinblick auf die Einigung über das Zwischenzeugnis der Fall.



    aa) Es handelte sich hier allerdings um eine betriebsbedingte Kündigung. Dass es einen Streit über den Zeugnisinhalt gegeben hat, ist nicht ersichtlich. Nicht ausreichend ist insoweit, dass ein solcher nicht vollkommen auszuschließen war. Für die Auslösung eines Vergleichsmehrwerts genügt es im Übrigen regelmäßig nicht, dass der Arbeitgeber ein Zeugnis noch nicht erteilt hatte, insbesondere dann, wenn der Anspruch mangels Ablaufs der Kündigungsfrist zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs noch gar nicht fällig war. Die Nichterfüllung eines unstreitig bestehenden Anspruchs führt nicht zu einem Streit der Parteien und rechtfertigt auch nicht notwendig den Schluss, dass dieser Anspruch ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 27. Juli 2021 - 17 Ta (Kost) 6103/21, zu 2 d der Gründe). Davon ist auch für ein Zwischenzeugnis auszugehen, wenn dieses für den Fall des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht worden ist.



    bb) Anders kann zu entscheiden sein, wenn das Zwischenzeugnis - wie hier - dazu dienen soll, während einer sehr langen Kündigungsfrist oder eines Kündigungsschutzprozesses Bewerbungen zu ermöglichen. Dann kann der Vereinbarung über das Zwischenzeugnis ein besonderer Wert zukommen. Wird der Vergleich zu einem Zeitpunkt geschlossen, zu dem ein vereinbartes Ende des Arbeitsverhältnisses noch nicht unmittelbar bevorsteht, kann daher durch eine Regelung über die Erteilung eines Zwischenzeugnisses ein Vergleichsmehrwert ausgelöst werden. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Einigung längere Zeit vor der vorgesehenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt war, wie das hier der Fall gewesen ist.



    3) Durch die Bonusregelung im Vergleich ist ein Streit beigelegt worden. Unter den Parteien bestand Streit darüber, ob angesichts einer Freistellung der volle Bonus zu zahlen war. Über diese Frage haben die Parteien im Vergleich eine Einigung erzielt.



    4) Hinsichtlich des Gegenstandswerts für das Verfahren verbleibt es bei der Festlegung durch das Arbeitsgericht. III.



    Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Eine Gebühr ist nicht angefallen.



    IV.



    Die Entscheidung ist unanfechtbar.

    Vorschriften