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  • 06.06.2012 · IWW-Abrufnummer 122575

    Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 19.04.2012 – 8 Sa 63/12

    1.Unwirksame Verlängerung des sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrages durch schriftliche Vereinbarung erst nach Ablauf des vorangehenden Befristungszeitraums. Rechtzeitige mündliche Verlängerungsabrede wahrt nicht die Schriftform; keine Heilung möglich (gegen LAG Düsseldorf, 06.12.2001 - 11 Sa 1204/01 - LAGE § 17 TzBfG Nr. 1)


    Tenor:

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 07.12.2011 - 1 Ca 2112/11 - abgeändert:

    1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der vereinbarten Befristung vom 26.07.2010 zum 31.07.2011 beendet worden ist.

    2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

    3. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Befristungsabrede und in diesem Zusammenhang u. a. um die Frage, ob das zwischen den Parteien erstmals unter dem 15.03.2007 vereinbarte und aufgrund tariflicher Zulassung wiederholt bis zum 31.07.2010 sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis durch den weiteren, nunmehr bis zum 31.07.2011 befristeten Arbeitsvertrag wirksam verlängert worden ist. Letzterer Vertrag ist in der Weise zustande gekommen, dass die Beklagte das von ihr unterzeichnete Vertragsexemplar dem Kläger mit Anschreiben vom 26.07.2010 - abgesandt am 06.08.2010 - übermittelt hat. Der - in Erwartung der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - urlaubsbedingt abwesende Kläger hat den ihm am 09.08.2010 zugegangenen Vertrag sodann unterzeichnet und an die Beklagte zurückgesandt. Nach Ablauf der vertraglich vereinbarten Befristungsdauer (31.07.2011) ist es zu einer weiteren Verlängerung oder Entfristung des Arbeitsvertrages nicht gekommen, worauf der Kläger unter dem 11.08.2011 Klage erhoben hat.

    Der im Jahre 1949 geborene Kläger ist aufgrund jeweils schriftlich abgeschlossener befristeter Arbeitsverträge (Bl. 172 ff. d.A.) seit dem 15.03.2007 bei der beklagten Gesellschaft bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der R1 B1 GmbH, als Ausbilder beschäftigt. Die jeweils geschlossenen Arbeitsverträge sehen in § 1 eine Befristung "aufgrund des § 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetzes" vor. Gem. § 3 Arbeitsvertrag finden auf das Arbeitsverhältnis die dort genannten Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung, u. a. der Manteltarifvertrag der R1 B1 GmbH (Bl. 75 ff. d.A.). Dieser sieht in der einschlägigen Fassung gem. Änderungstarifvertrag vom 15.07.2009 (Bl. 88 d.A.) eine höchstens fünfmalige sachgrundlose Befristung mit einer zulässigen Gesamtbefristungsdauer von 60 Monaten vor.

    Der Kläger hält die zuletzt vereinbarte Befristung zum 31.07.2011 für unwirksam und macht zum einen geltend, die fragliche Regelung sei europarechtswidrig. Ferner hält er die arbeitsvertragliche Bezugnahme Klausel für intransparent, da diese die Einbeziehung vom Gesetz abweichender Regelungen aufgrund der Tariföffnungsklausel des § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG nicht erkennen lasse. Schließlich führe auch der Umstand, dass die Vereinbarung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erst am 09.08.2010 zustande gekommen sei, zur Unwirksamkeit der Befristung. Da das zuvor bestehende Arbeitsverhältnis bereits am 31.07.2010 beendet worden und ein neue Vertrag erst abgeschlossen worden sei, während der Kläger schon weitergearbeitet habe, sei eine weitere Befristung nicht mehr zulässig gewesen.

