11.01.2013 · IWW-Abrufnummer 169924
Hessisches Landesarbeitsgericht: Beschluss vom 15.10.2012 – 13 Ta 303/12
Die Erhebung einer neuen Klage anstatt einer kostengünstigeren Erweiterung einer bereits anhängigen Klage ist mutwillig im Sinne des § 114 Satz 1 ZPO, wenn eine bemittelte Partei keinen begründeten Anlass gehabt hätte, ein gesondertes Verfahren anzustrengen.
Die Frage, ob ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur kostengünstigeren Rechtsverfolgung vorliegt, kann nicht im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 55 Abs. 1 RVG geprüft werden. (So auch schon Kammerbeschlüsse vom 02. November 2011 - 13 Ta 369/11 - und vom 14. November 2011 - 13 Ta 372/11.)
Tenor: Auf die Beschwerde des Klägervertreters wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. September 2011 - 11 Ca 1781/11 - abgeändert und der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. Juli 2011 aufgehoben. Der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wird aufgegeben, die Kostenfestsetzungsanträge des Klägervertreters vom 26. Mai 2011 (11 Ca 1781/11 und 11 Ca 2146/11) unter Berücksichtigung der rechtlichen Erwägungen des vorliegenden Beschlusses neu zu bescheiden. Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet. Gründe: I. Am 3. Mai 2011 schlossen die Parteien in dem Rechtsstreit 11 Ca. 2146/11 des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main einen prozessbeendenden Vergleich, mit dem auch der Parallelrechtsstreit 11 Ca 1781/11 erledigt wurde. In beiden Rechtsstreiten war dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt worden. Am 26. Mai 2011 beantragte der Klägervertreter in beiden Rechtsstreiten Kostenfestsetzung aus der Staatskasse in Höhe von 661,28 € und 1134,31 €. Am 6. Juli 2011 erließ die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle einen Kostenfestsetzungsbeschluss über 1211,66 € für beide Verfahren gemeinsam nach Addition der Streitwerte beider Verfahren. Hiergegen legte der Klägervertreter am 2. August 2011 "sofortige Beschwerde" ein, der die Urkundsbeamtin ebenso wenig abhalf wie - als Erinnerung verstanden - das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 8. September 2011. Nach dessen Zustellung am 15. September 2011 und nochmals am 29. September 2011 legte der Klägervertreter unter dem 21. September 2011 Beschwerde ein, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat. Es hat die Sache vielmehr dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Wegen des weiteren Vorbringens im Beschwerdeverfahren wird auf den Akteninhalt im Übrigen verwiesen. II. Die Beschwerde des Klägervertreters gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. September 2011 ist gemäß den §§ 56, 33 Abs. 3 bis 8 RVG statthaft und nach form- und fristgerechter Einlegung auch im Übrigen zulässig (§ 33 Abs. 3 RVG). Der Beschwerdewert von mehr als 200 € (§ 33 Abs. 3 S. 1 RVG) ist überschritten. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde des Klägervertreters nicht abgeholfen. Die Beschwerde ist begründet. Der Klägervertreter kann verlangen, dass die beiden Verfahren 11 Ca 2146/11 und 11 Ca 1781/11 des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main getrennt abgerechnet aus der Staatskasse vergütet werden. In beiden Rechtsstreiten ist dem Kläger jeweils Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm sein Prozessbevollmächtigter beigeordnet worden. Dies hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle und die Beschwerdekammer gemäß § 48 Abs. 1 RVG hinzunehmen. Die Beschwerdekammer sieht sich nicht mehr in der Lage, die dadurch entstandenen Mehrkosten durch die Addition der Streitwerte beider Verfahren und eine gemeinsame Abrechnung zu kompensieren. Die Beschwerdekammer hat ihre bislang anderslautende Rechtsprechung dazu bereits 2011 aufgegeben (vergl. Beschlüsse vom 2. November 2011 - 13 Ta 369/11 - und vom 14. November 2011, - 13 Ta 372/11 -). Sie hat sich im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts aus dessen Beschlüssen vom 17. Februar 2011 - 6 AZB 3/11 -, NZA 2011, 422 und vom 8. September 2011 - 3 AZB 46/10 -, NJW 2011, 3160 angeschlossen (vergl. dazu auch Mayer, FD-RVG 2011, 316014). Richtig bleibt allerdings immer noch der Grundsatz, dass die Parteien gemäß § 91 ZPO gehalten sind, die Kosten des Verfahrens angemessen niedrig zu halten. Dies gilt