14.02.2024 · IWW-Abrufnummer 239721
Landesarbeitsgericht Hamburg: Urteil vom 24.08.2023 – 1 Sa 8/23
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 23. Februar 2023 - 7 Ca 105/22 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch eine ordentliche Kündigung der Beklagten, um die Entfernung zweier Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers und um Zahlung, wobei in diesem Berufungsverfahren nur die Beendigung und die Entfernung einer der beiden Abmahnungen streitgegenständlich ist.
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Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 10. Januar 2019 auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 10. Januar 2019 (Anlage K 3, BI. 12 d.A. des Arbeitsgerichts) bei einem regelmäßigen Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.078,70EURmit Hausmeisterdiensten, Garten- und Winterdienst sowie Treppenhausreinigungen beschäftigt. Die Vergütung für Arbeits- und Wegezeiten zwischen den Arbeitseinsätzen ist dabei gleich hoch.
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Zuvor war der Kläger bei der X GmbH tätig. Mit Schreiben vom 4. September 2018 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass sein Arbeitsverhältnis von der Beklagten übernommen werde (AnlageK2, BI. 11 d.A. des Arbeitsgerichts). Dieses Schreiben lautet auszugsweise:
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Am 2. März 2022 weigerte sich der Kläger, Exkremente von einem Gehweg bei einem Kunden der Beklagten zu entfernen. Ob er sich grundsätzlich weigerte, den Gehweg mit einem Besen zu reinigen, ist zwischen den Parteien umstritten. Mit Schreiben vom 9. März 2022erteiltedieBeklagtedemKlägereineAbmahnung wegen dieses Vorfalls (Anlage K 5, BI. 16 d.A.). Dieses Schreiben lautet auszugsweise:
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Mit Schreiben vom ebenfalls 9. März 2022 erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung wegen der unterlassenen Montage von Türschildern bei einem Kunden am 7. März 2022 (Anlage K 4, BI. 15 d.A. des Arbeitsgerichts) .
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Am 8. März 2022 fand eine Besprechung zwischen dem Kläger, dem Geschäftsführer der Beklagten und dem Objektleiter der Beklagten statt. In diesem Gespräch warf die Beklagte dem Kläger vor, in seinen Stundenzetteln nicht die Arbeitszeiten und die Wegezeiten aufzuteilen, seine Stundenzettel bewusst fehlerhaft auszufüllen und damit eine mittelbare Falschbeurkundung zu begehen.
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Mit E-Mail vom 8. März 2021, welches der Kläger an die allgemeine E-Mailanschrift der S. GmbH"lnfo@XXXX"sandte, reagierte der Kläger auf die Besprechung (Anlage B 1, BI. 35 d.A. des Arbeitsgerichts) . Diese E-Mail lautet auszugsweise:
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Mit E-Mail vom 9. März 2022 antwortete der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger wie folgt (Anlage B 2, BI. 44 d.A. des Arbeitsgerichts):
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Nachdem der Kläger nicht innerhalb der Frist auf die E-Mail des Geschäftsführers reagiert hatte, dieser an den Kläger am 14. März 2023 eine weitere E-Mail mit folgendem Inhalt (Anlage B 3, BI. 46 d.A. des Arbeitsgerichts):
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Auch auf diese E-Mail hin gab der Kläger die von der Beklagten geforderten Erklärungen nicht ab.
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Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 18. März 2022 (Anlage K 7, BI. 19 d.A. des Arbeitsgerichts), das dem Kläger nicht vor dem 18. März 2022 zuging, zum 31. Oktober 2022. Mit der streitgegenständlichen Kündigungsschutzklage, die am 5. April 2022 beim Arbeitsgericht einging und der Beklagten am 12. April 2022 zugestellt wurde, macht der Kläger unter anderem die Rechtsunwirksamkeit dieser Kündigung geltend.
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Der Kläger trägt vor,die Abmahnung und die Kündigung seien zu Unrecht erfolgt. Er habe seine Arbeitszeiten zutreffend erfasst und sei dabei davon ausgegangen, dass auch seine notwendige Wegezeit mit seinem Stundenlohn vergütet werden müsse. Im Gespräch am 8. März 2022 sei der Kläger als Betrüger bezeichnet worden. Der Kläger habe seine E-Mail vom 8. März 2022 an die einzige ihm von der Beklagten bekannte E-Mailanschrift geschickt.
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Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Der Kläger genieße Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetzt. Die Beklagte beschäftige regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Sie bilde außerdem zusammen mit der S. GmbH einen Gemeinschaftsbetrieb. Der Kündigungsschutz für den Kläger ergebe sich außerdem aus einer im Schreiben vom 4. September 2018 dem Kläger gegebenen Zusage (Anlage K2).
