Rechtsprechungsübersicht / Akteneinsicht im Bußgeldverfahren |
- 1. Der Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Versagung der Akteneinsicht in noch nicht bei der Akte befindlichen Unterlagen (Bedienungsanleitung, Lebensakte und Beschilderungsplan) steht § 305 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG entgegen.
- 2. Sofern sich Unterlagen, die für den Betroffenen belastend oder entlastend relevant sein können, nicht in den Ermittlungs- oder Sachakten, sondern in anderen Akten oder bei anderen Behörden befinden, müssen auch diese den Akten und damit allen Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht werden.
- BEACHTEN SIE | Das LG Frankfurt/Oder hat die Beschwerde des Betroffenen als unzulässig angesehen. Der Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Versagung der Akteneinsicht in die noch nicht bei der Akte befindlichen Unterlagen (Bedienungsanleitung, Lebensakte und Beschilderungsplan) steht § 305 S. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG entgegen (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 01, 374; 03, 177; StV 04, 362; OLG Hamm NStZ 05, 226; LG Limburg NStZ-RR 11, 378).
- Das LG hat dennoch zum Umfang des Akteneinsichtsrechts Stellung genommen. Dieses umfasst alle Akten und Aktenteile, auf die der Schuldvorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, die zur Aufklärung des Sachverhaltes beitragen und die zur Begründung des Ausspruchs über die Rechtsfolgen herangezogen würden. Dazu gehört sowohl der den Tatort betreffende Beschilderungsplan als auch die Bedienungsanleitung des verwendeten Messgeräts. Bedenken urheberrechtlicher Art bestehen nicht. Denn die Bedienungsanleitung für das verwendete Messgerät beschreibt lediglich vorgegebene technische Zusammenhänge auf eine handwerklich definierbare Weise und ist keine eigenständige geistige Schöpfung ihres Autors. Darüber hinaus ist von einer zumindest konkludenten Einräumung entsprechender Nutzungsrechte durch den Hersteller mit dem Verkauf des Messgeräts an die Verwaltungsbehörde auszugehen (§ 31 Abs. 5 UrhG), da jedem Hersteller von solchen Geräten bekannt ist, dass die mit den Geräten durchgeführten Messungen Gegenstand von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sind und insofern der Prüfung — auch durch Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung — unterliegen.
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- AG Königs Wusterhausen 31.7.12, 2.4 OWi 401/12, Abruf-Nr. 122738
- Der Betroffene ist nicht verpflichtet, sich ggf. selbst - auf seine Kosten - die Bedienungsanleitung zu einem Messgerät zu verschaffen.
- BEACHTEN SIE | In der Entscheidung ging es um die Bedienungsanleitung zu Dräger Evidential. Das AG geht davon aus, dass eine ordnungsgemäße Verteidigung die Kenntnis der Bedienungsanleitung voraussetzt. Der Betroffene ist auch keineswegs verpflichtet, sich die Bedienungsanleitung von der Herstellerfirma zu beschaffen, insbesondere nicht auf eigene Kosten. Bis zum Beweis des Gegenteils — im Falle eines Bußgeldverfahrens mithin mit Rechtskraft des Bußgeldbescheids — gilt wie im Strafverfahren die Unschuldsvermutung. Behörde und ggf. Gericht haben dem Betroffenen die den Bußgeldbescheid tragende Verfehlung mit einer Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, die vernünftigen Zweifeln an der Schuld Schweigen gebietet. Nicht der Betroffene hat sich zu entlasten. Zur Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils gehört auch, dem Betroffenen alles zugänglich zu machen, was die hoheitliche Maßnahme trägt. So kann er sich angemessen wehren und den Behörden seinerseits aufzeigen, dass die Beweisführung mangelhaft ist.
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- Das Akteneinsichtsrecht eines Verteidigers umfasst auch den Messfilm bzw. die Messdatei, da sich Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit einer Messung ergeben können. Die Einsicht in die gesamte Datei ist daher zur Beurteilung der Erfolgsaussichten des Einspruchs notwendig.
- BEACHTEN SIE | Das Akteneinsichtsrecht eines Verteidigers umfasst gemäß § 46 Abs. 1 OWG i.V.m. § 147 StPO alle Schriftstücke sowie Bild-, Video- und Tonaufnahmen, die für den Betroffenen als belastend oder entlastend von Bedeutung sein könnten. Aus dem gesamten Messfilm bzw. der gesamten Messdatei können sich Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Messung ergeben. Eine Einsicht in die gesamte Datei ist daher zur Beurteilung der Erfolgsaussichten des Einspruchs notwendig. Zudem erstreckt sich das Akteneinsichtsrecht regelmäßig auf alle Unterlagen, die einem Sachverständigen zur Beurteilung des Messvorgangs vorgelegt werden. Der Sachverständige erhält vom Gericht, soweit benötigt, den gesamten Messfilm. Wird dem Verteidiger das Recht verwehrt, die gesamte Messdatei in Augenschein zu nehmen, so ist das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt. Dieses bezieht sich nicht nur auf Teile der Gerichtsakte, sondern auch auf Gegenstände, die bei der Verwaltungsbehörde vorhanden sind. Einsicht ist dem Verteidiger daher durch die Übersendung einer Kopie des Messfilms auf einem durch den Verteidiger zur Verfügung gestellten Datenträger zu gewähren.
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- Bei der gerichtlichen Entscheidung hinsichtlich des Umfangs des Akteneinsichtsrechts handelt es sich um eine der Urteilsfällung sachlich und zeitlich vorausgehende und mit ihr in einem inneren Zusammenhang stehende Entscheidung des erkennenden Richters, die gem. § 305 StPO unanfechtbar ist.
- BEACHTEN SIE | Bei den mit der Akteneinsicht (im Bußgeldverfahren) zusammenhängenden Fragen geht es auch um die Frage, ob bei (teilweiser) Verweigerung von Akteneinsicht durch das Gericht ein Rechtsmittel gegeben ist. Das LG Arnsberg hat sich - für das Bußgeldverfahren - der Auffassung angeschlossen, die die Entscheidung des Gerichts hinsichtlich des Umfangs des Akteneinsichtsrechts um eine der Urteilsfällung sachlich und zeitlich vorausgehende und mit ihr in einem inneren Zusammenhang stehende Entscheidung des erkennenden Richters ansieht, die daher gem. § 305 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG unanfechtbar sein soll (s.a. LG Limburg NStZ-RR 11, 378 für Anfechtung der Ablehnung der Beiziehung von Akten; LG Lüneburg VA 11, 194; a.A. LG Ellwangen VRR 11, 117; LG Dessau-Roßlau VA 11, 160).
- M.E. ist das im Hinblick auf den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) nicht richtig (vgl. dazu auch VA 12, 50 und die Hinweise bei LG Lüneburg und LG Dessau-Roßlau, a.a.O.). Der Verteidiger muss sich auf diese Auffassung allerdings einstellen und in der Hauptverhandlung ggf. die Rechtsbeschwerde vorbereiten und einen Beschluss herbeiführen (§ 388 Nr. 8, § 238 Abs. 2 StPO).
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