· Fachbeitrag · Eheverträge
Ausübungskontrolle ist einer Neubewertung im Rahmen eines Abänderungsverfahrens zugänglich
von RA Dr. Gudrun Möller, FA Familienrecht, Münster
| Der BGH hat darüber entschieden, ob in einem Abänderungsverfahren nach § 238 FamFG die Ausübungskontrolle eines Ehevertrags nach § 242 BGB neu zu bewerten ist. |
Sachverhalt
M und F heirateten 1978. Aus der Ehe gingen zwei 1982 und 1983 geborene Kinder hervor. Die Beteiligten schlossen 1981 einen notariellen Ehevertrag, mit dem sie für den Fall der Trennung oder Scheidung wechselseitig auf jegliche Unterhaltsansprüche verzichteten und den VA ausschlossen. Nach ihrer Trennung schlossen sie 2006 einen weiteren notariellen Ehevertrag. Darin erklärten sie, dass die Vereinbarungen aufrechterhalten bleiben sollten und weiterhin ihrem Willen entsprächen. Ferner vereinbarten sie Gütertrennung, regelten den ZGA und teilten das Vermögen auf. Die Beteiligten sind seit 2010 rechtskräftig geschieden. Der M wurde verurteilt, an die F nachehelichen Unterhalt (Elementar- und Altersvorsorgeunterhalt [AVU]) zu zahlen, der stufenweise herabgesetzt wurde. Auf die Beschwerden der Beteiligten hat das OLG den VA dahin gehend rechtskräftig geregelt, dass ein Teilausgleich der in der Ehezeit erworbenen Anwartschaften i. H. d. ehebedingten Nachteils vorzunehmen sei.
Die 1956 geborene F hat keine Berufsausbildung. Sie war zum Zeitpunkt der Heirat vollschichtig als Verwaltungsangestellte im öffentlichen Dienst erwerbstätig. Nach der Geburt des ersten Kindes kündigte sie. Seit 1992 war sie halbschichtig wieder im öffentlichen Dienst erwerbstätig und stockte ihre Tätigkeit 1999 auf eine 3/4-Tätigkeit auf. Die F bezieht seit 2013 von der Deutschen Rentenversicherung Bund im hier noch streitigen Zeitraum eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, die sich nach erfolgtem VA für den Zeitraum seit September 2016 erhöht hat. Sie bezieht weiter eine Betriebsrente wegen voller Erwerbsminderung von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Der 1955 geborene M ist Angestellter und begehrt, dass der Unterhalt für die Zeit ab August 14 auf null herabgesetzt wird.
Das AG hat den Abänderungsantrag des M zurückgewiesen. Auf den Widerantrag der F, mit dem sie für die Zeit ab April 14 aufgrund ihrer Erwerbsunfähigkeit höheren Unterhalt begehrt, hat es das Urteil des AG zum Teil abgeändert. Das KG hat auf die Beschwerde des M und unter Zurückweisung der Anschlussbeschwerde der F die Entscheidung des AG teilweise zugunsten des M abgeändert. Ferner hat es festgestellt, dass der M ab September 16 keinen nachehelichen Unterhalt mehr schuldet. Hiergegen wendet sich der M mit der Rechtsbeschwerde, mit der er für die Zeit von April bis Juli 14 die vollständige Abweisung des Widerantrags und für die Zeit ab August 14 den vollständigen Wegfall seiner Unterhaltspflicht erreichen will. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das KG, soweit der M die Entscheidung angefochten hat.
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Entscheidungsgründe
Das KG ist nicht gehindert gewesen, den Ehevertrag aus 1981 erneut einer Ausübungskontrolle zu unterziehen.
Zulässigkeit einer Abänderung
Nach § 238 Abs. 1 FamFG kann jeder Teil beantragen, die Hauptsacheentscheidung abzuändern, die eine Pflicht zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen enthält. Der Antragsteller muss Tatsachen vortragen, aus denen sich ergibt, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich verändert haben, die ihr zugrunde lagen. Der Antrag kann nur auf Gründe gestützt werden, die nach Schluss der Tatsachenverhandlung des vorausgegangenen Verfahrens entstanden sind und nicht durch Einspruch geltend gemacht werden konnten oder können, § 238 Abs. 2 FamFG (BGH FamRZ 15, 1694; FK 19, 7).