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Der Kläger hat zuletzt beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18. März 2022 zum 31. Oktober 2022 aufgelöst wird;
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2. die Beklagte zu verurteilen, die beiden Abmahnungen vom 9. März 2022 - Anlagen K 4 und K5- aus der Personalakte zu entfernen;
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3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den Bedingungen seines Arbeitsvertrages als Hausmeister oder Mitarbeiter im Garten- und Winterdienst weiter zu beschäftigen;
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4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 404,59 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins gern.§ 247 BGB zu zahlen;
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5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 25,28 EUR brutto (Nachzahlung März 2022) sowie 35,19 EUR brutto (Nachzahlung April 2022) und 131,13 EUR brutto (Nachzahlung Mai) zu zahlen;
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6. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 84,53 EUR brutto (August 2022) und weitere 39,36 EUR brutto (September 2022) zu zahlen;
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Soweit der Kläger in einer Klageerweiterung vom 1. September 2022 den weiteren Antrag angekündigt hat, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger seine vollständige Abrechnung für Juli 2022 herauszugeben, hat er den Rechtsstreit im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer beim Arbeitsgerichts am 12. Januar 2023 für
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erledigt erklärt.
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Die Beklagte
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hat der Erledigung widersprochen
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und im Übrigen beantragt,
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die Klage abzuweisen .
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Die Beklagte hat vorgetragen,die Beschwerde des Klägers hätte nicht an die allgemein zugängliche E-Mail-Adresse der S. GmbH gehen dürfen. Damit habe der Kläger den Gesprächsinhalt vom 8. März 2022 für alle Mitarbeiter der S. GmbH öffentlich gemacht. Richtigerweise hätte der Kläger sich an den Geschäftsführer der Beklagten wenden müssen. Der Kläger sei vom Geschäftsführer der Beklagten in dem Gespräch vom 8. März 2022 nicht als Schwindler oder Betrüger bezeichnet worden. Der getrennte Ausweis von Arbeits-undWegezeitenseierforderlich, um die Einsätze des Klägers zu optimieren, indem unnötige Fahrten vermieden würden und der Kläger zu weiteren Diensten eingesetzt werden könne.
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Die Beklagte beschäftige regelmäßig nur insgesamt sieben Mitarbeiter. Einen Gemeinschaftsbetrieb mit der S. GmbH bilde sie nicht, Auf die soziale Rechtfertigung der Kündigung komme es daher nicht an.
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Die Abmahnung vom 9. März 2022 (Anlage K 5) für den Vorfall am 2. März 2022 se( erfolgt, weil sich der Kläger geweigert habe, die Exkremente, die auf den Boden nicht flüssig, sondern fest vorhanden gewesen seien, zu entfernen. Das hätte der Kläger jederzeit mit dem sich in dem Wagen befindenden weichen Bürobesen oder aber mit Handfeger und Schaufel vornehmen können. Zudem hätte er in diesem Zusammenhang darum bitten können, dass er den Schlüssel für den Geräteraum des Kunden erhalte und dann die Arbeiten ausführen könne.
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DasArbeitsgerichthat der Klage mitTeilurteil vom 1. März 2023insoweit stattgegeben, als es auf den Feststellungsantrag zu 1. festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18. März 2022 zum 31. Oktober 2022 aufgelöst worden ist. Es hat die Beklagte auf den Klageantrag zu 3. hin dazu verurteilt, den Kläger zu den Bedingungen seines Arbeitsvertrages als Hausmeister oder Mitarbeiter im Garten- und Winterdienst bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiter zu beschäftigen und auf den Klageantrag zu 2. hin, die Abmahnung vom 9. März 2023 betreffend die Gehwegreinigung aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
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Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung vom 18. März 2022 verstoße gegen das Maßregelungsverbot des § 84 Abs. 3 BetrVG und sei damit unwirksam. Das Benachteiligungsverbot gelte auch bei unberechtigten Beschwerden. Eine aufgrund einer solchen Beschwerde ausgesprochene Kündigung sei unwirksam. Die E-Mail des Klägers vom 8. März 2021 stelle eine solche Beschwerde dar. Ob der Kläger in diesem Gespräch tatsächlich als "Schwindler" und "Betrüger" bezeichnet worden sei, sei nicht entscheidungserheblich. Für das Eingreifen des Maßregelungsverbots komme es nicht darauf, dass die Beschwerde zu Recht erhoben worden sei. Vielmehr komme es allein auf das subjektive Empfinden des Arbeitnehmers an. Der Umstand, dass der Klägerseine E-Mail nicht an den Geschäftsführer der Beklagten persönlich übermittelt habe, sondern an die allgemeine E-Mailadresse der S. GmbH führe nicht dazu, dass das Maßregelungsverbotnichteingreife.DassderKlägerdieseE-Mailanschriftbewusstgenutzt habe mit dem Ziel, dass auch andere Personen neben Herrn S. vom Inhalt seines Schreibens Kenntnis erlangten, sei nicht erkennbar. Es sei somit von einer irrtümlichen Nutzung der Email-Adresse durch den Kläger auszugehen, die für sich betrachtet nicht dazu führen könne, dass sich der Kläger nicht mehr auf das Maßregelungsverbot berufen könne.
