14.12.2010
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 13.04.2010 – 5 Sa 412/09
1. Arbeitnehmer sollen durch die Alterssicherung gemäß § 9 Manteltarifvertrag für die Metallindustrie Hamburg/Schleswig-Holstein (MTV) vor Verdiensteinbußen aufgrund altersbedingter Leistungsabnahme geschützt werden, nicht aber vor allgemeinen künftigen Lohnabsenkungen (BAG Urt. v. 08.11.2006 - 4 AZR 608/05).
2. Allgemeine Änderungen der Entlohnungsgrundsätze können sich nur dann zulasten der erworbenen Verdienstsicherung eines älteren Arbeitnehmers auswirken, wenn sie keinen leistungsbezogenen Charakter haben.
3. Falls leistungsbezogene Parameter eines Prämienlohnsystems geändert werden, ist nicht auszuschließen, dass Verdiensteinbußen älterer Arbeitnehmer auch auf altersbedingter Leistungsabnahme beruhen, sodass der Verdienstsicherungsschutz des § 9 MTV greift.
In dem Rechtsstreit
pp.
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 13.04.2010 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 10. September 2009, Az. 2 Ca 343 c/09, abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 3.503,73 € brutto zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. März 2003 zu zahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger die tarifliche Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer nach dem Manteltarifvertrag für die Metallindustrie in Hamburg/Schleswig-Holstein (MTV) zusteht.
Der am ....1947 geborene Kläger ist seit dem 01.04.1975 bei der Gemeinschuldnerin, der Fa. S. GmbH, beschäftigt. Mit Wirkung ab dem 01.10.2007 wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte führt den Betrieb fort. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für die Metallindustrie Anwendung.
Die tarifliche Verdienstsicherung in § 9 MTV für ältere gewerbliche Arbeitnehmer lautet:
"§ 9 Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer
1. Gewerbliche Arbeitnehmer
1.1 Anspruchsvoraussetzungen Arbeitnehmer, die im 55. Lebensjahr stehen oder älter sind und dem Betrieb oder dem Unternehmen mindestens 5 Jahre angehören, haben eine Verdienstsicherung nach folgenden Bestimmungen:
1.2 Berechnungsgrundsatz Für die nachfolgenden Bestimmungen gelten bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes die jeweiligen gültigen Bestimmungen des Manteltarifvertrages. Bei tariflichen Lohnerhöhungen im Berechnungszeitraum ist vom erhöhten Verdienst auszugehen. Zukünftige Tariflohnerhöhungen sind entsprechend zu berücksichtigen.
1.3 Zeitlohnarbeiter Zeitlohnarbeiter haben einen Anspruch auf ihren Durchschnittsstundenverdienst, errechnet aus den letzten 12 abgerechneten Kalendermonaten.
1.4 Leistungslohnarbeiter
1.4.1 Akkordlohnarbeiter Bei Umstellung auf den Entlohnungsgrundsatz Zeitlohn, wird der Verdienst nach 1.2 berechnet mit der Maßgabe, dass der durchschnittliche Zeitgrad der letzten 36 abgerechneten Kalendermonate zugrunde gelegt wird.
Bei Weiterbeschäftigung im Akkordlohn richtet sich der Verdienst nach dem persönlich erbrachten Zeitgrad, jedoch mindestens nach dem durchschnittlichen Zeitgrad gemäß Absatz 1.
1.4.2 Sonstige Leistungslohnarbeiter Bei sonstigen Leistungslohnarbeitern ist 1.4.1 entsprechend anzuwenden.
1.5 Erlöschen des Anspruchs Der Anspruch auf Verdienstsicherung nach den Ziffern 1.2 bis 1.4 erlischt mit dem Zeitpunkt, zu dem aus der gesetzlichen Rentenversicherung ein Antrag auf Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente begründet gestellt werden kann bzw. auf Altersruhegeld (auch vorgezogen) gestellt ist, oder Anspruch auf Altersruhegeld ab Vollendung des 65. Lebensjahres besteht. Wird dem Antrag zu einem späteren als dem Termin der Antragstellung stattgegeben, erfolgt bis zum Zeitpunkt des Rentenanspruchs die Nachzahlung bis zur Höhe der Verdienstsicherung."
