· Fachbeitrag · Schuldrechtlicher Versorgungsausgleich
So bemisst sich der Ausgleichswert bei vorzeitigem Rentenbezug
von VRiOLG a. D. Hartmut Wick, Celle
| Für den schuldrechtlichen VA ist die vom Ausgleichspflichtigen tatsächlich bezogene Rente maßgeblich, auch wenn diese in verringerter Höhe gezahlt wird, weil sie vorzeitig beansprucht wird. Dies hat der BGH entschieden. Der Beitrag erläutert, warum die Entscheidung für die Praxis so bedeutsam ist und worauf Anwälte achten müssen. |
Sachverhalt
M und F wurden 2005 nach früherem Recht geschieden. Beide hatten während der Ehezeit gesetzliche Rentenanwartschaften erworben, der M daneben ein Anrecht bei der Schweizerischen Ausgleichskasse, die F ein Anrecht bei einem berufsständischen Versorgungswerk. Da das von M bei dem ausländischen Versorgungsträger erworbene Anrecht nicht ermittelt werden konnte, blieb der VA dem schuldrechtlichen Ausgleich vorbehalten. Das ausländische Anrecht ist später nach Maßgabe schweizerischen Rechts geteilt worden. Beide Ehegatten erhalten inzwischen aus diesem Anrecht Versorgungsbezüge sowie Regelaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, der M seit Oktober 15, die F seit Februar 17. Sie bezieht außerdem bereits seit November 12 eine Rente aus ihrer berufsständischen Versorgung, die wegen Vorverlegung des Rentenbeginns um 46 Monate um 22 Prozent gekürzt ist. Im September 17 hat der M die (nachträgliche) interne Teilung dieses Anrechts, hilfsweise insoweit die Durchführung des schuldrechtlichen VA nebst entsprechender Teilabtretung der laufenden Versorgung an ihn beantragt.
Das AG hat die F auf den Hilfsantrag verpflichtet, ab Oktober 17 eine monatliche Ausgleichsrente i. H. d. Hälfte des um anteilige Sozialabgaben gekürzten Ehezeitanteils der tatsächlichen Bruttorente zu zahlen und in dieser Höhe ihren laufenden Versorgungsanspruch an den M abzutreten. Die (auf den Umfang der schuldrechtlichen Ausgleichsrente beschränkte) Beschwerde des M hat das OLG mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die aufgelaufenen Rückstände zu verzinsen sind. Die Rechtsbeschwerde des M bleibt erfolglos.
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Der Ausgleichswert einer schuldrechtlichen Ausgleichsrente bemisst sich nach dem Ehezeitanteil der tatsächlich ausgezahlten Rente (Abruf-Nr. 236164). |
Entscheidungsgründe
M hat hinsichtlich des Anrechts der F aus der berufsständischen Versorgung einen Anspruch auf eine schuldrechtliche Ausgleichsrente. Deren Höhe entspricht dem Ausgleichswert, d. h. der Hälfte des Ehezeitanteils der laufenden Bruttoversorgung abzüglich der hierauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge, § 20 Abs. 1 S. 1 und 2 VersAusglG. Der Ausgleichswert bemisst sich nach der tatsächlich ausgezahlten, hier wegen vorzeitiger Inanspruchnahme um 22 Prozent verminderten Rente.
Zwar werden Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung im Wertausgleich bei der Scheidung auf der Grundlage der in der Ehezeit erworbenen Entgeltpunkte geteilt. Diese Bezugsgröße bestimmt den Ausgleichswert und den Kürzungsbetrag im VA, auch wenn ein Ehegatte die Altersrente vorzeitig beansprucht und deshalb ein Rentenabschlag erfolgt. Denn der sog. Zugangsfaktor, mit dem der Abschlag berechnet wird, bleibt im VA außer Betracht (BT-Drucksache 16/10144, 80; BGH FamRZ 16, 1343). Das Gleiche gilt für Anrechte der berufsständischen Versorgung, die ‒ wie hier ‒ unmittelbar (auf Grundlage der während der Ehezeit geleisteten Beiträge) zu bewerten sind, § 39 VersAusglG.
Beim schuldrechtlichen VA wird der Ausgleichswert jedoch nicht in der für das Versorgungssystem maßgeblichen Bezugsgröße angegeben. Vielmehr wird der Rentenbetrag berechnet, § 5 Abs. 4 S. 1 VersAusglG. Es wird kein eigenständiges Anrecht für den Berechtigten auf der Basis der Bezugsgröße des Versorgungssystems begründet, sondern er partizipiert hälftig an dem Ehezeitanteil der vom Ausgleichspflichtigen tatsächlich erworbenen Versorgung. Beansprucht dieser eine vorgezogene Altersrente, wirkt sich dies auch auf den Ausgleichswert des Anrechts aus, den der Berechtigte beanspruchen kann. Deshalb kann vom Rentenbeginn an auch der Berechtigte sofort daran teilhaben, sobald er selbst die persönlichen Voraussetzungen nach § 20 Abs. 2 VersAusglG erfüllt. Dann muss er aber auch an dem mit dem vorgezogenen Rentenbezug verbundenen Abschlag teilhaben. Umgekehrt könnte er auch an einem Rentenzuschlag partizipieren, den der Pflichtige erwirbt, wenn er den Beginn des Rentenbezugs hinausschiebt. Unberücksichtigt bleiben beim schuldrechtlichen VA im Wesentlichen nur solche nachehezeitlichen Veränderungen, die auf neu hinzugetretenen individuellen Umständen beruhen, z. B. einem späteren beruflichen Aufstieg oder einem zusätzlichen persönlichen Einsatz des Pflichtigen.