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Die Beklagte könne auch das ursprünglich in dem Gespräch gerügte Verhalten des Klägers, der in seinen Stundenaufzeichnungen nicht zwischen Arbeitszeit und Wegezeit unterschieden habe, nicht als Kündigungsgrund heranziehen. Die Beklagte selbst habe mit Ihrem Schreiben vom 9. März 2022 (Anlage B 2) deutlich gemacht, dass sie nicht dieses Verhalten als Kündigungsgrund heranziehe, sondern dieses vielmehr zum Gegenstand einer Abmahnung machen wolle.
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Der Kläger habe auch einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits .
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Die Beklagte sei außerdem verpflichtet, die Abmahnung vom 9. März 2022 (Anlage K 5) aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Vorliegend sei der maßgebliche Sachverhalt in der Abmahnung unzutreffend wiedergegeben worden . In der Abmahnung sei davon die Rede, dass der Kläger Sonnenblumenkerne mithilfe eines im Wagens befindlichen Besens habe zusammenfegen und entfernen sollen, während die Exkremente, die tatsächlich Gegenstand der Auseinandersetzung gewesen seien, keine Erwähnung fänden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Teilurteils Bezug genommen.
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Gegen dieses am 6. März 2023 ihr zugestellte Teilurteil hat die Beklagte mit einem am 6. April 2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen SchriftsatzBerufungeingelegt. Auf den am 5. Mai 2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Antrag ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 6. Juni 2023 verlängert worden. Die Berufungsbegründung ist am 6. Juni 2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.
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Die Beklagtehält das arbeitsgerichtliche Urteil für unzutreffend undträgt vor,das Arbeitsgericht sei der Frage der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes nicht nachgegangen, obwohl diese Frage streitig geblieben sei. Die Beklagte habe substantiiert unter Benennung der bei ihr zum Kündigungszeitpunkt beschäftigten Mitarbeiter dargelegt, dass nicht mehr als 10 Arbeitnehmer bei ihr beschäftigt gewesen seien.
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Das Arbeitsgericht habe außerdem den streitigen Sachvortrag hinsichtlich der Einzelheiten des Gesprächs vom 8. März 2022, welches zu der in dem angegriffenen Urteil gegenständlichen Abmahnung vom 9. März 2022 geführt habe, nicht weiter aufgeklärt. Die Beklagte habe insoweit umfangreich vorgetragen und den Zeugen D. als Beweis benannt. Die Beklagte habe mehrfach klargestellt, dass sie den Kläger nie als "Schwindler" oder "Betrüger" bezeichnet habe. Hinsichtlich der Arbeitszeiten und Wegezeiten habe der Kläger unzutreffende Eintragungen in den Stundenzetteln vorgenommen. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Beklagte dem Kläger dies vorhalte, insoweit auf eine mittelbare Falschbeurkundung und einen damit verbundenen Arbeitszeitbetrug hinweise und den Kläger hierzu angehört habe. Die beiden Abmahnungen bezögen sich nicht auf den späteren Kündigungsgrund. Vielmehr sei die Kündigung neun Tage nach den beiden Abmahnungen erfolgt, weil der Kläger der Aufforderung in Gegenwart des Zeugen D. nicht nachgekommen sei, seine Arbeitszeiten ordnungsgemäß zu erfassen bzw. zu korrigieren. Die Kündigung habe nichts mit der vorangegangenen Beschwerde des Klägers vom 8. März 2021 zu tun, weshalb die Erwägungen des Arbeitsgerichts zum Maßregelungsverbot des § 84 Abs. 3 BetrVG nicht verfingen. Die Kündigung sei wegen der unzutreffenden Eintragungen in den Stundenzetteln erfolgt, welche der Kläger selbst eingeräumt habe. Die Kündigung stelle keine Maßregelung dar und war auch keine Reaktion auf die im Übrigen unbegründete Beschwerde des Klägers. Die vom Arbeitsgericht bemühte Vorschrift des § 84 BetrVG stelle eine Spezialregelung des allgemeinen Maßregelungsverbots gern. § 612 a BGB dar. Vorliegend sei nicht einmal erkennbar, inwieweit eine Benachteiligung des Klägers stattgefunden haben