Nach dem im Oktober 1997 eingeführten Prämienlohnsystem setzte sich der Prämienlohn des Klägers wie folgt zusammen:
Formen zusammen bauen (geleistete Stunden x Stundenlohn) darauf:
12 % Qualifikationszulage
30 % Leistungszulage HF (Handformerei)
6,26 % Qualitätsprämie HF
Hiernach konnte der Kläger eine maximale Vergütung in Höhe von 148,26 % des tariflichen Grundlohns erreichen.
Am 11.12.2002 schlossen die Betriebsparteien der Gemeinschuldnerin die Betriebsvereinbarung Nr. 07/2002 ab, die für die Mitarbeiter im gewerblichen Bereich mit Ausnahme der Zeitlöhner ab dem 01.01.2003 einen Prämienlohn an Stelle der bisher geltenden Entlohnungsformen vorsieht (Betriebsvereinbarung Prämienlohn = BV-Prämienlohn; Bl. 47 ff d. A.). Die Zusammensetzung des Prämienlohns ist in Nr. 3 BV-Pämienlohn geregelt:
"Der Prämienlohn setzt sich zusammen
aus dem Grundlohn entsprechend der jeweiligen tariflichen Lohngruppe gemäß § 3 LRTV Schleswig-Holstein,
aus einer Grundprämie von 16 % des jeweiligen Grundlohns,
aus einer Qualitätsprämie in Höhe von 4 % bis maximal 12 % des jeweiligen Grundlohns,
aus einer Leistungsprämie in Höhe von 4 % bis maximal 12 % des jeweiligen Grundlohns.
Die genaue Ermittlung der einzelnen Prämien ergibt sich aus der Anlage 1, die Gegenstand dieser Betriebsvereinbarung ist."
Ein gewerblicher Arbeitnehmer - mit Ausnahme der Zeitlöhner - kann hiernach insgesamt eine Vergütung von 140 % des Grundlohns erreichen. In der Anlage 1 zur BV-Prämienlohn ist ausgeführt, dass sich die Leistungsprämie aus den Leistungsstufen des Rohgussverkaufswertes in EUR pro Mitarbeiteranwesenheitsstunde ergibt. Die Qualitätsprämie errechnet sich nach der prozentualen Höhe des Gesamtausschusses, also der Summe des im Berichtsmonat angefallenen Betriebsausschusses und registrierten Rückgabeausschusses. Zum Ausgleich der Differenz zwischen dem bisherigen Verdienst und dem nach der BV-Prämienlohn erzielten Prämienlohn wurden gemäß Nr. 5 BV-Prämienlohn Ausgleichszahlungen geleistet, die schrittweise mit 20 % jährlich abgebaut wurden, sodass die Ausgleichszahlungen mit Ablauf des Jahres 2007 endeten.
Der Kläger erreichte die tarifliche Alterssicherung am 28.02.2002, mithin vor Inkrafttreten der BV-Prämienlohn. Der Beklagte errechnete für den Kläger als Leistungslöhner eine Alterssicherung in Höhe von 147,31 % des tariflichen Monatsgrundlohnes. Der tarifliche Grundlohn betrug im Zeitraum Oktober 2007 bis Mai 2008 für den Kläger 2.099,17 EUR brutto. Ab Juli 2008 bis Dezember 2008 wurde der tarifvertragliche Monatsgrundlohn auf 2.134,86 EUR brutto erhöht.
Mit Schreiben vom 18.01.2008 beanspruchte der Kläger von dem Beklagten Zahlung der tarifvertraglichen Alterssicherung. Mit Schreiben vom 12.02.2008 übersandte der Beklagte dem Kläger eine "Gegenüberstellung altersgesicherter Verdienst zum tatsächlichen Verdienst" und teilte mit, dass sein tatsächlicher Lohn die Alterssicherung übersteige, sodass seinerseits kein Anspruch bestehe (Bl. 30 f. d. A.). Auf das weitere Anspruchsschreiben des Klägers vom 07.10.2008 erwiderte der Beklagte unter Bezugnahme auf eine Gegenüberstellung für die Zeit von Oktober 2007 bis August 2008, dass der altersgesicherte Betrag für den Monat August 2008 mit der September-Abrechnung 2008 gezahlt werde (Bl. 28 f. d. A.). Ausweislich dieser Gegenüberstellung (Bl. 29 d. A.) sowie der zu den Akten gereichten Abrechnungen zog die Beklagte von dem von ihr selbst errechneten altersgesicherten Betrag jeweils den Gesamt-Bruttobetrag inklusive etwaiger Überstundenvergütung nebst Zuschlägen und des Arbeitgeberanteils zur VWL ab. Mit weiterem Schreiben vom 20.11.2008 machte der Kläger nochmals Differenzbeträge zwischen seinem altersgesicherten Verdienst und seinem tatsächlichem Verdienst geltend und bezifferte diese für die Zeit von Oktober 2007 bis August 2008 auf insgesamt € 2.651,90 brutto (Bl. 24-27 d. A.). In der beigefügten Tabelle (Bl. 27 d. A.) brachte er von dem altersgesicherten Betrag die Lohnarten Nrn. 1001, 1015, 1622, 1650, 1655, 2020, 2029, 2045, 2046, 2047 und 4081 in Abzug.
