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  • · Fachbeitrag · Familie und Arzt

    Medizinrecht in der familienrechtlichen Beratung

    von RA Dr. Robert Kazemi, Bonn

    | Das Medizinrecht hat sich in den vergangenen Jahren zu einer eigenen Spezialdisziplin gewandelt. Vornehmlich stehen das (ärztliche) Haftungsrecht und Probleme auf der Leistungserbringerseite im Fokus. Gleichwohl sieht sich auch der Familienrechtler häufig mit medizinrechtlich geprägten Fragen konfrontiert. Doch in vielen dieser Fällen erscheint die Hinzuziehung eines spezialisierten Kollegen - aus Zeit- oder Kostengründen - übertrieben. Der nachfolgende Beitrag beleuchtet häufig auftretende Problemlagen auf der Schnittstelle zwischen Medizin- und Familienrecht. |

    1. Ärztliche Schweigepflicht gegenüber Familienangehörigen

    Die ärztliche Schweigepflicht gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB gilt grundsätzlich gegenüber jedermann, also auch gegenüber Familienangehörigen und Ehegatten des Patienten. Die Schweigepflicht erstreckt sich nicht nur auf die erhobenen medizinischen Befunde, die Diagnose und die Therapie. Vielmehr unterliegt ihr bereits der Umstand, dass ein Patient beim Arzt war.

     

    a) Gegenüber dem Ehegatten

    Dies hat zur Folge, dass der Arzt seine Liquidation mit entsprechender Diagnose nur an seinen Patienten und nicht etwa an den hauptversicherten Ehegatten senden darf. Wenn der Arzt im Rahmen der Behandlung etwa zu der Erkenntnis gelangt, dass der Patient ein Alkohol- oder Drogenproblem hat, ist er grundsätzlich nicht berechtigt, Familienangehörige hierüber zu informieren. Hinsichtlich einer HIV-Infizierung beziehungsweise AIDS-Erkrankung eines Patienten besteht jedoch für den Arzt an dessen Intimpartner eine vertraglich begründete Mitteilungspflicht, wenn auch dieser/diese Patient/in des Arztes ist (OLG Frankfurt NJW 00, 875 m.w.N.).

     

    b) In Bezug auf minderjährige Kinder

    Die Schweigepflicht des Arztes gilt auch in Bezug auf Minderjährige. Hier kann der Arzt verpflichtet sein, das Patientengeheimnis gegenüber den Erziehungsberechtigten zu wahren. Der Umfang der Schweigepflicht beurteilt sich bei der Behandlung Minderjähriger nach deren Einsichtsfähigkeit:

     

    • Regelmäßig wird bei Jugendlichen unter 14 Jahren noch keine Einsichtsfähigkeit angenommen. Der behandelnde Arzt ist daher berechtigt, die Eltern in vollem Umfang über Behandlungsergebnisse zu unterrichten.

     

    • Bei Minderjährigen über 14 Jahren ist das Patientengeheimnis jedoch in der Regel zu beachten (BayObLGZ 85, 53).

     

    Eine Ausnahme von der Schweigepflicht in Bezug auf Minderjährige findet sich im Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG). Das KKG verfolgt das Ziel, das Kindeswohl zu schützen und trat am 1.1.12 in Kraft.

     

    Ärzte, Psychologen und andere Berufsgeheimnisträger nach § 4 KKG können ausnahmsweise Behandlungsinformationen an das Jugendamt ohne Kenntnis der Eltern und/oder des Kindes übermitteln. Voraussetzung ist, dass gewichtige Anhaltspunkte einer Kindeswohlgefährdung bekannt werden und nur die Informationsweitergabe an das Jugendamt ohne vorherigen Hinweis an die Betroffenen den Schutz des Kindes gewährleistet, § 4 Abs. 3 KKG. Diese Regelung bezweckt größere Handlungssicherheit in der Praxis, sodass der Geheimnisträger in seiner Beurteilung frei ist und bei der Informationsweitergabe nicht unbefugt nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB handelt.

