· Fachbeitrag · Kindesunterhalt
Berechnung des Wohnwerts beim Kindesunterhalt
von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf
Zur Bemessung des Wohnwerts einer vom Unterhaltspflichtigen genutzten Immobilie bei der Inanspruchnahme auf Kindesunterhalt (BGH 19.3.14, XII ZB 367/12, n.v., Abruf-Nr. 141231). |
Sachverhalt
Der Antragsteller nimmt den Antragsgegner aus übergegangenem Recht auf Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch. Der Antragsgegner ist Vater von drei in den Jahren 1996, 1998 und 2006 geborenen Kindern, die aus seiner geschiedenen Ehe stammen. Der Antragsteller hat für die Kinder Sozialleistungen nach dem SGB II in einer den Mindestunterhalt übersteigenden Höhe erbracht. Der Antragsgegner hat eine weitere, 1993 geborene Tochter, die im Haushalt ihrer Mutter lebte. Die geschiedenen Eheleute sind Miteigentümer eines Einfamilienhauses auf einem Erbpachtgrundstück, das kreditiert ist. Der Vater und die Stiefmutter des Antragsgegners nahmen ein Darlehen auf und stellten es den Eheleuten zur Verfügung. Diese verpflichteten sich, die monatliche Rate zu übernehmen. Der Antragsgegner erbringt die Annuitäten allein. Bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem OLG war das Haus mangels Mitwirkung der geschiedenen Ehefrau noch nicht veräußert. Die geschiedenen Eheleute schulden ferner Raten für eine Pkw-Finanzierung. Zudem hat der Antragsgegner geltend gemacht, seine Mutter habe zum Ausgleich des überzogenen Girokontos der Eheleute einen Kredit aufgenommen, den sie zurückführen müssten.
Der Antragsteller hat gegen den Antragsgegner erfolgreich den Mindestunterhalt sowie rückständigen Unterhalt geltend gemacht. Das OLG hat den Unterhalt herabgesetzt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und Zurückverweisung der Sache.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
Berücksichtigung eines Wohnvorteils
Der Antragsgegner muss sich Einkünfte wegen der Nutzung der im Miteigentum der geschiedenen Ehegatten stehenden Immobilie anrechnen lassen. Denn die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen wird auch durch Vermögenserträge und sonstige wirtschaftliche Nutzungen bestimmt, die er aus seinem Vermögen zieht, wie z.B. Gebrauchsvorteile eines Eigenheims. Soweit es um die Leistungsfähigkeit gegenüber einem Minderjährigen geht, ist der Wohnvorteil grundsätzlich mit der bei einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete wegen der gesteigerten Unterhaltspflicht (§ 1603 Abs. 2 S. 1 BGB) zu bemessen. Eltern müssen alle verfügbaren Mittel zum Unterhalt gleichmäßig verwenden. Sie sind besonders verpflichtet, die eigene Arbeitskraft einzusetzen und Vermögenswerte Ertrag bringend zu nutzen.
Dennoch ist hier nur die angemessene Miete anzusetzen. Denn der Antragsgegner will das Haus veräußern, um zumindest den überwiegenden Teil der Darlehensverbindlichkeiten abzulösen Die Veräußerung wird daher auch den Unterhaltsberechtigten zugutekommen. Er könnte das Haus zurzeit nicht vermieten, da dies eine Veräußerung erschweren würde. Denn Einfamilienhäuser der hier in Rede stehenden Art werden erworben, um sie selbst zu nutzen. Dieser Nutzung durch den Erwerber würde aber ein grundsätzlich nicht ohne Weiteres und alsbald beendbares Mietverhältnis entgegenstehen.
Unerheblich ist, dass auch die geschiedene Ehefrau angeboten hat, das Haus anzumieten. Denn der Antragsgegner müsste befürchten, dass sie das Haus nicht innerhalb einer angemessenen Zeitspanne räumen würde, nachdem sie bei den Veräußerungsbemühungen nicht kooperativ war.
Berücksichtigung der Darlehensraten
Der Antragsgegner muss kein Verbraucherinsolvenzverfahren einleiten. Zwar trifft den Unterhaltsschuldner grundsätzlich eine solche Obliegenheit, wenn er dadurch den laufenden Unterhalt seiner minderjährigen Kinder sicherstellen kann, dass dieser vorrangig vor sonstigen Verbindlichkeiten ist. Hier besteht aber die Absicht, das Familienheim zu veräußern, sodass es nur um die Bewältigung eines finanziellen Engpasses geht. Die verbleibenden Verbindlichkeiten dürfte der Antragsgegner angesichts seines Einkommens in angemessener Zeit zurückführen können. Insoweit überwiegen die Nachteile einer Verbraucherinsolvenz, nämlich die Einschränkungen seiner wirtschaftlichen Selbstständigkeit.