Mit seiner vor dem Arbeitsgericht am 10.03.2009 erhobenen Zahlungsklage hat der Kläger für den Zeitraum von Oktober 2007 bis Dezember 2008 den von ihm nunmehr errechneten Bruttodifferenzbetrag in Höhe von 3.503,73 EUR geltend gemacht (Bl. 21 d. A.). Zudem hat er die Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes in Höhe von restlichen 282,35 EUR brutto beansprucht.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten,
ihm stehe ein Anspruch auf Zahlung der Verdienstsicherung nach Maßgabe des Manteltarifvertrages zu. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich der jetzt gezahlte verringerte Lohn gegebenenfalls aus seiner verminderten Leistungsfähigkeit ergebe. Zudem könnten nur bestimmte Zahlungen des verdienten Entgelts mit dem Anspruch auf Verdienstsicherung verrechnet werden. Der Beklagte habe die Höhe der Alterssicherung durch seine Schreiben vom 12.02.2008 und 07.10.2008 anerkannt. Die von dem Beklagten für vier Monatszeiträume zu seinen Gunsten errechneten Differenzbeträge habe er unstreitig erhalten. Neben dem Differenzbetrag über € 3.503,73 brutto stehe ihm zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von € 282,35 brutto zu.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3.786,08 EUR brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 % -Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten,
der Kläger habe überhaupt keinen Anspruch auf den altersgesicherten Lohn. Bei der Einführung des Prämienlohnes habe es sich um eine allgemeine Lohnabsenkung gehandelt, die nicht von § 9 MTV umfasst werde. Der Kläger sei vor einer allgemeinen Lohnabsenkung nicht geschützt. Weder die Qualitäts- noch die Leistungsprämie seien tatsächlich auf die Leistung des Klägers bezogen. Die Leistungsprämie sei insbesondere von der Preisentwicklung bei den Rohstoffen abhängig.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands, insbesondere des streitigen Parteivorbringens wie er in der ersten Instanz vorgelegen hat, sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage mit Urteil vom 10.09.2009 in vollem Umfang abgewiesen. § 9 MTV schütze vor Verdiensteinbußen aufgrund altersbedingter Lohneinbußen, nicht hingegen vor allgemeinen künftigen Lohnabsenkungen. Lohnkürzungen, die nicht vom Alter und der Leistungsfähigkeit abhingen, müsse der verdienstgesicherte Arbeitnehmer ebenso hinnehmen wie alle anderen Arbeitnehmer. Der Anwendbarkeit des geänderten Prämienlohnsystems stehe nicht entgegen, dass eine eventuelle altersgeminderte Leistungsminderung des Klägers die Höhe des Prämienlohnes mitbestimmen könnte. Eine mittelbare Auswirkung einer eventuell auf eine geminderte Leistung des Klägers zurückzuführende Prämienlohnberechnung genüge vorliegend nicht, um den Kläger von der Anwendbarkeit des neuen Prämienlohnsystems auszunehmen. Die sogenannte Leistungsprämie nach dem Prämienlohnsystem sei keine Prämie, die unmittelbar auf der Arbeitsleistung des Klägers beruhe, sondern sei betriebsbezogen abgelegt. Die Prämienhöhe werde wesentlich von außerbetrieblichen Faktoren, wie z. B. dem Preis des Rohgusses, bestimmt. Der Beklagte habe mit seinem Schreiben vom 07.10.2008 dem Kläger die Zahlung des altersgesicherten Verdienstes zwar zugestanden, indessen sei hierin kein abstraktes Schuldanerkenntnis zu erblicken.
Gegen dieses ihm am 06.10.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.10.2009 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Berufung eingelegt und diese am 04.12.2009 begründet.