umso mehr in, wenn - wie hier - die Kosten für beigeordnete Rechtsanwälte aus öffentlichen Mitteln zu tragen sind. Jede Partei ist gehalten, solche zumutbaren und Kosten sparenden prozessualen Möglichkeiten wahrzunehmen, die sie auch wahrnehmen würde, wenn sie "aus eigener Tasche" prozessieren würde. Wenn daher eine bemittelte Partei, die vernünftig abwägt und die möglichen Kostenfolgen berücksichtigt, begründeten Anlass gehabt hätte, ein gesondertes Verfahren anhängig zu machen statt eine bereits anhängige Klage zu erweitern, ist diese Möglichkeit auch der unbemittelten Partei zu eröffnen. Dabei können sich insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer effektiven Rechtsverfolgung sachliche Gründe ergeben, eine gesonderte Klage zu erheben statt eine bereits anhängige Klage zu erweitern. In der Regel wird die Vermeidung der Überfrachtung eines Verfahrens durch eine Vielzahl inhaltlich nicht miteinander zusammenhängender Streitgegenstände berechtigten Anlass geben, eine gesonderte Klage zu erheben. Die Gefahr einer sonstigen Überlastung des Rechtsstreits kann ebenfalls dafür sprechen, mehrere Rechtsstreitigkeiten anhängig zu machen. So wird es oft liegen, wenn die Entscheidung über verschiedene Streitgegenstände zwar voneinander abhängt, sich aber hinsichtlich der nachrangigen Streitgegenstände besondere Probleme stellen. Auch eine Prozesspartei, die Kosten selbst zu tragen hat, wird vernünftigerweise ein neues Verfahren anhängig machen, wenn durch die Klageerweiterung eine unangemessene Verzögerung der Entscheidung über den ursprünglich geltend gemachten Streitgegenstand zu besorgen ist, weil nicht sicher mit einem Teilurteil gerechnet werden kann. Bei Bestandsstreitigkeiten, für die nach den §§ 61a, 64 Abs. 8 ArbGG eine besondere Prozessförderungspflicht besteht, wird eine gesonderte Klageerhebung zumeist angebracht erscheinen. In jedem Fall hat der Antragsteller die Gründe darzulegen, die ihn zur Erhebung einer gesonderten Klage veranlasst haben (BAG vom 8. September 2011, aaO.). Die Frage, ob ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur kostengünstigeren Rechtsverfolgung vorliegt, ist allerdings nicht erst im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 55 Abs. 1 RVG zu berücksichtigen, wie dies bisher die Beschwerdekammer und mit ihr auch andere Instanzgerichte vertreten haben (vergl. z. B. LAG Rheinland-Pfalz vom 19. Dezember 2007 - 9 Ta 270/07 -, MDR 2008, 532; LAG München vom 15. Juli 2009 - 10 Ta 186/08 -, JurBüro 2010, 26; LAG Berlin vom 27. April 2006 -17 Ta(Kost) 6012/06 -, NZA-RR 2006, 432). Vielmehr begründet ein solcher Verstoß die Mutwilligkeit im Sinne des § 114 S. 1 ZPO (BAG vom 17. Februar 2011 und vom 8. September 2011, aaO.; vergl. auch Mayer, FD-RVG 2011, 323440). Die Rechtsverfolgung mehrerer Ansprüche gegen dieselbe Partei in getrennten Prozessen ist mutwillig, wenn dies zu höheren Kosten für die Staatskasse führt und keine nachvollziehbaren Sachgründe für diese Prozessführung vorliegen. Der Umstand, dass es im Ermessen des Arbeitsgerichts steht, beide Rechtsstreitigkeiten gemäß § 147 ZPO zu verbinden, ändert hieran nichts. Eine getrennte Klageerhebung ist mutwillig, wenn keine nachvollziehbaren Gründe vorliegen. Diese erfordern einen plausiblen Vortrag des Antragstellers, aus dem sich ergibt, dass ein sachlich begründeter Anlass bestand, von einer möglichen Klageerweiterung in einem anhängigen Rechtsstreit abzusehen. Denkbar wäre dies, wenn in dem bereits anhängigen Verfahren mit erheblichen Verzögerungen bei der weiteren Durchführung (z. B. wegen der Einholung eines Sachverständigengutachtens) zu rechnen ist. Der Umstand, dass - anders als bei einer neuen Klage - bei einer Klageerweiterung eines schon anhängigen Rechtsstreits kein zeitnaher Gütetermin mehr stattfindet, dürfte hingegen grundsätzlich nicht ausreichen (so auch Arendt, juris PR-ArbR 22/2011 Anm. 6). Im vorliegenden Falle ist das Arbeitsgericht nicht von der Mutwilligkeit der zweiten getrennten Klageerhebung ausgegangen und hat in beiden Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt. Dann müssen auch die aus der Staatskasse zu zahlenden Kosten getrennt abgerechnet werden. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wird dies bei der Neufestsetzung zu berücksichtigen haben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG.