07.09.2012 · IWW-Abrufnummer 122855
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 05.07.2012 – 11 Sa 26/12
Solange der vertretene Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht vor Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags mit der Vertretungskraft verbindlich erklärt, dass er die Arbeit nicht wieder aufnehmen werde, darf und muss der Arbeitgeber mit dessen Rückkehr an den Arbeitsplatz rechnen.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26.10.2011, Az.: 6 Ca 2367/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vorliegend über die Wirksamkeit einer Befristungsabrede.
Die 1987 geborene, ledige Klägerin ist seit dem 01.08.2008 als Erzieherin in einer Kindertagesstätte der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 22 Stunden zu einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von 1.300,-- EUR beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis kommt der TVöD zur Anwendung.
Seit Arbeitsbeginn haben die Parteien 10 befristete Arbeitsverträge vereinbart, teils mit und teils ohne Sachgrund. Der letzte befristete Änderungsvertrag datiert vom 22.12.2010 und beinhaltet eine Befristung ab dem 01.01.2011 "für die Zeit der Vertretung der erkrankten interkulturellen Zusatzkraft, Frau I., längstens bis 30.06.2011."
Frau I., geboren 1976, hat mit der Beklagten einen zweckbefristeten Arbeitsvertrag für die Dauer des Vorliegens der Voraussetzungen für die Beschäftigung einer interkulturellen Zusatzkraft vereinbart. Sie ist seit Mitte 2008 arbeitsunfähig erkrankt.
Mit Schreiben vom 05.03.2008 teilte das Gesundheitsamt der Beklagten nach einer amtsärztlichen Untersuchung von Frau I. mit, dass prinzipiell mit der Wiedererlangung der Leistungsfähigkeit entsprechend der beruflichen Anforderungen zu rechnen ist.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund teilte der Beklagten mit Schreiben vom 14.01.2009 mit, dass Frau I. von ihr Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhält.
Frau I. informierte die Beklagte mit Schreiben vom 12.08.2010, dass sie in diesem Monat mit einer beruflichen Trainingsmaßnahme beginne.
Die Beklagte hatte zwei Stellen für Erzieherinnen in einer neu zu eröffnenden Kindertagesstätte ausgeschrieben. Auf diese Stellen bewarb sich die Klägerin ohne Erfolg. Darüber hinaus hat die Beklagte eine dritte Erzieherin eingestellt.
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass für die Befristung des letzten Änderungsvertrags kein sachlicher Grund vorgelegen habe. Angesichts der langen Erkrankungsdauer von Frau I. hätte der Beklagten klar sein müssen, dass die erkrankte Mitarbeiterin auch bei Ablauf der Befristungsdauer ihren Dienst nicht wieder aufnehmen würde. Vor diesem Hintergrund hätte einer unbefristeten Beschäftigung der Klägerin der Vorzug eingeräumt werden müssen vor einer Fortführung des mit der interkulturellen Zusatzkraft bestehenden Dienstvertrages.
Selbst wenn die Befristung als wirksam anzusehen sei, dann hätte die Beklagte die Klägerin gemäß § 30 Abs. 2 TVöD unbefristet beschäftigen müssen, da die Klägerin alle für die Besetzung einer freien Stelle in der Kindertagesstätte erforderlichen persönlichen und fachlichen Voraussetzungen erfülle.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsvereinbarung vom 22.12.2010 am 30.06.2011 endete, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass sie zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses davon ausgehen durfte, dass die zu vertretende Mitarbeiterin Isaak ihre Arbeitsfähigkeit wieder erlangen werde. Hierfür hätten die ihr vorliegenden schriftlichen Unterlagen und auch das junge Lebensalter von Frau I. gesprochen. Darüber hinaus sei ihr nicht bekannt, dass die Mitarbeiterin einen Rentenantrag gestellt habe.
Die Klägerin habe auch keinen Einstellungsanspruch nach § 30 Abs. 2 S. 2 TVöD, da die Mitbewerberinnen, für die sie sich entschieden habe, besser geeignet gewesen wären als die Klägerin.
Das Arbeitsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 26.10.2011 - 6 Ca 2367/11 - die Klage abgewiesen und zur Begründung folgendes ausgeführt:
Die Befristung sei nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG sachlich gerechtfertigt gewesen. Die Klägerin sei zur Vertretung der erkrankten Mitarbeiterin Frau I. beschäftigt worden. Die Beklagte durfte trotz der schon lang andauernden Arbeitsunfähigkeit von damals bereits über zwei Jahren mit einer Rückkehr von Frau I. an den Arbeitsplatz rechnen. Ihr hätten keine Informationen vorgelegen, aufgrund derer sie erhebliche Zweifel hätte +haben müssen, dass Frau I. überhaupt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren werde. Im Zeitpunkt der letzten Befristungsabrede hätten vielmehr Informationen vorgelegen, die für eine Genesung der Mitarbeiterin gesprochen hätten.