    Durch Urteil vom 07.12.2011 (Bl. 89 ff. d. A.), auf welches Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht den Antrag des Klägers, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der vereinbarten Befristung vom 26.07.2010 zum 31.07.2011 beendet worden ist, abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, gegen die Wirksamkeit der getroffenen Befristungsabrede bestünden keine rechtlichen Bedenken. Zwar sei der Kläger aufgrund wiederholter jährlicher Befristungen bereits seit dem 01.03.2007 für die Beklagte tätig. Abweichend von der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG erlaube jedoch die arbeitsvertraglich wirksam in Bezug genommene Regelung des einschlägigen Manteltarifvertrages eine fünfmalige Verlängerung bis zur Gesamtdauer von 60 Monaten. Weder könne dem Standpunkt des Klägers gefolgt werden, die arbeitsvertragliche Bezugnahme Klausel sei intransparent, noch verstoße die gesetzliche Regelung des § 14 Abs. 2 S. 3 gegen Gemeinschaftsrecht, da die einschlägige Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber einen entsprechenden Spielraum überlasse. Entgegen dem Standpunkt des Klägers verstoße die vereinbarte Befristung auch nicht gegen das Verbot der Vorbeschäftigung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG. Selbst wenn es vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrages zur Arbeitsaufnahme gekommen sein sollte, scheide ein konkludenter Vertragsabschluss vor Unterzeichnung der Vertragsurkunde aus. Durch Übersendung eines schriftlichen Vertragsangebots habe die Beklagte nämlich ausreichend verdeutlicht, dass der Verlängerungsvertrag nur bei Wahrung des Schriftformerfordernisses des § 14 Abs. 4 TzBfG zustande kommen solle. Da der Kläger auch selbst nicht vortrage, die Befristungsvereinbarung sei bereits vor Unterzeichnung des schriftlichen Arbeitsvertrages mündlich vereinbart gewesen, handele es sich auch nicht um die nachträgliche Beurkundung einer formunwirksamen Befristungsvereinbarung. Damit sei dem gesetzlichen Schriftformerfordernis Genüge getan.

    Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung hält der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens am Klagebegehren fest und beantragt,

    unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Herne vom 07.12.2011 - 1 Ca 2112/11 - festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der vereinbarten Befristung vom 26.07.2010 zum 31.07.2010 beendet worden ist.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

    Entscheidungsgründe

    Die Berufung des Klägers ist begründet und führt zur antragsgemäßen Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der vereinbarten Befristung vom 26.07.2010 zum 31.07.2011 beendet worden ist.

    I. Abweichend vom Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils ist die im zuletzt geschlossenen Arbeitsvertrag vereinbarte Befristungsabrede unwirksam.

    Auch wenn man dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils folgt, dass aufgrund der in § 3 des Arbeitsvertrages enthaltenen Verweisung auf den Manteltarifvertrag der R1 B1 GmbH in seiner jeweils gültigen Fassung eine weitere Verlängerung des zuvor geschlossenen Arbeitsvertrages an sich zulässig gewesen wäre, scheitert die Befristungsvereinbarung vorliegend an dem Umstand, dass sie erst zu einem Zeitpunkt abgeschlossen worden ist, als die im vorangehenden Arbeitsvertrag vereinbarte Befristung zum 31.07.2010 bereits abgelaufen und das Arbeitsverhältnis damit beendet war. Die tariflich zugelassene weitere "Verlängerung" des Vertrages war damit schon begrifflich nicht mehr möglich. Vielmehr handelt es sich bei dem erst nach Ablauf des bis zum 31.07.2010 abgeschlossenen Arbeitsvertrag um einen Neuabschluss. Eine Befristung des neu abgeschlossenen Arbeitsvertrages war indessen nach § 14 Abs. 2 Satz 2 unzulässig, weil zuvor bereits ein Arbeitsverhältnis der Parteien bestanden hat.

    1. Wie das Bundesarbeitsgericht wiederholt entschieden hat (u. a. BAG, 26.07.2000, 7 AZR 51/99, AP Nr. 4 zu § 1 BeschFG 1996 = DB 2001, 100), folgt bereits aus dem gesetzlich verwendeten Begriff der "Verlängerung", dass der zugrunde liegende Vertrag nur während seiner Laufzeit verlängert werden kann. Nach Ablauf des vereinbarten Zeitraums ist er beendet. Wechselseitige Rechte und Pflichten der Parteien müssten erneut vereinbart werden. Der erst nach Fristablauf abgeschlossene Vertrag stellt danach einen Neuabschluss dar, welcher dem Vorbeschäftigungsverbot unterliegt (BAG, a.a.o., juris Rn. 31 zur entsprechenden Rechtslage nach dem BeschFG 1996; KR-Lipke, 9. Aufl., § 14 TzBfG Rn 393, 416). Tarifliche Abweichungen von der gesetzlichen Regelung sind in § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG allein in Bezug auf Befristungsdauer und Anzahl der Verlängerungen zugelassen, nicht jedoch in Bezug auf die Modalitäten der "Verlängerung"-Vereinbarung bzw. auf die Regelung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG (KR-Lipke a.a.O. Rn 435; APS-Backhaus, § 14 TzBfG Rn 403).