    2. Aufklärungspflicht/Einwilligungsfähigkeit des Patienten

    Ein weiterer bedeutsamer Aspekt ergibt sich aus der Frage, wer Adressat der Aufklärung und Träger der Einwilligungsbefugnis ist. Anders als für den Abschluss des Behandlungsvertrags ist diese Frage nicht unter Zugrundelegung der eindeutigen gesetzlichen Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit zu beantworten. Die Einwilligung in eine Behandlung stellt sich gerade nicht als rechtsgeschäftliche Willenserklärung dar. Die Einwilligungsfähigkeit hängt von der geistigen Reife, mithin von der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten ab. Es kann auf die Ausführungen unter 1.b) verwiesen und angenommen werden, dass diese Fähigkeit bei Minderjährigen unter 14 Jahren in der Regel nicht gegeben ist. Aufklärungsadressaten und Zustimmungsträger sind dann die gesetzlichen Vertreter.

    3. Honorarhaftung des Ehegatten ist begrenzt

    Verstärkt durch die ärztliche Schweigepflicht findet § 1357 Abs. 1 BGB im Arzt-Patienten-Verhältnis nur beschränkt Anwendung. Eine Mithaftung des Ehegatten kommt nur bei unaufschiebbaren und sachlich gebotenen medizinischen Leistungen in Betracht. Voraussetzung ist, dass nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des anderen Ehegatten eine Kostentragung nicht von vornherein ausgeschlossen ist (BGH FamRZ 92, 292). Scheidet nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des anderen Ehegatten von vornherein aus, dass dieser die Behandlungskosten tragen könnte, kommt seine Einstandspflicht nicht in Betracht.

     

    Der Ehepartner, der durch die Vertretung des anderen bei einem Vertragsabschluss zeigt, dass er die kostenträchtige Privatbehandlung akzeptiert, haftet hingegen im Außenverhältnis nach § 1357 Abs. 1 BGB. Will er dies verhindern, muss er klarstellen, dass er für die Verbindlichkeiten aus dem Behandlungsvertrag nicht aufkommen möchte (OLG Köln NJW-RR 99, 228).

     

    Musterformulierung / Haftungsausschluss

    Mein Ehepartner ist allein privatversichert und für die Behandlung dementsprechend allein verantwortlich. Eine Einstandspflicht meiner Person gemäß § 1357 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB soll nicht begründet werden.

     

    Dies gilt jedoch nur, soweit die Einstandspflicht nach außen zu Tage getreten ist, sodass eine entsprechende Verpflichtung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Arztes nicht zu einer Haftung des Ehegatten führt (OLG Düsseldorf NJW 91, 2352; OLG Köln NJW-RR 99, 733). Hat ein Arzt für ärztliche Leistungen gegen einen Ehepartner aber eine titulierte Forderung, kann er seinen Freistellungsanspruch aus § 1357 Abs. 1 BGB gegen den anderen Ehepartner pfänden und sich überweisen lassen.

     

    MERKE | Behandelt der Arzt eigene Angehörige, erwirbt er als Unterhaltspflichtiger im Sinne von § 1601 BGB keinen vertraglichen Anspruch gegen sie, denn der Lebensbedarf gemäß § 1610 Abs. 2 BGB umfasst auch die Kosten einer notwendigen Heilbehandlung (Uhlenbruck, DMW 68, 1777).

    4. Honorarhaftung der Eltern bei Zustimmung zum Vertrag

    Für die Behandlung Minderjähriger unter sieben Jahren kann nur mit den gesetzlichen Vertretern ein Behandlungsvertrag geschlossen werden. In diesem Fall haften sie als Gesamtschuldner für die Liquidation des Arztes. Soweit es sich um einen beschränkt geschäftsfähigen Patienten handelt, ist ein Behandlungsvertrag nur bei vorheriger Einwilligung oder nachträglich erteilter Genehmigung der gesetzlichen Vertreter wirksam. Andernfalls besteht grundsätzlich ein Honoraranspruch gegenüber den Eltern nicht.