Es könne dahingestellt bleiben, ob der Anspruch nach § 30 Abs. 2 TVöD bestehe. Denn die Norm führe nach ihrem Wortlaut nicht dazu, dass ein kalendermäßig wirksam befristeter Arbeitsvertrag mit sachlichem Grund rechtsunwirksam würde und damit das Arbeitsverhältnis nicht zum Ablauf der Befristung enden lasse.
Das Urteil wurde der Klägerin am 14.12.2011 zugestellt. Sie hat hiergegen am 13.01.2012 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 14.03.2012 innerhalb der bis zum 14.03.2012 verlängerten Berufungsfrist begründet.
Zum 01.11.2011 wurde Frau I. eine Erwerbsminderungsrente auf Zeit bewilligt.
Im Mitteilungsblatt der Verbandsgemeinde C-Stadt schrieb die Beklagte am 21.12.2011 sowie am 18.01.2012 eine Stelle für eine/n Mitarbeiter/in für Sprachförderung mit 22 Stunden pro Woche aus.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe im Zeitpunkt der letzten Befristungsabrede nicht fundiert geprüft, ob im Zeitpunkt des Ablaufs der Sachgrundbefristung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit kein Bedarf mehr an der Weiterbeschäftigung der Ersatzkraft besteht. Für die Oberflächlichkeit der aufgestellten Prognose sprächen bereits die Kettenarbeitsverträge. Zudem habe das Schreiben des Gesundheitsamtes Neuwied vom 05.03.2008 zweieinhalb Jahre später kaum noch Grundlage einer fundierten Prognose sein können. Gerade im Hinblick auf die lange Dauer der Erkrankung von Frau I. wäre die Beklagte - auch aus Fürsorgegründen ihr gegenüber - verpflichtet gewesen, sich vor Abschluss des letzten befristeten Vertrags bei Frau I. bezüglich der weiteren Dauer ihrer Erkrankung zu erkundigen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26.10.2011 - 6 Ca 2367/11 - festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsvereinbarung vom 22.12.2010 am 30.06.2011 endete, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor,
Sie habe von der bewilligten Erwerbsminderungsrente auf Zeit der Frau I. erst nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens am 28.10.2011 Kenntnis erlangt. Auch aus dieser Tatsache ergäbe sich jedoch nicht, dass ihre Prognose aus Dezember 2010 fehlerhaft gewesen wäre.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Feststellungen in den Sitzungsprotokollen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 64 Abs. 2b und 2c ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin war wirksam zum 30.06.2011 befristet worden.
Bei mehreren aneinandergereihten befristeten Arbeitsverträgen ist im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle nur die Befristung des letzten Arbeitsvertrags auf ihre sachliche Rechtfertigung hin zu überprüfen. Dies ist hier der Arbeitsvertrag der Parteien vom 22.12.2010.
Für die Befristung bestand der sachliche Grund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG.
In den Fällen der Vertretung besteht der sachliche Grund für die Befristung darin, dass der Arbeitgeber seinen Arbeitskräftebedarf bereits durch den Arbeitsvertrag mit dem erkrankten Arbeitnehmer abgedeckt hat und deshalb an der Arbeitskraft des Vertreters von vornherein nur ein vorübergehender, zeitlich durch die Rückkehr des Vertretenen begrenzter Bedarf besteht (BAG 23.01.2002 - 7 AZR 440/00 - DB 2002, 1274). Teil des Sachgrundes ist daher eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters. Davon kann grundsätzlich ausgegangen werden, weil in der Regel damit zu rechnen ist, dass der Vertretene nach Beendigung der Freistellung oder Beurlaubung seine arbeitsvertraglichen Pflichten wieder erfüllen wird (BAG 11.12.1991 - 7 AZR 431/90 - zu II 2 a der Gründe, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 141 = EzA BGB § 620 Nr. 110). Auch eine wiederholte Befristung wegen der mehrfachen Verhinderung der zu vertretenden Stammkraft steht der Prognose des künftigen Wegfalls des Vertretungsbedarfs nicht entgegen. Nur wenn der Arbeitgeber im Ausnahmefall aufgrund ihm vorliegender Informationen erhebliche Zweifel daran haben muss, dass die zu vertretende Stammkraft überhaupt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren wird, kann dies dafür sprechen, dass der Sachgrund der Vertretung nur vorgeschoben ist. Dann kann die Befristung unwirksam sein (BAG 23.01.2002 - 7 AZR 440/00 - zu I der Gründe, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 231; 27.06.2001 - 7 AZR 326/00 - zu 2, 4 der Gründe, EzA BGB § 620 Nr. 178; 21.02.2001 - 7 AZR 200/00 - zu II 1 a der Gründe, BAGE 97, 86). Dies setzt voraus, dass der zu vertretende Arbeitnehmer dem Arbeitgeber bereits vor dem Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags mit der Vertretungskraft verbindlich erklärt hat, dass er die Arbeit nicht wieder aufnehmen werde. Ansonsten darf und muss der Arbeitgeber mit dessen Rückkehr an den Arbeitsplatz rechnen (BAG 02.07.2003 - 7 AZR 529/02 - zu I 2 a der Gründe, BAGE 107, 18). Die Prognose des Arbeitgebers muss sich nur auf den Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die zu erwartende Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters, nicht aber auf den Zeitpunkt der Rückkehr und damit auf die Dauer des Vertretungsbedarfs erstrecken (BAG 26.06.1996 - 7 AZR 662/95 - zu I 4 c der Gründe, zitiert nach [...]).