solle. Der Anwendungsbereich des § 84 Abs. 3 BetrVG sei vorliegend nicht eröffnet gewesen. Hieraus folge, dass das Arbeitsgericht der Frage der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes hätte nachgehen müssen. Das Arbeitsgericht habe insoweit übersehen, dass es aufgrund der Eigenschaft des Kleinbetriebes eines Kündigungsgrundes überhaupt nicht bedurft hätte. Die Formulierungen in der E-Mail des Geschäftsführers der Beklagten vom 9. März 2022 (Anlage B 2) hätten auch keinen beleidigenden oder maßregelnden Charakter. Der Geschäftsführer der Beklagten habe hier im Einzelnen unter Bezugnahme auf die eigenen Aufzeichnungen des Klägers dargelegt, dass dieser unzutreffende Eintragungen in den Stundennachweisen vorgenommen habe. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts müsse durchaus davon ausgegangen werden, dass der Kläger die allgemein zugängliche E-Mail-Adresse der S. GmbH, also noch nicht einmal gerichtet an die Beklagte und Arbeitgeberin des Klägers, genutzt habe mit dem Ziel, auch einer Vielzahl von weiteren Personen Kenntnis vom Inhalt seines Schreibens zu geben.
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Soweit das Arbeitsgericht in Bezug auf die im Teilurteil streitgegenständliche Abmahnung ausführe, es habe sich insoweit bei der Beseitigung der Exkremente um den tatsächlichen Gegenstand der Auseinandersetzung gehalten, so treffe dies zumindest nicht vollständig zu, wie sich aus dem Schreiben der vom Kläger beauftragten Gewerkschaft vom 21. März 2022 an die Beklagte ergibt (Anlage K 6), dort sei auch von den Sonnenblumenkernen die Rede.
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Die Beklagte beantragt,
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das Teilurteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 23. Februar 2023 zum Geschäftszeichen 7 Ca 105/22 abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit das Arbeitsgericht in dem angegriffenen Teilurteil darüber entschieden hat.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Der Klägerverteidigt das erstinstanzliche Urteil, underwidertauf die Berufungsbegründung, zur Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes habe der Kläger so weit vorgetragen, wie ihm das möglich sei. Der Kläger bestreite mit Nichtwissen, dass die Beklagte insgesamt nicht mehr als 10 Arbeitnehmerbeschäftige.
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In dem Gespräch vom 8. März 2022 sei dem Kläger unstreitig vorgehalten worden, vorsätzlich falsche Stundenaufzeichnungen geführt und damit einen Betrug begangen zu haben. Dies ergebe sich auch aus der Anlage B 2 und das habe die Beklagte auch im Prozess aufrechterhalten.Über diese Behauptung und die Art und Weise, wie der Geschäftsführer der Beklagten dabei mit ihm umgegangen sei, sei der Kläger zu Recht verärgert gewesen und habe sich deshalb in seinen Worten beschwert. Der Kläger habe keine unzutreffenden Angaben gemacht und dies auch nicht eingeräumt, sondern bis zu dem Zeitpunkt in seinen Stundenaufzeichnungen nur nicht zwischen Wege- und Arbeitszeiten unterschieden. Zu vergüten seien die Zeiten ohnehin beide gewesen, sodass der Beklagten kein Nachteil entstanden sei. Unabhängig davon sei der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung seit 18 Jahren in "Betrieb S." beschäftigt gewesen und eine Kündigung habe daher in jedem Fall eines nachvollziehbaren Anlasses bedurft. Der Kläger habe keine falschen Angaben gemacht oder "eingeräumt", am 8. März 2022 nicht um 8.30 Uhr, sondern erst um 8.47 Uhr "die Arbeit aufgenommen" zu haben. Vielmehr seien auch an dem Tag die Wegezeiten zwischen den Objekten für ihn Arbeitszeiten gewesen, so dass der Kläger diese in seinen Aufzeichnungen nicht gesondert ausgewiesen habe.
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Der Kläger habe die E-Mail-Adresse genutzt, weil es die einzige ihm zur Verfügung stehende gewesen sei und nicht mit dem Ziel, anderen den Inhalt zur Kenntnis zu bringen, wobei nochmals mit Nichtwissen bestritten werde, dass eine Vielzahl von Personen die E Mails unter der verwendeten Adresse lesen.