Der Kläger trägt vor,
der Beklagte habe die Ansprüche auf tarifliche Alterssicherung mit dem Schreiben vom 07.10.2008 anerkannt. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht und ohne Begründung die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Schuldanerkenntnisses abgelehnt. Der Beklagte habe die Höhe der Alterssicherung richtig berechnet und hernach auch teilweise Differenzbeträge gezahlt. Hierin liege ein Anerkenntnis. Selbst bei einer irrtümlich falschen Rechtsauffassung sei im Rechtsverkehr jede Partei verpflichtet, vor Abgabe von Erklärungen den eigenen Standpunkt zu überprüfen. Ungeachtet dessen stehe ihm der altersgesicherte Verdienst gemäß § 9 MTV aber auch zu. Das Arbeitsgericht habe sich allein auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 08.11.2006, Az. 4 AZR 608/05, bezogen, ohne sich intensiver mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11.11.1997, Az. 3 AZR 675/96, auseinanderzusetzen. Nach letzterer Entscheidung führe bereits die Möglichkeit einer leistungsgeminderten Lohnkürzung zu einem altersgesicherten Verdienst. Selbst wenn sich im Falle des Zusammentreffens mehrerer Ursachen nicht explizit feststellen lasse, ob die konkrete Lohnkürzung auf das geminderte Leistungsvermögen des Arbeitnehmers zurückzuführen sei, sei von einem Anspruch auf die Verdienstsicherung auszugehen.
Der Kläger hat im Berufungstermin die Berufung - soweit sie sich auch gegen den erstinstanzlich abgewiesenen Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von € 282,35 brutto bezieht, zurückgenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 10. September 2009, Az. 2 Ca 343 c/09, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 3.503,73 brutto zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt
das angefochtene Urteil. Die Leistungsprämie nach dem neuen Prämiensystem sei betriebsbezogen und nicht mitarbeiterbezogen. Die gesamte Betriebsleistung fließe in die Berechnung des Prämienlohnes ein. Darüberhinaus sei der Prämienlohn auch von dem allgemeinen Rohgussverkaufswert und damit von den Preisen am Weltmarkt abhängig. Da das Prämienlohnsystem zum einen betriebsbezogen sei und zum anderen von externen, nicht durch Leistung der einzelnen Mitarbeiter zu beeinflussenden Größen (Rohgussverkaufswert) abhänge, bestehe kein Risiko altersbedingter Verdiensteinbußen. Insbesondere bei der Leistungsprämie komme es nur auf die Mitarbeiteranwesenheitsstunden, bezogen auf den Gesamtbetrieb, an. Geringe Anwesenheitsstunden einzelner Mitarbeiter wirkten sich solidarisch auf die Prämie aller Mitarbeiter aus. Soweit bei geringeren Anwesenheitsstunden ein höherer Rohgussverkauf stattfinde, steige der Prämienlohn sogar. Auch die Qualitätsprämie dürfte einem älteren Mitarbeiter eher entgegen kommen, da dieser aufgrund seiner Erfahrungen einen geringen Ausschuss haben dürfte. Zudem sei auch hier der Gesamtausschuss sämtlicher Mitarbeiter maßgeblich. Der Anspruch sei aber auch nicht durch die vorgerichtliche Korrespondenz anerkannt worden. Er, der Beklagte, habe mit Schreiben vom 10.07.2008 bereits darauf hingewiesen, dass es sich bei der BV-Prämienlohn um eine allgemeine Lohnabsenkung handele, vor der § 9 MTV nicht schütze. Vorsorglich bestreitet der Beklagte die Höhe des geltend gemachten Anspruchs. Der Kläger gehe bereits von der falschen Prämisse aus, dass die Einführung des Prämienlohns beim Kläger nicht zu einer Lohnabsenkung geführt habe. Die weiteren Berechnungen des Klägers seien deshalb nicht zutreffend.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 13.04.2010 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist dem Beschwerdewert nach statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 64 Abs. 2 lit. b; 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg, sie ist begründet.
Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten für den Zeitraum von Oktober 2007 bis Dezember 2008 Anspruch auf Differenzvergütung zu der tariflichen Alterssicherung gemäß § 9 MTV in Höhe von insgesamt € 3.503,73 brutto. Der Anspruch besteht sowohl dem Grunde (I.) als auch der Höhe (II.) nach.