2. Unter Zugrundelegung der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich
die Berufungskammer anschließt, liegt für die am 22.12.2010 vereinbarte Befristung der Sachgrund der Krankheitsvertretung vor. Die durch die Klägerin unmittelbar vertretene Frau I. war bei Abschluss dieses Vertrags erkrankt. Die Beklagte durfte zu diesem Zeitpunkt die Prognose stellen, dass der Vertretungsbedarf ein vorübergehender sein und Frau I. zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft ihre Arbeit wieder aufnehmen werde. Allein die Tatsache, dass Frau I. bereits seit über 2 Jahren arbeitsunfähig erkrankt war, stand der Rückkehrprognose der Beklagten nicht entgegen. Die Beklagte durfte davon ausgehen, dass Frau I. nach ihrer Genesung wieder ihre arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllen werde. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass längere Zeit erkrankte Arbeitnehmer ihre Arbeit überhaupt nicht wieder aufnehmen werden (BAG 21.02.2001 - 7 AZR 200/00 - BAGE 97, 86), zumal für ihre Rückkehr auch das junge Lebensalter der Mitarbeiterin und die der Beklagten vorliegenden schriftlichen Unterlagen - amtsärztliches Attest vom 05.03.2008, die Bescheinigung der Rentenversicherung vom 14.01.2009 und die Mitteilung von Frau I. vom 12.08.2010 - sprachen.
Entgegen der Auffassung der Berufung war die Beklagte rechtlich nicht verpflichtet,
anstelle einer weiteren Befristung für die Klägerin eine krankheitsbedingte Kündigung gegenüber Frau I. auszusprechen. Allein die rechtliche Möglichkeit, nach einer über zweijährigen arbeitsunfähigen Erkrankung eine personenbedingte Kündigung auszusprechen, führt nicht dazu, dass die Vereinbarung einer weiteren Befristung mit der Klägerin als unwirksam zu erachten wäre. Die Beklagte hatte zum Zeitpunkt 22.12.2010 mehrere Handlungsalternativen, unter denen sie frei wählen durfte. Sie hat sich für eine weitere Befristung entschieden. Das ist von der Klägerin hinzunehmen.
Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, vor der Vertragsverlängerung mit der Klägerin
ein Personalgespräch mit der erkrankten Mitarbeiterin über ihre gesundheitliche Entwicklung zu führen (so auch BAG 21.02.2001 - 7 AZR 200/00 - BAGE 97, 86).
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sachgrund der Vertretung nur
vorgeschoben war. Die Beklagte konnte am 22.12.2010 noch keine Kenntnis davon haben, dass Frau I. zu einem späteren Zeitpunkt eine Erwerbsminderungsrente auf Zeit bewilligt wurde. Diese Bewilligung erfolgte erst zum 01.11.2011, also über 10 Monate später. Die Wirksamkeit der Befristungsabrede ist grundsätzlich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beurteilen. Während der Vertragslaufzeit eintretende Änderungen berühren die Wirksamkeit der vereinbarten Befristung grundsätzlich nicht. Die Klägerin behauptet auch nicht, dass die Beklagte über Informationen verfügt hätte, auf Grund derer sich bei Abschluss des befristeten Vertrags Zweifel an der Rückkehr der Frau I. hätten aufdrängen müssen.
III.
Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht ausgeführt, dass sich das Klageziel der Klägerin unter Hinweis auf § 30 Abs. 2 S. 2 TVöD nicht erreichen lässt. Die Klägerin hat sich mit diesen Ausführungen in ihrer Berufungsbegründung nicht mehr auseinander gesetzt und in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, dass sie den geltend gemachten Anspruch nicht mehr auf diese tarifliche Norm stützt. Weitere Ausführungen hierzu erübrigen sich daher.
C.Erweist sich die angefochtene Entscheidung somit als richtig, war die hiergegen
gerichtete Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen angesichts der Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht. Es existiert bereits eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Prognoseentscheidung des Arbeitgebers bei der Vereinbarung einer Befristung aufgrund krankheitsbedingten Vertretungsbedarfs.