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Die Abmahnung - Anlage K 5 - sei zu Unrecht erfolgt und die Entscheidung des Arbeitsgerichts daher auch insoweit zutreffend. Die Sonnenblumenkerne habe der Kläger unstreitig weggefegt, obwohl ihm dazu nur ein Innenbesen zur Verfügung gestellt worden sei. Dieser sei für die Beseitigung von Exkrementen jedoch nicht geeignet gewesen.
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Hinsichtlich des ergänzenden Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 6. Juni 2023 (BI. 228 d.A. des Landesarbeitsgerichts) und auf die Berufungsbeantwortung vom 4. Juli 2023 (BI. 538 d.A. des Landesarbeitsgerichts) verwiesen. Wegen des Sachvortrags der Parteien und der von ihnen überreichten Unterlagen, ihrer Beweisantritte und ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt einschließlich der Sitzungsprotokolle Bezug genommen ( § 69 Abs. 2 und 3ArbGG ).
Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
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Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18. März 2022 wirksam aufgelöst worden. Die Beklagte ist außerdem verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen und die Abmahnung vom 9. März 2022 betreffend den Vorfall am 2. März 2022 (Anlage K 5) aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
A.
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Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
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1. DieBerufungistzulässig.SieiststafthaftundauchimÜbrigenzulässig,insbesondere in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sowie begründet worden (§ 64 Abs. 1, 2 und6,§66Abs.1ArbGGi.V.m.§519Abs.1und2,§520Abs.1und3, §522Abs.1 Satz 1ZPO ).
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II. Die Berufung ist aber unbegründet, weil die zulässige Klage begründet ist, soweit das Arbeitsgericht im Rahmen des Teilurteils vom 1. März 2023 über sie entschieden hat.
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1. Der Feststellungsantrag zu 1. ist begründet.
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Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18. März 2022 wirksam aufgelöst worden. Diese Kündigung verstößt gegen dasMaßregelverbotgern.§612aBGBi.V.m. §84Abs.3BetrVG .Dashatbereits das Arbeitsgericht mit ausführlicher Begründung zutreffend erkannt. Das weitere Vorbringen der Parteien in der Berufungsinstanz rechtfertigt kein anderes Ergebnis.
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a) Die Kündigung der Beklagten vom 18. März 2022 gilt nicht als von Anfang an rechtswirksam, weil der Kläger die Rechtsunwirksamkeit der schriftlichen Kündigung rechtzeitig geltend gemacht hat ( § 7 KSchG ) . Die dreiwöchige Klagefrist ist eingehalten ( § 4 Satz 1 und 2 KSchG ). Der Kläger hat gegen die ihm nicht vor dem 18. März: 2022 zugegangene Kündigung am 5. April 2022 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Hamburg erhoben, die der Beklagten demnächst, am 12. April 2022, zugestellt worden ist ( § 253 Abs. 1 , § 167 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG ).
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b) Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 18. März 2022 nicht beendet worden, weil diese gegen das Maßregelungsverbot gern. § 612a BGB i.V.m. § 84 Abs. 3 BetrVG verstößt und damit gern. § 134 BGB nichtig ist.
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(1) Gemäß § 84 BetrVG hat jeder Arbeitnehmer das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von anderen Arbeitnehmern des Betriebs benachteiligt oder ungerecht behandelt fühlt. Da der betroffene Arbeitnehmer jedoch nicht selten davor zurückschrecken wird, sich bei einer Kränkung oder unwürdigen Behandlung durch den Vorgesetzten an den Arbeitgeber zu wenden, weil ihn die Angst vor Unglaubwürdigkeit und damit verbundener negativer Konsequenz für seinen Arbeitsplatz belastet, ist in § 84 Abs. 3 BetrVG bestimmt, dass dem Arbeitnehmer wegen der Erhebung der Beschwerde keine Nachteile entstehen dürfen. Unzulässig ist jede Maßregelung des Arbeitnehmers, die im Zusammenhang mit der Erhebung der Beschwerde steht. Dies gilt selbst dann, wenn die Beschwerde sich im Nachhinein als haltlos oder unbegründet herausstellt ( LAG Hamm, 11. Februar 2004 - 18 Sa 1847/03 -, Rn. 39, juris; Fitting u.a., BetrVG, 31. Aufl.,§ 84 Rn. 20 m.w.N.). Ausnahmsweise können Sanktionen des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer wegen des Inhalts oder der Begleitumstände der Beschwerde gerechtfertigt sein, wenn z. B. völlig haltlose schwere Anschuldigungen gegen den Arbeitgeber oder den Vorgesetzten erhoben werden oder die wiederholte Einlegung grundloser Beschwerden den Arbeitnehmer als Querulanten ausweist ( LAG Hamm, 11. Februar 2004 - 18 Sa 1847/03 -, Rn. 40, juris m.w.N.). Beschwerdegegenstand ist die individuelle Benachteiligung, ungerechte Behandlung oder sonstige Beeinträchtigung des einzelnen Arbeitnehmers. wobei es entscheidend auf das subjektive Empfinden des jeweiligen Arbeitnehmers ankommt (Fitting u.a., BetrVG, 31. Aufl., § 84 Rn. 4; ErfK/Kania, 23. Aufl.§ 84 BetrVG Rn. 4; Richardi/Thüsing, BetrVG, 17.Aufl., § 84 Rn. 5).