I. Dem Kläger steht die Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer gemäß § 9 MTV zu.
1. Am ....2002 vollendete er das 55. Lebensjahr und war zu dem Zeitpunkt länger als fünf Jahre in dem von dem Beklagten weitergeführten Betrieb der Gemeinschuldnerin beschäftigt. Der Kläger erfüllt mithin für den streitgegenständlichen Zeitraum (Oktober 2007 bis Dezember 2008) die Voraussetzungen des § 9 Nr. 1.1. MTV. Der Beklagte errechnete für den Kläger gemäß § 9 Nr. 1.4.2 i. V. m. Nr. 1.4.2 MTV als Berechnungsgrundlage für die Alterssicherung für den Bezugszeitraum von drei Jahren vor Beginn der Alterssicherung einen Zeitgrad von 147,31 %. Hiergegen erhebt der Kläger keine Einwände. Für die Monate Oktober 2007 bis Mai 2008 ergibt sich ein rechnerisch unstreitiger altersgesicherter Verdienst in Höhe von monatlich € 3.092,29 brutto und für die Monate Juni bis Dezember in Höhe von monatlich € 3.144,86 brutto.
2. Diese Verdienstsicherung des Klägers ist entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht durch Inkrafttreten der BV-Prämienlohn zum 01.01.2003 weggefallen.
a) Das Arbeitsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger durch die Alterssicherung gemäß § 9 MTV vor Verdiensteinbußen aufgrund altersbedingter Leistungsabnahme geschützt werden soll, nicht aber vor allgemeinen künftigen Lohnabsenkungen. Nach § 9 Nr. 1 MTV Ist der Anspruch auf Verdienstsicherung nicht von der allgemeinen Entwicklung der Entlohnung im Betrieb abgekoppelt. Vielmehr ist die Verdienstsicherung dynamisiert. Zukünftige Tariflohnerhöhungen sind nach § 9 Nr. 1.2 Satz 3 MTV zu berücksichtigen. Grundsätzlich können sich deshalb auch nachteilige Änderungen der allgemeinen Entlohnungssätze auf die Ansprüche der verdienstgesicherten Arbeitnehmer auswirken. Entsprechendes gilt bei einer Prämienentlohnung für die Einführung von Obergrenzen oder die Absenkung dieser Grenzen (BAG Urt. v. 11.11.1997 - 3 AZR 675/96 -, AP Nr. 12 zu § 4 TVG 'Verdienstsicherung'). Der ältere Arbeitnehmer wird nach § 9 MTV nur vor altersbedingten Einkommensrisiken geschützt. Insoweit wird sein bisheriger Lebensstandard aufrechterhalten und der Besitzstand gewahrt. Arbeitsrechtlich zulässige allgemeine Lohnkürzungen, die nicht vom Alter und der Leistungsfähigkeit abhängen, muss der verdienstgesicherte Arbeitnehmer ebenso hinnehmen wie alle anderen Arbeitnehmer, auch wenn sich hierfür im Tarifwortlaut keine Anhaltspunkte finden (BAG Urt. v. 08.11.2006 - 4 AZR 608/05 -, DB 2007, 2151 f.; vgl. BAG 11.11.1997 - 3 AZR 675/96 -, aaO.; BAG Urt. v. 16.05.1995 - 3 AZR 627/94 -, AP Nr. 8 zu § 4 TVG 'Verdienstsicherung; BAG Urt. v. 07.02.1995 - 3 AZR 402/94 -, AP Nr. 6 zu § 4 TVG 'Verdienstsicherung', jeweils zu § 9 MTV Hamburg/Schleswig-Holstein; vgl. auch BAG Urt. v. 16.06.2004 - 4 AZR 408/03 -, BAGE 111, 108, 119 und BAG Urt. v. 15.09.2004 - 4 AZR 416/03 -, AP Nr. 191 zu § 1 TVG 'Tarifverträge: Metallindustrie', jeweils zur Alterssicherung in § 6 Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden).
b) Die Anwendung dieser Grundsätze führt im vorliegenden Fall weder zu einem vollständigen Wegfall noch zu einer Kürzung der vom Kläger erworbenen tariflichen Alterssicherung. Die Einführung der BV-Prämienlohn zum 01.01.2003 konnte die erreichte Alterssicherung des Klägers nicht beeinträchtigen, da sie gegenüber dem vorherigen Prämiensystem nicht nur zu einer Absenkung des allgemeinen Lohnniveaus führt, sondern auch leistungsbezogene Änderungen aufweist. Allgemeine Änderungen der Entlohnungsgrundsätze können sich nur dann zulasten der erworbenen Verdienstsicherung eines älteren Arbeitnehmers auswirken, wenn sie keinen leistungsbezogenen Charakter haben (BAG Urt. v. 08.11.2006, aaO., Rn. 20).