    5. Einsichtsrecht in Behandlungsunterlagen

    § 10 Abs. 2 S. 1 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ärzte) statuiert ausdrücklich das Recht des Patienten auf Einsichtnahme in die ihn betreffenden Krankenunterlagen. Ausgenommen sind lediglich diejenigen Teile der Dokumentation, die subjektive Eindrücke oder Wahrnehmungen des Arztes enthalten.

     

    a) Eigenes Einsichtsrecht des Patienten

    Eine Dokumentationspflicht des Arztes wurde über lange Zeit gänzlich verneint und die Dokumentation allein als Gedächtnisstütze behandelt. Der Patient hatte grundsätzlich kein Einsichtsrecht in die durch den Arzt gefertigte Dokumentation (zuletzt noch OLG Celle DMW 78, 595 mit Anmerkung von Rieger). Mit der Kehrtwende des BGH (NJW 78, 2337) hin zu einer Dokumentationspflicht des Arztes auch im Patienteninteresse zeichnete sich Ende der 1970er Jahre ein Wandel ab (OLG Bremen NJW 80, 644; LG Köln VersR 81, 1086; KG NJW 81, 2521). Seitdem wird ein Anspruch auf Auskunft und Einsichtnahme in die Krankenunterlagen aus § 810 BGB und einem nebenvertraglichen Anspruch aus dem Behandlungsvertrag abgeleitet.

     

    b) Recht des Erben/der Angehörigen

    Nach der Rechtsprechung des BGH kann grundsätzlich auch dem Erben und den Angehörigen eines Patienten ein Recht auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen zustehen, wenn ein ausdrückliches oder vermutetes Ein- verständnis des (verstorbenen) Patienten gegeben ist (BGH NJW 83, 2627).

     

    Eine ausdrückliche Einwilligung zur Einsicht könnte wie folgt lauten.

     

    Musterformulierung / Einwilligung in die Einsichtnahme

    Ich, ... (Name des Patienten), wohnhaft ... (Adresse), geboren am ... (Geburtsdatum), willige ein, dass Dr. ... (Name des Arztes) Auskunft bis auf Weiteres auch ... (Name des Angehörigen, Erben oder Ehepartners) über die an mir durchgeführten Behandlungen und erhobenen Befunde (alternativ: über Untersuchungen und Befunde vom ... (Befunddatum)) geben kann. Mir ist bewusst, dass ich diese Einwilligung mit Wirkung für die Zukunft jederzeit widerrufen kann.

    Der vertragliche Anspruch des Patienten ist danach auch vermögensrechtlicher Natur und kann auf Dritte übergehen. Das ist insbesondere relevant, wenn die Angehörigen prüfen möchten, ob Schadensersatzansprüche wegen ärztlicher Behandlungsfehler bestehen (BayVGH MedR 12, 51; a.A. für die Schweiz, Schweizerisches Bundesgericht Lausanne MedR 97, 48: Herausgabe zur Einsichtnahme nur an einen Arzt, nicht an den Erben direkt). In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH gilt dies unabhängig von einer entsprechenden Normierung in den Berufsordnungen, denn diese können die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten, Patienten und Dritten nicht unmittelbar beeinflussen (BGH NJW 83, 2627; BayVGH MedR 12, 51).

    Die ärztliche Schweigepflicht steht einer Offenlegung der Behandlungsunterlagen nur entgegen, wenn eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten fehlt. Der Arzt muss bei gewissenhafter Prüfung aller Umstände zu dem Ergebnis kommen, dass der Verstorbene die vollständige oder teilweise Offenlegung der Krankenunterlagen gegenüber seinen Hinterbliebenen missbilligt hätte (BGH NJW 83, 2627).

     

    Er muss das Anliegen der Einsicht begehrenden Personen in seine Prüfung einbeziehen. Um zu verhindern, dass der Arzt aus sachfremden Gründen die Einsicht verweigert, muss er darlegen, unter welchem Gesichtspunkt er sich durch die Schweigepflicht an der Offenlegung der Unterlagen gehindert sieht (BayVGH MedR 12, 51).