Die Hausdarlehen sind nicht voll abzugsfähig. Es bedarf eines Ausgleichs der Belange von Unterhaltsgläubiger, -schuldner und Drittgläubiger. Ist der Mindestbedarf der Unterhaltsberechtigten beeinträchtigt, sind insbesondere der Zweck der daneben eingegangenen Verpflichtung, der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der Bedürfnisse, die Kenntnis des Unterhaltsschuldners von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und seine Möglichkeiten bedeutsam. Beim Verwandtenunterhalt (§§ 1601 ff. BGB) ist demgegenüber der Umstand, dass Verbindlichkeiten im Einverständnis mit dem Ehegatten und im Zuge der gemeinsamen Lebensführung eingegangen worden sind, nicht so relevant wie beim Ehegattenunterhalt. Bei Minderjährigen ist zudem zu beachten, dass diese wegen ihres Alters nicht dazu beitragen können, ihren notwendigen Lebensbedarf selbst zu decken. Deswegen besteht ihnen sowie privilegierten Volljährigen gegenüber eine gesteigerte Unterhaltspflicht, § 1603 Abs. 2 BGB. Dies steht regelmäßig einer Unterschreitung des Mindestunterhalts wegen anderer Verbindlichkeiten entgegen. Teilweise handelt es sich um Verbindlichkeiten, die der Antragsgegner im Interesse seiner Familie eingegangen ist, um ihr ein Eigenheim zu bieten. Jedenfalls ein Anwachsen der Verschuldung durch Zinsen infolge des Nichtbedienens der Darlehen braucht der Antragsgegner deshalb nicht hinzunehmen. Da hier aber das Haus verkauft werden soll, hätte er sich bemühen müssen, die aktuelle Belastung zu mindern, indem er die Raten streckt oder stundet bzw. die Tilgung aussetzt.
Das Darlehen von der Mutter ist nicht zu berücksichtigen, weil es bestritten ist und der Antragsgegner nicht nachgewiesen hat, dass die Mutter nicht bereit ist, den Kredit zu strecken.
Was Pkw-Kreditrate anbelangt, hätte der Antragsgegner darlegen müssen, dass er aus beruflichen Gründen auf einen Pkw angewiesen ist. Dies ist nicht festgestellt, zumal er an seinem Wohnort arbeitet. Notfalls obliegt es ihm, auch den Pkw zu veräußern. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass in der anzusetzenden Kilometerpauschale die Finanzierungskosten enthalten sind.
Praxishinweis
Die Berechnung des Wohnwerts stößt immer wieder auf Schwierigkeiten. Die Wohnwertberechnung kommt beim Ehegatten-, Eltern- und Kindesunterhalt in Betracht.
Wohnwertberechnung beim Ehegattenunterhalt
Beim Ehegattenunterhalt ist zu differenzieren zwischen dem Zeitraum vor und nach Scheitern der Ehe:
- Vor dem endgültigen Scheitern der Ehe kann von Ehegatten mit Rücksicht auf eine mögliche Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft noch nicht erwartet werden, dass sie das Familienheim veräußern oder vermieten. Daher besteht bis zum Scheitern der Ehe noch keine Verwertungsobliegenheit. Der Wohnvorteil ist in dieser Zeit nur in der Höhe in Rechnung zu stellen, wie er sich für eine Wohnungsnutzung des in der Ehewohnung allein verbleibenden Ehegatten als angemessen darstellt. Der Gebrauchswert für den die Wohnung weiter nutzenden Ehegatten ist deswegen regelmäßig danach zu bestimmen, welchen Mietzins er auf dem örtlichen Wohnungsmarkt für eine dem ehelichen Lebensstandard entsprechende angemessene kleine Wohnung zahlen müsste.
- Ab Scheitern der Ehe setzt die Verwertungsobliegenheit ein. Anzusetzen ist der volle Wohnwert. Fraglich ist aber, ob allein die Änderung der Verwertungsobliegenheit zum Ansatz der objektiven Miete führt. Nach Ansicht des BGH reicht dies allein nicht aus, um die objektive Miete zuzurechnen (BGH FuR 00, 252; 469). Vielmehr ist ein Verstoß gegen die Verwertungsobliegenheit erforderlich. Dies ist z.B. nicht der Fall, wenn die Immobilie dem unterhaltspflichtigen Ehegatten gehört und der Berechtigte nach der Trennung wohnen geblieben ist, ohne diesen aufgefordert zu haben, die Immobilie zu verlassen. Da der Unterhaltsberechtigte die Wohnung nicht veräußern oder vermieten kann, käme kein Verstoß gegen die Verwertungsobliegenheit in Betracht. Gleiches dürfte gelten, wenn beide Ehegatten sich intensiv bemühen, die Immobilie zu veräußern.