Vom Ausgleichswert der laufenden Bruttoversorgung sind die hierauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge oder vergleichbaren Aufwendungen abzuziehen, § 20 Abs. 1 S. 2 VersAusglG. Das OLG hat zu Recht die von der F erbrachten Beiträge zu einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung (die die Kosten der gesetzlichen Sozialabgaben übersteigen) abgezogen. Das gilt hier schon deshalb, weil die F ihre Beitragsbelastung bereits dadurch deutlich gemindert hat, dass sie eine Selbstbeteiligung vereinbart hat. Der auf den Ausgleichswert entfallende Anteil der Beitragsbelastung wird ermittelt, indem der Gesamtbetrag der Beiträge mit dem Quotienten aus dem Ausgleichswert und dem Gesamtbetrag der Rente multipliziert wird (BGH FK 16, 114).
Die anteiligen Krankenversicherungsbeiträge der F können nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil das schweizerische Anrecht des M ohne Abzug seiner Krankenversicherungsbeiträge geteilt worden ist.
MERKE | Die Härteregelung des § 27 VersAusglG kennt als Rechtsfolge nur eine Beschränkung des VA, nicht aber dessen Erweiterung. |
§ 20 Abs. 1 S. 2 VersAusglG dient dazu, den Halbteilungsgrundsatz zu verwirklichen. Die Norm enthält jedoch keine Öffnungsklausel, die es erlauben würde, Krankenversicherungskosten ausnahmsweise nicht abzuziehen, wenn der von der Regelung erstrebte Zweck durch den Abzug nicht verwirklicht wird.
Relevanz für die Praxis
Nach früherem Recht war ein Gesamtsaldo aller in der Ehezeit erworbenen Anrechte zu bilden. Da der Ehezeitanteil des von M in der Schweiz erworbenen Anrechts nicht ermittelt werden konnte, hatte das AG vom öffentlich-rechtlichen VA abgesehen und den Ehegatten den schuldrechtlichen VA vorbehalten. Diese Konsequenz wäre auch nach neuem Recht möglich. Denn wenn (mindestens) ein ausländisches Anrecht besteht, das gem. § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG nicht ausgleichsreif ist, kann das Gericht auch die sonstigen (inländischen) Anrechte dem schuldrechtlichen VA vorbehalten, § 19 Abs. 3 VersAusglG. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn das ausländische Anrecht besonders werthaltig und im gesamten Versorgungsgefüge eines Ehegatten sehr bedeutsam ist.
Das schweizerische Anrecht des M wurde später nach Maßgabe des dortigen Rechts geteilt. Die Schweiz gehört zu den wenigen Ländern, die einen VA kennen und es ermöglichen, dass Anrechte nach dem innerstaatlichen Recht geteilt werden. Offengeblieben ist somit nur der schuldrechtliche Ausgleich der sonstigen von den Ehegatten erworbenen Anrechte. Hinsichtlich der gesetzlichen Rentenanwartschaften hat keiner der Ehegatten den für den schuldrechtlichen VA erforderlichen Antrag (§ 223 FamFG) gestellt. Dies ist im Hinblick auf die geringe Differenz der Ausgleichswerte nachvollziehbar.
Hinsichtlich der Rente, die die F seit November 12 aus der berufsständischen Versorgung bezieht, hat der M erst im September 17 den schuldrechtlichen VA beantragt. Nach der BGH-Rechtsprechung wird seine schuldrechtliche Ausgleichsrente auf Basis der tatsächlichen Versorgung berechnet, die die F erhält. Daher wirkt sich auch bei ihm der 22-prozentige Abschlag aus, um den die auszugleichende Versorgung aufgrund des vorzeitigen Rentenbezugs gekürzt ist. Dieser Abschlag wird sowohl beim Pflichtigen als auch beim Berechtigten dadurch kompensiert, dass die Rente schon beginnt, bevor die Regelaltersgrenze erreicht ist. Der Berechtigte kann die schuldrechtliche Ausgleichsrente aber erst beanspruchen, wenn er selbst die Fälligkeitsvoraussetzungen nach § 20 Abs. 2 VersAusglG erfüllt (eigener Rentenbezug, Erreichen der Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung oder Invalidität). Hier hat der M seine gesetzliche Rente bereits seit Oktober 15 bezogen. Ab diesem Zeitpunkt hätte er auch schon an der Rente der F aus der berufsständischen Versicherung partizipieren können. Durch den verspäteten Antrag sind ihm rund zwei Jahre schuldrechtliche Ausgleichsrente (fast 25.000 EUR) entgangen.