     

    c) Inhalt und Umfang des Einsichtsrechts

    Das Einsichtsrecht des Erben beschränkt sich auf die Krankenunterlagen, die den verstorbenen Patienten betreffen. Ein Recht auf Einsichtnahme scheidet aus, wenn es sich bei den Unterlagen nicht nur um Aufzeichnungen über naturwissenschaftlich objektivierbare Befunde und Behandlungsfaktoren handelt, die die Person des verstorbenen Patienten betreffen. Tangieren die herausverlangten Behandlungsunterlagen auch weitere Patienten, ist eine Einsichtnahme zu verwehren. Gleiches gilt, soweit die Einsicht in allgemein gespeicherte Statistiken verlangt wird, die gerade nicht für den einzelnen Patienten errichtet wurden (LG Bielefeld 12.10.10, 4 O 341/10, juris - betreffend die nach § 23 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz zu fertigenden Aufzeichnungen; in diesem Sinne auch OLG Hamm 5.4.11, I-26 U 192/10, juris).

     

    d) Vorlegungsort ist in der Regel die Arztpraxis

    Gemäß § 811 Abs. 1 S. 1 BGB ist Erfüllungsort der Ort, an dem sich die Unterlagen befinden (OLG Frankfurt GesR 11, 672). Das Einsichtsrecht erstreckt sich nach einzelner Ansicht nicht auch auf Fremdbefunde, also Angaben von anderen Ärzten oder Laboren (Landesberufsgericht BaWü ArztR 09, 109). Dies überzeugt nicht, wenn die Fremdbefunde in die Behandlung einbezogen wurden (so auch Scholz in: Spickhoff, Medizinrecht, 2011, § 10 MBO Rn. 7).

     

    Da die Behandlungsdokumentation jedoch auch in Anerkennung dieser grundsätzlichen Rechtsposition des Patienten im Eigentum des Behandlers verbleibt, beschränkt sich das so vermittelte Einsichtsrecht grundsätzlich auf die Einsichtnahme vor Ort und/oder die Berechtigung zur Anforderung von Kopien aus der Behandlungsakte auf Kosten des Patienten (LG Magdeburg 26.1.10, 9 O 1997/09, juris; LG München I GesR 09, 201). Im Falle der Anforderungen von Kopien hat der Behandler keine Richtig- und/oder Vollständigkeitserklärung abzugeben (LG Düsseldorf MedR 07, 663; OLG München MedR 07, 47).

     

    Nach Ansicht des LG München I soll mit Blick auf den beträchtlichen Arbeitsaufwand zur Vervielfältigung einer Krankendokumentation eine Erstattung von 0,50 EUR pro DIN A4-Seite nicht unangemessen sein. Röntgenbilder sind leihweise im Original zur Verfügung zu stellen (LG München I, a.a.O.).

     

    e) Patient muss in erster Linie selbst Einsicht verlangen

    Der Patient ist zudem zunächst grundsätzlich gehalten, sein Einsichtsverlangen selbst zu formulieren.

     

    Musterformulierung / Einsichtsverlangen des Patienten

    Sehr geehrter Dr ... (Name des Arztes),

    hiermit bitte ich Sie, mir meine Behandlungsunterlagen in Kopie zu übersenden oder mir einen Termin mitzuteilen, an dem ich diese in Ihrer Praxis abholen kann. Auf die Überlassung der Unterlagen habe ich nach der Rechtsprechung einen Anspruch. Die Kosten für die Kopien übernehme ich gern. Röntgenaufnahmen geben Sie mir bitte im Original (leihweise gegen Quittung).

    Nimmt der Patient zwecks Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen einen Arzt wegen eines möglichen Behandlungsfehlers sofort anwaltliche Hilfe in Anspruch und beauftragt den Anwalt, Unterlagen über die Behandlung beizuziehen, stellen die diesbezüglich anfallenden anwaltlichen Kosten keinen ersatzfähigen Verzugsschaden dar. Verzug tritt erst ein, wenn der Arzt der anwaltlichen Forderung auf Übersendung der Unterlagen nicht innerhalb der gesetzten Frist nachkommt (LG Bochum MedR 09, 601).

     

    Weiterführende Hinweise

    • FK 10, 159, zur Einsichtsfähigkeit und der Haftung Minderjähriger
    Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 49 | ID 36497260