Das Abänderungsverfahren ermöglicht weder, den Unterhalt frei und unabhängig von der bisherigen Höhe neu festzusetzen noch diejenigen Verhältnisse anders zu beurteilen, die bereits bewertet wurden. Im Abänderungsverfahren bleiben solche im Ausgangsverfahren schon entscheidungserheblichen Umstände unbeachtet, die seinerzeit nicht vorgetragen oder vom Gericht übersehen wurden. Denn es dürfen keine Fehler der rechtskräftigen Entscheidung korrigiert werden. Dem steht die Rechtskraft der Vorentscheidung entgegen, deren Durchbrechung nur insoweit gerechtfertigt ist, als sich die maßgeblichen Verhältnisse nachträglich verändert haben (BGH FamRZ 15, 1694; FK 19, 7).
Die Abänderungsentscheidung passt den Unterhalt an veränderte Verhältnisse an, wobei die Grundlagen des Titels zu wahren sind, § 238 Abs. 4 FamFG. Für das Ausmaß der Abänderung kommt es darauf an, welche Umstände für die Unterhaltsbemessung maßgebend waren und wie gewichtig sie dabei waren. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln. Der Richter muss unter Beachtung der neuen Verhältnisse feststellen, wie sich diese Umstände verändert haben und wie sich dies auf die Unterhaltshöhe auswirkt (BGH FamRZ 15, 1694).
Die Voraussetzungen des § 238 FamFG liegen vor. Die zugrunde liegenden Tatsachen haben sich wesentlich geändert. Dem Ausgangsurteil lag der Antrag auf Aufstockungsunterhalt zugrunde. Nun macht die F wegen ihrer eingetretenen Erwerbsunfähigkeit Unterhalt wegen Krankheit nach § 1572 Nr. 4 BGB geltend.
Begründetheit der Abänderung
Zutreffend hat sich das KG bei der Abänderung an die Bewertungen des Ausgangsurteils bezüglich der Sittenwidrigkeit des Ehevertrags aus 1981 und zur Bedeutung des Ehevertrags aus 2006 gebunden gesehen. Die Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung darf nicht weiter gehen, als es notwendig ist, diese an die veränderten Verhältnisse anzupassen. § 238 FamFG soll weder ermöglichen, den alten Sachverhalt neu zu bewerten noch einen Weg eröffnen, diesen abweichend zu beurteilen. Erst recht kann die Norm nicht die Gelegenheit bieten, gegen den Grund des Anspruchs Einwendungen zu erheben oder diesen sonst neu nachprüfen zu lassen (BGH FamRZ 79, 694, 695; FK 19, 7).
Entgegen der Ansicht des KG kann aber die Ausübungskontrolle nach § 242 BGB des Ehevertrags aus 1981 im Rahmen der Abänderung nach § 238 FamFG neu bewertet werden. Ziel der Rechtsmissbrauchskontrolle (§ 242 BGB) ist allein, ehebedingte Nachteile auszugleichen. Sind solche nicht vorhanden oder vollständig kompensiert, dient diese Kontrolle nicht dazu, dem durch den Ehevertrag belasteten Ehegatten zusätzlich entgangene ehebedingte Vorteile zu gewähren und ihn dadurch besserzustellen, als hätte es die Ehe und die mit der ehelichen Rollenverteilung einhergehenden Dispositionen über Art und Umfang seiner Erwerbstätigkeit nicht gegeben. Maßgeblich ist, ob sich im Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe aus dem vereinbarten Ausschluss der Scheidungsfolge eine evident einseitige, unzumutbare Lastenverteilung ergibt. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn die einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse von der ursprünglichen, dem Vertrag zugrunde liegenden Lebensplanung grundlegend abweicht und dadurch bei dem belasteten Ehegatten ehebedingte Nachteile entstanden sind, die durch den Ehevertrag nicht angemessen kompensiert werden (BGH FamRZ 18, 1415).