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(2) Gemessen an diesen Voraussetzungen hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt, dass die Beklagte vorliegend die Kündigung vom 18. März 2022 wegen einer Beschwerde des Klägers im Sinne von § 84 BetrVG ausgesprochen hat.
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Die Kündigung steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der E-Mail des Klägers an den Geschäftsführer der Beklagten vom 8. März 2022 (Anlage B 1).
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Bei dieser E-Mail des Klägers handelt es sich um eine Beschwerde des Klägers i.S.v. § 84 BetrVG . Der Kläger wendet sich damit an den Geschäftsführer der Beklagten in Reaktion auf das Gespräch am 8. März 2022 und führt aus, dass er vom Arbeitgeber in diesem Gespräch als "Schwindler" und "Betrüger" beleidigt worden sei und dies nicht akzeptabel finde. Bei der Beurteilung kann dahinstehen, ob die Worte "Schwindler" und "Betrüger" in dem Gespräch am 8. März 2022 tatsächlich gefallen sind. Dem Kläger geht es ersichtlich darum, dem Vorwurf des unredlichen Verhaltens mit seiner E-Mail vom 8. März 2022 entgegenzutreten. Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien ist dem Kläger in diesem Gespräch tatsächlich vorgehalten worden, seine Arbeits- und Wegezeit nicht ordnungsgemäß zu erfassen und daher einer Falschbeurkundung begangen zu haben. Diesen Vorwurf hat der Geschäftsführer der Beklagten in Reaktion auf die E-Mail des Klägers am 9. März 2022 per E-Mail dem Kläger gegenüber bekräftigt (Anlage B 2). Hierin spricht er ausdrücklich von "Betrug". Über eben diesen Vorwurf hat sich der Kläger mit seiner E-Mail vom 8. März 2022 offenkundig bei der Beklagten beschwert. Er hat mit seiner E Mail geltend gemacht, dass er dem Vorwurf der Beklagten zu Unrecht ausgesetzt sei und er sich durch den Inhalt des Gesprächs am 8. März 2022 einschließlich der von der Beklagten darin erhobenen Vorwürfe ungerecht behandelt fühlt. Auf die Frage, ob die Beschwerde des Klägers berechtigt ist, kommt es im Übrigen nicht an.
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Die Beklagte hat dem Kläger auch wegen dieser Beschwerde gekündigt. Die Kausalität zwischen Beschwerde und Kündigung liegt vor. Bereits mit der E Mail vom 9. März 2022 (Anlage B 2) hat der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger mitgeteilt, das er aufgrund der E-Mail des Klägers erwarte, dass der Kläger eine Erklärung des Inhalts abgebe, den darin erhobenen Vorwurf wegen Beleidigung und Belästigung zurückzunehmen, Stundenzettel nicht mehr zu fälschen und Anweisungen des Vorgesetzten nachzukommen. Anderenfalls könne das Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt werden. Bereits diese Nachricht stellt einen unmissverständlichen Bezug zwischen der E-Mail des Klägers vom 8. März 2022 (Anlage B 1) und dem Risiko, den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu gefährden her. Dieser Bezug wird durch die weitere Nachricht des Geschäftsführers der Beklagten vom 14. März 2022 (Anlage B 3) noch verstärkt. Darin wird der Kläger aufgefordert, seine Erklärung aus der E-Mail vom "9.3.2022" -gemeint sein kann nur der 8. März 2022 - nicht weiter aufrecht zu erhalten und zu widerrufen. Ihm ist hierin eine Frist bis zum 16. März 2022 gesetzt worden, nach deren fruchtlosem Ablauf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Aussicht gestellt worden ist. Nachdem der Kläger diese Erklärung nicht fristgemäß abgegeben hatte, ist am 18. März 2022 die Kündigung erklärtworden.