Für die Praxis ergeben sich aus der Entscheidung folgende Konsequenzen:
- Ist ein Anrecht in den schuldrechtlichen VA verwiesen worden, sollte der Ausgleichsberechtigte einen Antrag auf schuldrechtliche Ausgleichsrente nach § 223 FamFG stellen, sobald die Fälligkeitsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 und 2 VersAusglG vorliegen, damit ihm keine Beträge der monatlichen Ausgleichsrente entgehen. Darauf sollte ihn sein Anwalt bereits am Schluss des Scheidungsverfahrens hinweisen.
- Der Ausgleichspflichtige muss eine laufende Rente aus dem schuldrechtlich auszugleichenden Anrecht beziehen, § 20 Abs. 1 S. 1 VersAusglG. Dies kann eine mit Erreichen der Regelaltersgrenze fällig gewordene Altersrente, eine auf Antrag gezahlte und i. d. R. mit einem Abschlag verbundene vorgezogene Altersrente oder eine Invaliditätsrente sein.
- Der Ausgleichsberechtigte muss selbst eine laufende Versorgung i. S. v. § 2 VersAusglG beziehen, § 20 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG. Dabei muss es sich aber nicht um eine in der Ehezeit erworbene und dem VA unterliegende Versorgung handeln. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, genügt es auch, wenn der Berechtigte die für ihn persönlich maßgebliche Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 35 S. 2, § 235 SGB VI) erreicht hat, § 20 Abs. 2 S. 2 VersAusglG, oder wenn er die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine laufende Invaliditätsversorgung erfüllt, § 20 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG.
- Sobald der Berechtigte die genannten Voraussetzungen erfüllt oder in Kürze erfüllen wird, sollte er sich informieren, ob der Pflichtige die auszugleichende Versorgung bereits (ggf. vorzeitig) in Anspruch nimmt oder nehmen kann. Aus den Versorgungsordnungen lässt sich entnehmen, wann eine Altersversorgung frühestens bezogen werden kann. Auch wenn der Pflichtige noch keine Versorgung bezieht, sollte sich der Berechtigte regelmäßig erkundigen, ob die auszugleichende Rente inzwischen begonnen hat. Ein Auskunftsanspruch gegen den Verpflichteten und u. U. auch gegen den Versorgungsträger ergibt sich aus § 4 VersAusglG.
- Bezieht der Pflichtige bereits die auszugleichende Versorgung, erfüllt der Berechtigte aber noch nicht die Fälligkeitsvoraussetzungen nach § 20 Abs. 2 VersAusglG, sollte dieser prüfen, ob es für ihn wirtschaftlich sinnvoll ist, eine eigene Versorgung (ggf. mit Abschlag) vorzeitig in Anspruch zu nehmen, um entsprechend früher vom Pflichtigen die schuldrechtliche Ausgleichsrente beanspruchen zu können.
- Der Pflichtige sollte sich, bevor er eine vorzeitige Rente beantragt, vergegenwärtigen, dass er damit rechnen muss, auch schon aus dieser gekürzten Rente einen Teil als schuldrechtliche Ausgleichsrente abgeben zu müssen. Das ist nur unproblematisch, wenn aus der gekürzten Rente bereits nachehelicher Unterhalt zu zahlen ist. Denn dann löst der Anspruch des Berechtigten auf schuldrechtliche Ausgleichsrente seinen Unterhaltsanspruch ab. Andernfalls sollte der Pflichtige erwägen, seine Erwerbstätigkeit fortzusetzen, womit er nicht nur sein Erwerbseinkommen behält, sondern auch vorerst die Pflicht abwendet, eine Ausgleichsrente zu zahlen. Der Pflichtige kann die Zahlung der schuldrechtlichen Ausgleichsrente sogar noch weiter hinausschieben, indem er über die Regelaltersgrenze hinaus weiterarbeitet. Er muss allerdings laut BGH damit rechnen, dass die schuldrechtliche Ausgleichsrente ab dem hinausgeschobenen Rentenbeginn aus dem um einen Zuschlag erhöhten Rentenbetrag berechnet wird. Es ist jedoch zweifelhaft, ob dies gerechtfertigt ist. Denn der Zuschlag beruht auf nachehezeitlich erbrachter individueller Tätigkeit des Pflichtigen (Hauß FamRB 23, 361).
- Kann der Berechtigte z. B. wegen deutlich niedrigeren Alters die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 VersAusglG voraussichtlich auf längere Sicht noch nicht erfüllen, sollte sein Anwalt prüfen, eine zweckgebundene Abfindung nach § 23 VersAusglG geltend zu machen (siehe Wick FK 23, 122).