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  • · Fachbeitrag · Allgemeines Versicherungsvertragsrecht

    Anforderungen an die qualifizierte Mahnung bei Folgeprämienverzug von mehreren VN

    von VRiOLG a.D. Hellmut Münstermann, Aachen

    Die Fristsetzung wegen Zahlungsverzugs mit einer Folgeprämie gemäß § 39 Abs. 1 VVG a.F. (jetzt § 38 Abs. 1 VVG) muss bei einer Mehrheit von VN, auch wenn diese unter derselben Anschrift wohnhaft sind, durch gesonderte schriftliche Mitteilung gegenüber jedem VN erfolgen (BGH 8.1.14, IV ZR 206/13, Abruf-Nr. 140298).

     

    Sachverhalt

    Der Kl. verlangt als Insolvenzverwalter über das Vermögen des X (Schuldner) vom VR Leistungen aus einer Risikolebensversicherung. X und seine Lebensgefährtin hatten die Versicherung für verbundene Leben geschlossen. Nach dem Versicherungsschein vom 11.4.06 waren beide VN sowie jeweils versicherte Person.

     

    Mit einem an beide VN unter deren gemeinsamer Anschrift gerichteten Schreiben vom 29.6.08 mahnte der VR einen Beitragsrückstand von 318,42 EUR an und forderte Zahlung innerhalb von zwei Wochen. Der VR belehrte über die Rechtsfolgen bei Eintritt des Versicherungsfalls und Zahlungsverzug. Außerdem machte er von seinem Kündigungsrecht zum Ablauf der Zahlungsfrist Gebrauch.

     

    Am 18.7.08 verstarb die Lebensgefährtin des X. Die rückständige Prämie war bis zu diesem Zeitpunkt nicht gezahlt. Der VR lehnte Leistungen ab. Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des VR hat das OLG die Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. hatte Erfolg.

     

    Entscheidungsgründe

    Der VR ist nicht wegen der Nichtzahlung der Folgeprämie gem. § 39 Abs. 2 VVG a.F. leistungsfrei. Auf den Rechtsstreit ist noch altes Recht anzuwenden, da der Versicherungsfall in 2008 eingetreten ist (Art. 1 Abs. 2 EGVVG).

     

    Zutreffend hat das OLG zunächst einen wirksamen Zugang des Schreibens des VR vom 29.6.08 angenommen. Dafür genügt es gem. § 130 BGB, wenn das Schreiben so in den Bereich des Empfängers gelangt, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen. Dies war bei der Lebensgefährtin des X der Fall, weil das Schreiben in den gemeinsamen Briefkasten gelegt wurde.

     

    Unabhängig von der Frage des Zugangs ist die Mahnung des VR allerdings deshalb unwirksam, weil ein an mehrere VN gerichtetes qualifiziertes Mahnschreiben gem. § 39 VVG a.F. (Entsprechendes gilt für § 38 VVG n.F.) nicht in einem Schreiben zusammengefasst werden darf. Selbst wenn die VN unter derselben Anschrift wohnen, muss der VR an jeden von ihnen eine gesonderte qualifizierte Mahnung richten.

     

    Der BGH hat es bereits zu § 12 Abs. 3 VVG a.F. nicht für ausreichend erachtet, dass der VR das Ablehnungsschreiben an die unter derselben Anschrift wohnenden VN in einem Schreiben zusammenfasst. Es handele sich um selbstständige Versicherungsansprüche. Die Klagefrist könne für den VN zu schwerwiegenden Rechtsnachteilen führen, allein durch Versäumung der Frist einen ihm an sich zustehenden Versicherungsanspruch zu verlieren.

     

    Diese Erwägungen sind auf das qualifizierte Mahnschreiben gem. § 39 VVG a.F. (§ 38 VVG n.F.) zu übertragen. Der VR muss die qualifizierte Mahnung gegenüber jedem VN in einem gesonderten Schreiben aussprechen. Maßgebend hierfür ist die Schutzbedürftigkeit des VN. Wie bei § 12 Abs. 3 VVG a.F. der Fristablauf, kann bei § 39 VVG a.F. die Nichtzahlung der Prämie zum Verlust eines an sich begründeten Anspruchs nach Eintritt des Versicherungsfalls führen. Wegen dieser weitreichenden Auswirkungen hat der Senat seit jeher strenge Anforderungen an den Inhalt der qualifizierten Mahnung gestellt. Das Schutzbedürfnis des VN bezieht sich auch auf die Frage, wem gegenüber bei mehreren VN eine qualifizierte Mahnung erklärt werden muss.

     

    Bei nur einem Schreiben an mehrere VN besteht die Gefahr, dass dieses nur von einem VN entgegengenommen, geöffnet, zur Kenntnis genommen und nicht weitergeleitet wird, sodass der andere VN keine Kenntnis erlangt. Wegen der weitreichenden Folgen des Verlusts des Versicherungsschutzes für mehrere VN bei Nichtzahlung der Prämie muss daher jedem einzelnen von ihnen gesondert die Möglichkeit gegeben werden, die rückständige Prämie noch rechtzeitig zu entrichten, um den Versicherungsschutz zu erhalten.

     

    Dem steht die Wertung des § 130 BGB nicht entgegen. Gerade weil eine tatsächliche Kenntnisnahme für den Zugang gem. § 130 BGB nicht erforderlich ist, muss als Ausgleich zumindest das qualifizierte Mahnschreiben gem. § 39 VVG a.F. (§ 38 VVG n.F.) jedem einzelnen VN übersandt werden, um diesem eine möglichst umfassende Gelegenheit eigener Kenntnisnahme zu eröffnen.