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Die Kammer bewertet vor dem Hintergrund dieser Chronologie die Behauptung der Beklagten in der Berufungsinstanz - die Kündigung sei wegen der unzutreffenden Eintragungen in den Stundenzetteln erfolgt, welche der Kläger selbst eingeräumt habe, und stelle keine Maßregelung dar; die Kündigung sei keine Reaktion auf die im Übrigen unbegründete Beschwerde des Klägers gewesen - als Schutzbehauptung. Die Beklagte hat mit E-Mail vom 14. März 2022 den Bestand des Arbeitsverhältnisses eindeutig verknüpft mit den Erklärungen des Klägers in seiner E-Mail vom 8. März 2022. Neben der inhaltlichen Bezugnahme spricht für eine Kündigung wegen der Beschwerde auch die sehr enge zeitliche Verzahnung: Die Beklagte hat unmittelbar nach Verstreichen der dem Kläger gesetzten Frist für den Widerruf (16. März 2022) die Kündigung ausgesprochen (18. März 2022). Die aus Sicht der Beklagten fehlerhafte Dokumentation der Arbeitszeit hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits abgestellt: Die Beklagte hat in der E-Mail vom 14. März 2022 eingeräumt, dass der Kläger seit dem 11. März 2022 die Eintragungen der Arbeits- und Wegezeiten getrennt einträgt.
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Unerheblich ist für die Kammer, dass der Kläger seine Beschwerde an eine Verteiler-Mailanschrift der S. GmbH gerichtet hat. Die Beschwerde nach § 84 BetrVG ist bef der zuständigen Stelle des Betriebs einzulegen. Das ist in der Regel der Vorgesetzte (ErfK/Kania, 23. Aufl. § 84 BetrVG Rn. 6). Der Kläger hat vorliegend eine E-Mail an den Geschäftsführer der Beklagten verfasst, der an dem Gespräch am 8. März 2022 auch teilgenommen und die Vorwürfe gegenüber dem Kläger geäußert hat. Dass ist der Formulierung der E-Mail nach Auffassung der Kammer eindeutig zu entnehmen. Einen weiten Adressatenkreis hatte der Kläger beim Verfassen der E-Mail nicht vor Augen. Die Nutzung eines E-Mailverteilers, der ihm aus dem vormaligen Arbeitsverhältnis mit der S. GmbH bekannt gewesen sein dürfte, ist irrtümlich erfolgt und ändert nichts daran, dass sich der Kläger über seine Behandlung in dem Gespräch am 8. März 2022 beschweren wollte. Der Geschäftsführer der Beklagten hat das Ansinnen des Klägers auch offenbar genauso verstanden. Die vom Kläger fehlerhaft genutzte Mailadresse hat er in seiner E-Mails vom 9. März 2022 und 14. März 2022 nicht thematisiert.
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(3) Der Schutz des § 84 Abs. 3 BetrVG greift hier zugunsten der Klägers auch ein, obwohl bei der Beklagten ein Betriebsrat nicht gebildet worden ist. Zwar ist die Frage der Anwendbarkeit der Regelung des § 84 BetrVG auf Arbeitsverhältnisse in betriebsratslosen Betrieben höchstrichterlich noch geklärt. Die Kammer folgt aber der Auffassung, dass die in §§ 81 bis 84 BetrVG eingeräumten Individualrechte das das Bestehen eines Betriebsrates nicht voraussetzen (vgl. LAG Hamm, 3. September 2014 - 4 Sa 235/14 - juris). Aus dem individualrechtlichen Charakter des Beschwerderechts des § 84 BetrVG folgt, dass das Beschwerderecht auch für nicht betriebsratsfähige und betriebsratslose Betriebe gilt (ErfK/Kania, 23. Aufl. § 84 BetrVG Rn. 1; Richardi/Thüsing, BetrVG, 17. Aufl., § 84 Rn. 2; DKK Buschmann, BetrVG, 18. Aufl., § 84 Rn. 2; nur für betriebsratsfähige, aber betriebsratslose Betriebe'. Franzen in GK-BetrVG, 11. Aufl., vor § 81 Rn. 23). Dieses individuelle Beschwerderecht ist Ausfluss der der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (Grimm/Freh, ZWH 2013, 45, 48).
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c) Auf die weiteren zwischen den Parteien umstrittenen Unwirksamkeitsgründe ist es hinsichtlich der Kündigung der Beklagten vom 18. März 2022 nicht mehr angekommen.