Dies ist aber vorliegend nicht der Fall. Die Betriebsparteien haben mit der BV-Prämienlohn nicht nur die Prozentsätze des bisherigen Prämiensystems abgesenkt, die zu - auch von verdienstgesicherten Arbeitnehmern hinzunehmenden Lohnkürzungen - führen können, sondern ein vollständig anderes Prämienlohnsystem aufgestellt. Entgegen der Auffassung des Beklagten, ist das neue Prämienlohnsystem nicht ausschließlich betriebsbezogen und durch außerbetriebliche Faktoren (Rohgussverkaufswert) bestimmt. Vielmehr enthalten sowohl die Leistungsprämie als auch die Qualitätsprämie leistungsbezogene Parameter, die gegenüber dem bis dato geltenden Prämienlohnsystem nicht nur quantitativ, sondern qualitativ abgeändert worden sind.
aa) Der zu zahlende Prozentsatz der Leistungsprämie errechnet sich aus dem Rohgussverkaufswert dividiert durch die Mitarbeiteranwesenheitsstunden. Der Beklagte räumt in der Berufungserwiderung auch ein, dass geringe Anwesenheitsstunden einzelner Mitarbeiter sich "solidarisch" auf die Prämie aller Mitarbeiter auswirken. Die Leistungen des Klägers, respektive dessen Anwesenheitszeiten, bestimmen die für die Berechnung zugrunde zu legenden betriebsbezogenen Mitarbeiteranwesenheitsstunden mit. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Höhe der Leistungszulage ebenfalls von dem vom Kläger und den übrigen Arbeitnehmern nicht zu beeinflussenden Rohgussverkaufswert abhängig ist. Gerade an Hand der Beispielsberechnung der Anlage 2 zur BV-Prämienlohn (Bl. 50 d. A.) wird deutlich, dass hohe Mitarbeiteranwesenheitszeiten (Beispiel: Juli 2002) sich positiv auf die Stufe der Leistungsprämie auswirken können. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass geringe Anwesenheitsstunden durch einen höheren Rohgussverkaufspreis ausgeglichen werden können, sodass in diesem Fall der Prämienlohn sogar steigen kann. Denn maßgeblich für den Erhalt der Verdienstsicherung nach § 9 MTV ist, dass sich die Leistungsfähigkeit des Klägers und etwaige altersbedingte Schwächen auf das Arbeitsergebnis und damit auf die Entlohnung auswirken können.
bb) Auch die neue Qualitätsprämie hat eindeutig leistungsbezogenen Charakter. Je geringer der Gesamtausschuss in Prozent (Betriebsausschuss in Prozent + Rückgabeausschuss in Prozent) desto höher fällt die Qualitätsprämie aus. Je sorgfältiger die Arbeitnehmer arbeiten desto weniger Ausschuss produzieren sie und desto weniger reklamationsbedingter Rückgabeausschuss fällt an und desto höher fällt dann die Qualitätsprämie für alle aus. Jeder einzelne Arbeitnehmer - so auch der Kläger - trägt mithin mit seiner individuellen Leistung zur Höhe der Qualitätsprämie bei. Es ist dem Beklagten zwar zuzugeben, dass sich die Qualitätsprämie solidarisch am Gesamtausschuss sämtlicher Mitarbeiter orientiert. Damit hängt die an den Kläger zu zahlende Qualitätsprämie indessen zumindest mittelbar auch von dessen individueller Leistungsfähigkeit ab. Es ist mithin nicht auszuschließen, dass altersbedingte Leistungsschwächen des Klägers sich auf die Höhe der Qualitätsprämie auswirken. Wie stark die Auswirkungen sind, hängt u. a. von dem Verhältnis des Ausschusses zur Bruttoproduktion bzw. dem Rückgabeausschuss zum Rohgussverkaufswert und damit der Leistungsfähigkeit aller Arbeitnehmer ab und wie stark sich die Leistung des Klägers von derjenigen der übrigen Arbeitnehmer unterscheidet und ob ggf. altersbedingte Leistungsdefizite des Klägers durch eine höhere Leistungsfähigkeit anderer Arbeitnehmer kompensiert werden können.