Auch wenn für die erstmalige Bewertung eines möglichen Rechtsmissbrauchs der Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe maßgeblich ist, kann sich für einen künftigen Unterhalt durch die weitere Entwicklung ergeben, dass ein späteres Berufen seitens des vom Ehevertrag Begünstigten auf eine entsprechende Regelung i. S. v. § 242 BGB nicht mehr rechtsmissbräuchlich ist. Gleiches gilt bei der Anwendung der Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage, wenn sich die Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse durch die Ehegatten von der ursprünglichen, dem Vertrag zugrunde liegenden Lebensplanung grundlegend unterscheidet (BGH FamRZ 18, 1415; 13, 770). Gründe hierfür können z. B. ‒ wie im Fall des § 1578b BGB ‒ die Dauer der Unterhaltszahlungen sein, dass der vom Vertrag Benachteiligte auf den Unterhalt wegen anderweitiger Vermögenszuwendungen nicht mehr angewiesen ist und dass der verbleibende Unterhaltsbetrag als vergleichsweise gering erscheint. Ferner können eine neue Partnerschaft des Berechtigten oder auch die nicht zweckentsprechende Verwendung des AVU beachtet werden. Ebenso kann Anlass für eine Neubewertung im Rahmen der Ausübungskontrolle sein, dass sich der Unterhaltsberechtigte ‒ wie hier ‒ nun auf einen anderen Unterhaltstatbestand beruft.
Es müssen aber die Voraussetzungen des § 238 FamFG erfüllt sein, um die Ausübungskontrolle nach § 242 BGB bzw. eine entsprechende Vertragsanpassung nach § 313 BGB nun anders zu beurteilen, als dies in der abzuändernden Entscheidung mit Bewilligung eines Unterhalts i. H. d. ehebedingten Nachteile geschehen ist. Das heißt, es müssen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich eine wesentliche Veränderung der der Entscheidung zurunde liegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergibt (BGH FamRZ 15, 1694).
Das KG hätte prüfen müssen, ob der Unterhaltsverzicht nach wie vor einer Ausübungskontrolle (§ 242 BGB) nicht standhält. Hier könnten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass nun kein Rechtsmissbrauch des M vorliegt, soweit er sich darauf beruft. Er zahlt seit 2009 Ehegattenunterhalt; dabei erhielt die F sogar höheren Unterhalt, als ihr nach der BGH-Rechtsprechung zugestanden hätte. Auch wenn diese Entscheidung rechtskräftig und bindend ist, kann der Umfang der Unterhaltsleistung des M bei der Ausübungskontrolle beachtet werden. Hinzu kommt, dass der Elementarunterhalt seit April 14 relativ gering ist. Zudem hat die F einen neuen Partner. Auch wenn der Unterhaltsanspruch nach den Feststellungen des KG nicht gem. § 1579 Nr. 2 BGB verwirkt war, kann eine neue Partnerschaft bei der Ausübungskontrolle anders bewertet werden. Ebenso kann beachtet werden, dass die F den AVU dem KG zufolge nicht verwendungsgemäß angelegt hat. Ferner erhielt sie nach den Feststellungen von der Deutschen Rentenversicherung Bund und von der VBL eine Rentennachzahlung i. H. e. Betrags, der den vom KG zugesprochenen Unterhalt übersteigt. Zudem stützt sich die F nun auf einen anderen Tatbestand, Unterhalt wegen ‒ einer als solcher nicht ehebedingten ‒ Krankheit.
Relevanz für die Praxis
Für die Wirksamkeitskontrolle von Eheverträgen sind nach § 138 BGB die bei Vertragsabschluss vorliegenden individuellen Verhältnisse der Ehegatten maßgebend. Insoweit greift im Abänderungsverfahren die Bindungswirkung. Ist der Vertrag wirksam, ist im Wege der Ausübungskontrolle gem. § 242 BGB zu prüfen, ob und inwieweit die Berufung auf den Ausschluss gesetzlicher Scheidungsfolgen missbräuchlich erscheint. Maßgeblich sind die im Zeitpunkt des Scheiterns der Lebensgemeinschaft bestehenden Verhältnisse (BGH 11.2.04, XII ZR 265/02, Abruf-Nr. 040581). Nach Ansicht des BGH können sich für einen künftigen Unterhalt aber die Verhältnisse derart ändern, dass es nicht mehr rechtsmissbräuchlich i. S. v. § 242 BGB ist, wenn sich der begünstige Ehegatte später ‒ losgelöst vom Zeitpunkt des Scheiterns der Lebensgemeinschaft ‒ unter den Voraussetzungen des § 238 FamFG auf eine entsprechende Regelung beruft. Zu prüfen ist, ob ehebedingte Nachteile weiterhin auszugleichen sind. Der BGH hat dazu einige wichtige Prüfungspunkte vorgegeben:
Checkliste / Prüfpunkte der Wirksamkeitskontrolle, § 242 BGB |
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