· Fachbeitrag · Pfändung
Pfändungsfreibetrag: BGH ändert Rechtsprechung
von RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, BGM Anwaltssozietät, Münster
| Der BGH hat seine Rechtsprechung bezüglich der Frage geändert, ob die Unterhaltszahlungen bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO nur i. H d. tatsächlichen Unterhaltszahlungen oder i. H. d. gesetzlichen Anspruchs zu berücksichtigen sind. |
Sachverhalt
Der Gläubiger K vollstreckt gegen den Schuldner, seinen Vater V, wegen Unterhalt. Der V zahlt einem weiteren Kind E Unterhalt. Im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) hat das AG festgesetzt, dass dem V für seinen eigenen notwendigen Unterhalt ein Betrag pfandfrei zu belassen ist. Im Hinblick auf den Unterhalt für E hat es festgesetzt, dass ihm darüber hinaus bis zu einem bestimmten Betrag weitere 50 Prozent zu belassen sind. Mit Beschluss hat das AG die Vollstreckungserinnerung des V zurückgewiesen. Auf dessen sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht den pfandfreien Betrag heraufgesetzt, damit V seine Unterhaltspflicht gegenüber E erfüllen kann. Es hat die weitere Unterhaltspflicht des V nicht in der sich aus dem Gesetz ergebenden Höhe, sondern nur i. H. d. tatsächlich geleisteten ‒ geringeren ‒ Unterhalts für E anerkannt. Im Übrigen blieb die sofortige Beschwerde erfolglos. Der V begehrt erfolglos mit der Rechtsbeschwerde, den pfandfreien Betrag auf die Höhe der gesetzlichen Unterhaltspflicht heraufzusetzen (BGH 18.1.23, VII ZB 35/20, Abruf-Nr. 234009).
Entscheidungsgründe
Vollstreckt ein Gläubiger wegen Unterhalt (§ 850d ZPO), ist dem Schuldner gem. Abs. 1 S. 2 der Norm so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt bedarf und um seine laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Berechtigten zu erfüllen. Dieser Satz ist dahin auszulegen, dass beim pfandfreien Betrag diese Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Berechtigten nur in dem Umfang zu beachten sind, in dem der Schuldner diese Pflichten den weiteren Berechtigten gegenüber erfüllt oder diese gegen ihn vollstrecken. Die Ansicht, wonach die gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den weiteren Unterhaltsberechtigten auch vollumfänglich zu beachten sind, wenn der Schuldner ihnen nur teilweise nachkommt (BGH 5.8.10, VII ZB 101/09, MDR 10, 1214), wird aufgegeben.
Der Wortlaut des § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO ist insoweit nicht eindeutig. Er kann zwar dahin verstanden werden, dass auf den Betrag abzustellen ist, der potenziell erforderlich wäre, um die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten zu erfüllen. Es kommt jedoch auch ein Verständnis in Betracht, wonach insoweit ein Bedarf des Schuldners nur in dem Umfang anzunehmen ist, in dem er tatsächlich leistet (LG Leipzig 22.4.20, 3 T 669/19, juris).
Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist aber die letztgenannte Auslegung zutreffend. Die Interessen der Unterhaltsgläubiger genießen im ZV-Recht einen hohen Schutz. § 850d Abs. 1 ZPO privilegiert diese vollstreckungsrechtlich. So ist das Einkommen des Schuldners gem. § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO ohne die Beschränkungen des § 850c ZPO pfändbar und gem. § 850d Abs. 1 S. 2 Fall 1 ZPO ist dem Schuldner für den eigenen Bedarf ein Betrag nur insoweit pfandfrei zu belassen, als es sich um notwendigen Unterhalt handelt.
§ 850d Abs. 1 S. 2 Fall 2 ZPO regelt dagegen, wie der pfandfreie Betrag zu bestimmen ist, wenn der Schuldner neben dem vollstreckenden Unterhaltsgläubiger auch gegenüber weiteren Berechtigten unterhaltspflichtig ist. Zweck ist es, sicherzustellen, dass die dem vollstreckenden Unterhaltsgläubiger vorrangigen oder gleichstehenden Berechtigten durch die ZV nicht benachteiligt werden. Diese weiteren Unterhaltsberechtigten sollen durch die Berücksichtigung der ihnen gegenüber bestehenden gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags ihre Unterhaltsansprüche in größtmöglichem Umfang realisieren können (BGH 5.8.10, VII ZB 101/09 Rn. 15). Dieser Zweck erfordert es aber nicht, beim pfandfreien Betrag auf den Betrag abzustellen, der potenziell erforderlich wäre, um die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten zu erfüllen.
Solange der Schuldner seinen laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den weiteren Unterhaltsberechtigten nur teilweise nachkommt, werden diese durch die ZV des Unterhaltsgläubigers nicht benachteiligt. Sie können auch den pfandfreien Betrag dadurch erhöhen lassen, dass sie ihrerseits wegen ihres (teilweise) nicht erfüllten Unterhaltsanspruchs vollstrecken und gem. § 850g S. 2 ZPO eine Änderung des PfÜB erwirken (LG Leipzig 22.4.20, 3 T 669/19). Dies schließt es nicht aus, dass der Schuldner künftig freiwillig Unterhalt leisten wird. Er kann ebenfalls gem. § 850g S. 1 ZPO den PfÜB ändern lassen. Dem Problem, dass ihm vor einer Erhöhung des pfandfreien Betrags noch keine Mittel zur Verfügung stehen, um seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht in größerem Umfang nachzukommen, kann ggf. durch eine befristete Erhöhung Rechnung getragen werden (Benner, NZFam 19, 845).
Würde man dem Schuldner stets den pfandfreien Betrag i. H. d. gesetzlichen Unterhaltspflichten belassen, wäre nicht sichergestellt, dass dieser Betrag den weiteren Unterhaltsberechtigten zufließt (BGH 17.9.14, VII ZB 22/13 Rn. 16). Hat der Schuldner seine Unterhaltspflichten nicht oder nicht vollumfänglich erfüllt, liegt nahe, dass der pfandfreie Betrag ganz oder teilweise bei ihm verbleibt. In diesem Fall würde der vollstreckende Unterhaltsgläubiger zum Vorteil des Schuldners benachteiligt, ohne dass den weiteren Unterhaltsberechtigten hiermit gedient wäre (LG Leipzig 22.4.20, 3 T 669/19). Das würde dem im ZV-Recht bezweckten Schutz der Unterhaltsgläubiger zuwiderlaufen und wäre mit deren in § 850d ZPO vorgesehenen Privilegierung nicht zu vereinbaren.
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung ist zu begrüßen, da sie zu einem gerechteren Ergebnis führt und eine etwaige Bevorteilung des Unterhaltsschuldners vermeidet.