    2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.04.2008 (7 AZR 1048/08), welche sich mit dem Formerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG und der Fragestellung befasst, inwiefern die tatsächliche Arbeitsaufnahme vor Zustandekommen der vereinbarten Vertragsbeurkundung zur Begründung eines unbefristetes Arbeitsverhältnis führt. Da der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ein Fall der Sachgrundbefristung zugrunde lag, kam es auf die Problematik der "Verlängerung" nicht an.

    Vorliegend folgt die Unwirksamkeit der Befristung nicht daraus, dass der Kläger etwa vor Unterzeichnung des schriftlichen Arbeitsvertrages seine Arbeit bereits tatsächlich aufgenommen hätte; entscheidend ist vielmehr, dass die an sich mögliche Verlängerung des vorangehenden Vertrages erst nach Ablauf der hierin vorgesehenen Befristung zustande gekommen ist.

    3. Auch die Tatsache, dass sich die Parteien nach Darstellung des Klägers bereits vor Ablauf der vorangehenden Befristung zum 31.07.2010 über eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses formlos verbindlich verständigt hatten und aus diesem Grunde eine zeitnahe Unterzeichnung der Verlängerungsvereinbarung beabsichtigt war, ändert nichts daran, dass eine dem Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG genügende Vereinbarung nicht während des vorangehenden Arbeitsverhältnisses zustande gekommen ist.

    Soweit demgegenüber das LAG Düsseldorf (Urteil vom 06.12.2001, 11 Sa 1204/01, LAGE § 17 TzBfG Nr. 1) für einen derartigen Fall angenommen hat, von der Einhaltung des Schriftformerfordernisses könne abgesehen werden, wenn die schriftliche Fixierung der Verlängerungsvereinbarung unmittelbar (bzw. möglicherweise auch zeitnah) nach dem ursprünglich vereinbarten Befristungsende erfolge, überzeugt dies nicht. Eine solche Sichtweise ist weder mit dem zwingenden Schriftformerfordernis für Befristungsabreden vereinbar, welches eine Heilung einer formunwirksamen Abrede durch nachträgliche Beurkundung ausschließt, noch wird mit dieser Auffassung dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ausreichend Rechnung getragen. Wie die vorliegende Sachverhalts Gestaltung zeigt, bedürfte es jeweils der Aufklärung, ob die Vertragsverlängerung lediglich "in Aussicht genommen" oder - abweichend vom Grundsatz des § 154 Abs. 2 BGB - bereits verbindlich vereinbart ist, ferner käme es darauf an, ob der hier verstrichene Zeitraum von 9 Tagen bis zur nachträglichen Vertragsbeurkundung noch als unbedeutend anzusehen wäre. Soweit ersichtlich, hat die genannte Entscheidung des LAG Düsseldorf im Schrifttum keine Zustimmung gefunden (KR-Lipke a.a.O. Rn 395; Laux/Schlachter, 2. Aufl., § 14 TzBfG Rn 106; Meinel/Heyn/Herms, 3. Aufl., Rn 165; Koppenfelds, AuR 2002, 241).

    4. Damit muss es sein Bewenden haben, dass die angegriffene Befristung des Arbeitsvertrages zum 31.07.2011 keine zulässige Verlängerung des vorangehenden Arbeitsvertrages darstellt. Eine etwa noch während des vorangehenden Arbeitsvertrages mündlich vereinbarte Vertragsverlängerung scheitert am Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG.

    II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen, da sie unterlegen ist.

    III. Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil im Hinblick auf die zitierte Entscheidung des LAG Düsseldorf zugelassen.