Die Ursachen der Verdiensteinbußen des Klägers lassen sich nicht zuverlässig auf einzelne Faktoren/Ursachen (allgemeine Absenkung des Lohnniveaus, Höhe des Rohgussverkaufswertes, Anzahl der Mitarbeiteranwesenheitsstunden, Höhe des Betriebsaus- und Rückgabeausschusses) zurückführen. Falls leistungsbezogene Parameter eines Prämienlohnsystems - wie vorliegend - geändert werden, ist nicht auszuschließen, dass Verdiensteinbußen älterer Arbeitnehmer auch auf altersbedingter Leistungsabnahme beruhen, sodass der Verdienstsicherungsschutz des § 9 MTV greift. Für den Kläger bestand nach der neuen Entlohnungsmethode jedenfalls ein mehr oder weniger großes Risiko, altersbedingte Verdiensteinbußen hinnehmen zu müssen. Gerade einer derartigen Gefahr will die Verdienstsicherung nach § 9 MTV vorbeugen. Deshalb enthält der MTV keine besonderen Regelungen für den Fall, dass sich nach Eintritt der Verdienstsicherung die Berechnung für einzelne Lohnbestandteile - wie vorliegend - ändert. Infolgedessen bleibt es bei dem Grundsatz, dass nachträgliche Änderungen der Entlohnungsmethoden, in denen sich ein altersbedingter Leistungsabfall auswirken kann, keinen Einfluss auf die Höhe der Verdienstsicherung hat (BAG Urt. v. 11.11.1997 - 3 AZR 675/96 -, aaO., Rn. 18).
II. Dem Kläger steht die eingeklagte Differenzvergütung über insgesamt € 3.503,73 brutto auch der Höhe nach zu.
Der Kläger hat die Differenzbeträge zutreffend berechnet, insbesondere von dem ihm zustehenden Alterssicherungsbetrag (€ 3.092,29 bzw. seit Juni 2008: € 3.144,86) die an ihn gezahlten und auch anzurechnenden Lohnbestandteile in Abzug gebracht. Der Kläger hat die Berechnung in der Tabelle zur Klagschrift (Bl. 21 d. A.) in sich schlüssig dargelegt und in der Berufungsverhandlung nochmals erläutert. Der hierin aufgeführte Anrechnungsbetrag ist unter den Kennzeichnungszahlen der Lohnarten nochmals für jeden Monat aufgeschlüsselt worden. Hierbei handelt es sich um folgende Lohnarten:
1001 Kürzung Mo-Lo
1015 Feiertagslohn
1622 Urlaubslohn
1650 Entschuldigt krank
1655 Lohnfortzahlung
2020 Monatslohn
2029 Gießereizulage
2045 Grundprämie
2046 Leistungsprämie
2047 Qualitätsprämie
4081 Einmalbetrag
Der Beklagte geht auf diese substantiierte Berechnungsweise nicht in erheblicher Weise ein. Vielmehr beschränkt er sich darauf, den Anspruch des Klägers auf ungekürzten altersgesicherten Verdienst insgesamt zu negieren (Ziff. 3 des Schriftsatzes vom 03.07.2009, Ziff. IV der Berufungserwiderung vom 06.01.2010). In seiner eigenen tabellarischen Gegenüberstellung zu den außergerichtlichen Schreiben vom 12.02.2008 und 07.10.2008 hat der Beklagte demgegenüber undifferenziert den monatlichen gesamten tatsächlichen Bruttoverdienst inklusive Überstundenvergütung (1004), Überstundenzuschlag (1201), altersgesichertem Verdienst (2001), Arbeitgeberanteil zur VWL (3100), Einmalzahlung Treueprämie (4130) sowie Jahressonderzahlung (4401) in Abzug gebracht, sodass er in unzulässiger Weise geschlussfolgert hat, dass der tatsächlich gezahlte Prämienlohn den altersgesicherten Verdienst in der überwiegenden Anzahl der Monate überstiegen habe. Auf den substantiierten Vortrag des Klägers, insbesondere auf Seiten 4 bis 6 des Schriftsatzes vom 28.05.2009 ist der Beklagte nicht eingegangen, sodass die Berechnung der Höhe des Klaganspruches als zugestanden angesehen werden muss.
III. Nach alledem war auf die noch rechtshängige Berufung, der Klage auf Zahlung der altersgesicherten Differenzbeträge stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.