     

    Ferner kann nicht entscheidend darauf abgestellt werden, die Konsequenz eines Prämienverzugs sei nicht mit dem Rechtsverlust gem. § 12 Abs. 3 VVG a.F. vergleichbar. Dort steht häufig noch nicht fest, ob dem VN überhaupt ein Anspruch zusteht oder nicht. Demgegenüber führt bei § 39 VVG a.F. (§ 38 VVG n.F.) die Nichtzahlung der Prämie nach qualifizierter Mahnung zum Verlust auch zweifelsfrei bestehender Ansprüche aus einem später eingetretenen Versicherungsfall. An eine Fristsetzung nach § 39 VVG a.F. sind strengere Anforderungen zu stellen als an eine solche nach § 12 Abs. 3 VVG a.F., da dem VN die Bedeutung des Fristablaufs wegen des noch nicht eingetretenen Versicherungsfalls nicht so sehr bewusst sein wird wie bei einem bereits eingetretenen Versicherungsfall.

     

    Praxishinweis

    Der BGH hat den Fall entschieden, wie die Anmahnung der Folgeprämie bei einem Versicherungsvertrag mit mehreren VN zu erfolgen hat. Dabei hat das Gericht das Schutzbedürfnis des einzelnen VN in den Vordergrund gestellt. Dies verlangt die gesonderte Mahnung gegenüber jedem der am Vertrag beteiligten VN.

     

    § 38 VVG n.F. entspricht weitgehend dem § 39 VVG a.F. Auch nach neuem Recht ist eine qualifizierte Mahnung des VR erforderlich. Das folgt daraus, dass Zahlungsverzug bei der Folgeprämie mit einschneidenden Folgen für den VN verbunden ist. Der VN hat schon Versicherungsschutz, verliert ihn bei versäumter Zahlungsfrist aber wieder. Deshalb muss der VR über die damit verbundenen Rechtsfolgen belehren. Hiermit tun sich die VR allerdings häufig schwer. Die Belehrung muss nicht nur die für den VN schädlichen Rechtsfolgen enthalten. Sie muss darüber hinaus auch die Möglichkeiten für den VN aufzeigen, diesen Folgen gem. § 38 Abs. 2, 3 VVG zu begegnen. Der VN ist nicht nur über einzelne, sondern umfassend über sämtliche Rechtsfolgen einer Versäumung der Zahlungsfrist zu belehren. Die ordnungsgemäße Belehrung ist bei § 38 VVG formelle Wirksamkeitsvoraussetzung einer qualifizierten Mahnung. Ist sie nicht vollständig und zutreffend, führt dies ohne Einschränkungen zur Unwirksamkeit. Dies ist wegen der einschneidenden Rechtsfolgen aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geboten.

     

    Arbeitshilfe / So vermeidet der VN einschneidende Folgen

    • Zahlt der VN nach Ablauf der Zahlungsfrist noch vor Eintritt eines Versicherungsfalls, kann er sich Versicherungsschutz für eben diesen Versicherungsfall sichern. Keine Leistungsfreiheit des VR (BGH VersR 88, 484).

     

    • Durch Zahlung nach Ablauf der Zahlungsfrist kann der VN dem VR das Kündigungsrecht nehmen, solange noch keine Kündigung erfolgt ist (BGH a.a.O.).

     

    • Der VN kann die Wirkung einer bereits ausgesprochenen Kündigung wieder beseitigen, wenn er die Zahlung innerhalb eines Monats nach Kündigung oder innerhalb eines Monats nach Ablauf der mit der Kündigung verbundenen Zahlungsfrist leistet (BGH a.a.O.).

     

    • Der VN muss der Belehrung entnehmen können, dass er sich bei unverschuldeter Versäumung der Zahlungsfrist durch nachträgliche Zahlung den Versicherungsschutz auch für die Vergangenheit erhalten kann. Die Belehrung ist schon falsch, wenn sie nur auf den Fristablauf und auf den Zahlungsrückstand als solchen abstellt. Leistungsfreiheit tritt nur bei Verzug ein, setzt also Verschulden des VN voraus (OLG Köln r+s 01, 447).

     

    • Bei zusammengefassten Verträgen ist darauf hinzuweisen, dass der VN durch Zahlung auf nur einen dieser Verträge die Leistungsfreiheit wenigstens für diesen Vertrag abwenden kann. Die Mahnung darf nicht den Eindruck erwecken, dass der Versicherungsschutz im Hinblick auf alle Einzelverträge nur durch Gesamtzahlung erhalten werden kann (LG Berlin r+s 05, 95).
     

    Ist die Belehrung unvollständig oder fehlerhaft und die Mahnung damit unwirksam, kann der VR nicht damit gehört werden, der VN hätte ohnehin nicht gezahlt. Kausalität der nicht ordnungsgemäßen Belehrung für die Nichtzahlung der Folgeprämie nach Fristsetzung wird nicht gefordert (OLG Köln a.a.O.).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Fehlerhafte Belehrung über die Frist zur Zahlung der Erstprämie nach § 37 Abs. 2 S. 1 VVG: LG Dortmund VK 11, 213
    Quelle: Ausgabe 04 / 2014 | Seite 57 | ID 42580867