- In diesem Fall dürfte kein Verstoß gegen die Verwertungsobliegenheit gegeben sein, sodass nur der angemessene Wohnwert anzusetzen ist. Ähnlich argumentiert der BGH hier beim Kindesunterhalt. Denn er hat es gebilligt, dass die angemessene Miete zugerechnet wurde, weil der Unterhaltspflichtige die Immobilie veräußern wollte. Dieser Gedanke, der beim Kindesunterhalt greift, müsste auch beim Ehegattenunterhalt bedeutsam sein, sodass die Zurechnung der objektiven Miete beim Ehegattenunterhalt dahin zu präzisieren ist, dass neben der Entstehung der Verwertungsobliegenheit auch ein Verstoß dagegen vorliegen muss.
Wohnwertberechnung beim Elternunterhalt
Beim Elternunterhalt würde es auf eine vom Unterhaltspflichtigen nicht hinzunehmende Schmälerung des eigenen Bedarfs hinauslaufen, wenn bei der Bestimmung seiner Leistungsfähigkeit Mittel berücksichtigt würden, die ihm tatsächlich nicht zur Verfügung stehen und die er nur durch eine Verwertung der Immobilie erzielen könnte. Da durch eine Veräußerung oder Vermietung des Familienheims die oft langjährig gestaltete Lebensführung beeinträchtigt würde, muss beides beim Unterhaltsanspruch von Eltern als unzumutbar angesehen werden. Deswegen ist in solchen Fällen grundsätzlich nur die für eine angemessene Wohnung ersparte Miete dem Einkommen zuzurechnen.
Wohnwertberechnung beim Kindesunterhalt
Bei Minderjährigenunterhalt setzt der BGH wiederum die objektive Miete an, hält aber den angemessenen Wohnwert für angebracht, wenn der Unterhaltspflichtige sich bemüht, das Familienheim zu veräußern.
Beim Unterhalt nicht privilegierter volljähriger Kinder ist der Ansatz des Wohnwerts noch offen. Dafür, dass auch beim Unterhalt nicht privilegierter Volljähriger nur der angemessene Wohnwert in Betracht kommt, spricht Folgendes: Der BGH begründet den Ansatz der objektiven Miete auch mit der gesteigerten Unterhaltspflicht, § 1603 Abs. 2 BGB. Diese grenzt er ab von der Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 1 BGB. Danach ist derjenige nicht unterhaltspflichtig, der bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. § 1603 Abs. 1 BGB gilt auch für nicht privilegierte volljährige Kinder. Diesen gegenüber greift die gesteigerte Unterhaltspflicht nicht. Mit diesem Argument lässt sich rechtfertigen, auch hier nur den angemessenen Wohnwert anzusetzen. Zu beachten ist aber, dass auch privilegierte volljährige Kinder, die sich in der Ausbildung befinden, grundsätzlich nicht in der Lage sind, ihren Unterhalt für eigene Einkünfte sicherzustellen. Dies spricht wiederum dafür, die objektive Miete anzusetzen.
Berücksichtigung von Schulden beim Kindesunterhalt
Der Mindestbedarf Minderjähriger darf ausnahmsweise unterschritten werden, indem Verbindlichkeiten des Unterhaltsschuldners einkommensmindernd angesetzt werden, die er im Interesse seiner Familie eingegangen ist. Dazu gehören die Hausschulden. Offengelassen hat der BGH, ob Tilgungsleistungen (also Vermögensbildung) einkommensmindernd angesetzt werden können. Der BGH geht davon aus, dass der Unterhaltspflichtige gehalten ist, eine Streckung der Verbindlichkeiten möglicherweise über eine Tilgungsaussetzung mit den Kreditinstituten zu verhandeln. Letztlich muss der Unterhaltspflichtige alles Erforderliche tun, um den Mindestbedarf sicherzustellen und die Schuldenlast entsprechend zu reduzieren. Dazu muss er vortragen, dass er sich mit den Kreditinstituten in Verbindung gesetzt und auf eine Tilgungsaussetzung hingewirkt hat. Notfalls muss der Unterhaltspflichtige auch das Insolvenzverfahren durchführen.
Weiterführende Hinweise
- Zum Wohnwert beim Elternunterhalt vgl. BGH 5.2.14, XII ZB 25/13, S. 154 ff. in diesem Heft
- Zum Wohnwert beim Ehegattenunterhalt FK 09, 147