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2. Der Antrag zu 3. ist auch begründet.
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Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als "Hausmeister oder Mitarbeiter im Garten- und Winterdienst'! weiterzubeschäftigen, weil die Kündigung der Beklagten vom 18. März 2022 unwirksam ist.
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Ein Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung ( §§ 611 , 613 , 242 BGB ). Stellt ein Arbeitsgericht fest, dass eine arbeitgeberseitige Kündigung unwirksam ist, hat der Arbeitgeber an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers kein schützenswertes Interesse mehr. Hierfür wären zusätzliche Umstände erforderlich, aus denen sich im Einzelfall ein besonderes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (SAG, Großer Senat, 27. Februar 1985 - GS 1/84 -, Rn. 95, juris). Solche zusätzlichen Umstände, aus denen sich ein besonderes Interesse an der Nichtbeschäftigung des Klägers ergeben könnte, hat die Beklagte aber nicht dargetan.
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3. Der Antrag zu 2. ist ebenfalls insoweit begründet, als er mit der Berufung beim Landesarbeitsgericht streitgegenständlich geworden ist.
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Die Beklagte ist verpflichtet, die Abmahnung vom 9. März 2022 (Anlage K 5) bezüglich des Vorwurf betreffend den 2. März 2022 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt, kann der Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung der §§ 242 , 1004 BGB i.V.m. § 611 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte verlangen (SAG, 23. Juni 2009 - 2 AZR 606/08 - juris; SAG, 27. November 2008 - 2 AZR 675/07 - juris). Begründet ist der Entfernungsanspruch, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht ( BAG, 23. Juni 2009 - 2 AZR 606/08 - juris). Inhaltlich unrichtig ist eine Abmahnung auch dann, wenn in ihr der zu Grunde liegende, an sich zutreffende Sachverhalt unvollständig dargestellt ist und deshalb ein unrichtiger Eindruck über das Verhalten des Arbeitnehmers entsteht (SAG 11. Juni 1997 - 7 AZR 229/96 - juris; LAG Hessen, 12. November 2021 - 14 Sa 357/21 - juris).
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Lediglich in einem wirksam beendeten Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer objektive Anhaltspunkte dafür vortragen, dass ihm die Abmahnung auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden kann. Anderenfalls fehlt ihm das Rechtsschutzbedürfnis für den Entfernungsanspruch (vgl. SAG, 14. September 1994 - 5 AZR 632/93 - juris; LAG Schleswig-Holstein, 19. Juli 2016 - 1 Sa 37/16 - juris; LAG Sachsen, 31. März 2023 - 4 Sa 117/21 - juris).
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b) Gemessen an diesen Voraussetzungen erweist sich die streitgegenständliche Abmahnung vom 9. März 2022 als unwirksam und die Beklagte ist im unbeendeten Arbeitsverhältnis der Parteien zu deren Entfernung aus der Personalakte des Klägersverpflichtet.
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Die Beklagte hat mit der Abmahnung einen anderen Sachverhalt geschildert, als sie es zur Begründung der Abmahnung im Rechtsstreit getan hat. Die Beklagte erwähnt darin mit keinem Wort den aus ihrer Sicht maßgeblichen Umstand, dass sich der Kläger geweigert haben soll, Exkremente bei einem Kunden auf dem Gehweg zu entfernen. In dem Abmahnungsschreiben vom 9. März 2022 (Anlage K 5) heißt es nur, der Kläger habe sich geweigert, mit einem im Wagen vorhandenen Besen sich auf dem Gehweg befindliche Sonnenblumenkerne zusammenzufegen und zu entfernen. Es macht aus Sicht der Kammer aber einen maßgeblichen Unterschied, ob der Kläger eine solche Reinigungsaufgabe (Sonnenblumenkerne) verweigert hat oder aber das Zusammenfegen von Exkrementen.
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Dass die Beklagte dem Kläger eigentlich Letzteres vorwirft, hat sie mit der Klageerwiderung vom 26. April 2022 (dort auf Seite 1, BI. 39 d.A. des Arbeitsgerichts) ausdrücklich vorgetragen. Von Sonnenblumenkernen ist in diesem Schriftsatz gar keine Rede. Diese Sachverhaltsvariante stellt im Verhältnis zum in der Abmahnung beschriebenen Vorwurf auch keine unerhebliche Abweichung im Sachverhalt dar.
B.
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1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 525 Satz 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6ArbGG ).
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2. Gegen dieses Urteil ist die Revision an das Bundesarbeitsgericht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § - 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG vorliegt.